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Die Chronistin der Meere von Patrik Svensson - Rezension

Rezension
von Sabine Ibing


Die Chronistin der Meere von Patrik Svensson

«Peps meinte, das gesamte Universum sei Rhythmus. Die Quantenphysik, der Aufbau der Atome, Schwingungen in der Materie, die Beziehung von Zeit und Raum sowie die Spannungen im Gewebe. Alles baue auf Rhythmus auf. Anders lasse es sich nicht erklären. Und er sagte, der Rhythmus sei auch Leben und Biologie, etwas Körperliches, etwas, das wir nicht immer bewusst wahrnehmen könnten, aber dennoch erleben würden und zu dem wir immer einen Standpunkt einnähmen.» 

Nach dem Bestseller «Das Evangelium der Aale» lässt Patrik Svensson uns eintauchen in die Geheimnisse des Ozeans und der Menschen, die ihn erforschen. Die zehn Essays widmen sich jeweils einem anderen Thema der Meereskunde, die im Zusammenhang wiederum ein Ganzes ergeben. Es geht um den Rhythmus des Meeres, um die Bewegung im Universum; um Quallen und Grönlandhaie und er lauscht den Unterhaltungen der Pottwale. Und er widmet sich Menschen, die sich mit dem Meer beschäftigten, einige von ihnen waren mir unbekannt (leider). Natürlich ist dies wieder eine persönliche Geschichte von Svensson.

«Und auch das Meer selbst ist immer in Bewegung. Es schläft oder erwacht vielleicht nicht, aber es bewegt sich, ist aktiv und so etwas wie ruhend, mit den kraftvollsten und majestätischsten Bewegungen, die die Erde überhaupt vorweisen kann. Es bewegt sich durch die großen Meeresströmungen, die sowohl an der Oberfläche als auch in der Tiefe über den Planeten zirkulieren, wie ein riesiger, rhythmischer Blutkreislauf, im Takt mit der Erdumdrehung. Genau so, wie es sich durch Ebbe und Flut bewegt, die regelmäßigen und taktfesten Hebungen und Senkungen der Meeresoberfläche, die von der Anziehungskraft des Mondes und der Sonne gesteuert werden.»

«Der Himmelskörper, den wir den unseren nennen, ist eigentlich ein Planet des Meeres.» Patrik Svenssons Mutter hatte ihm als Kind von rätselhaften Tiefseefischen erzählt, las ihm Bücher vor, die von Meerestieren handeln und so seine Neugier für das Meer geweckt. Ein Sachbuch über Haie, Seeteufel, Makrelen und Kabeljaue, lässt ihn nicht mehr los, berichtet er. Ausgehend von Ebbe und Flut folgt er den Rhythmen der Natur. Ein Essay widmet sich dem Challengertief, der tiefsten Stelle des Meeres bei 10.916 Metern, das Jaqcues Piccard und Don Walsh 1960 mit ihrer selbstgebauten Tauchkapsel erreichten. Entdecker und Forscher, die ihrem Wissensdurst folgen: «Welche Menschen waren es eigentlich wirklich, die sich das Meer unterwarfen und die Welt zusammenfügten?» Ein Kapitel über Entdecker wie Ferdinand Magellan und seinen Sklaven Enrique von Malakka, die Routen der alten Seefahrer. Es gibt viele Versionen über den Tod von Magellan, der im Kampf 1521 auf der Philippineninsel Mactan starb. Patrik Svensson berichtet über die Version, dass Magellan die Inselbewohner angriff, da sie die Herrschaft der Spanier nicht akzeptierten, auch nicht christianisiert werden wollte. Aus heutiger Sicht auch die meist vertretende Sicht, keine Streitschlichtung und keine Verteidigung durch einen Angriff der Insulaner. Magellan war ein harter Mann, der keine Widerworte akzeptierte, auch nicht aus den eigenen Reihen, wie Svensson berichtet. Er war eben nicht nur der abenteuerlustige Entdecker, sondern auch ein gewalttätiger, gieriger Mann, der nach Macht und Reichtum strebte. Geschichte wird von den Mächtigen geschrieben – die Unterjochten kommen selten zu Wort. Interessant auch die Geschichte über den schottischen Bäcker Robert Dick, der ein Hobbybotaniker war, Fossilien untersuchte, der im 19. Jahrhundert das Meer auslotete.

«Solch ein Orientierungsvermögen hat der Mensch nicht, aber mit der Hilfe unterschiedlicher kognitiver Fertigkeiten haben wir dennoch eine relativ gute Fähigkeit entwickelt, uns zurechtzufinden. Im Alltag spricht man vom Orientierungssinn. In der Psychologie von räumlicher Intelligenz. Im Grunde geht es dabei um die Fähigkeit, sich seine Umgebung vorzustellen. In Bildern zu denken und mental mit Farben, Formen, Linien und Figuren und ihrem Verhältnis zueinander zu operieren. Menschen haben früh gelernt, sich Dinge einzuprägen und Orientierungspunkte und unterschiedliche natürliche Markierungen in ihrem Inneren zu visualisieren: Berge und Täler, Bäume und Gebüsche, Gewässer und Steine.»

Tiere folgen ihrem natürlichen Rhythmus, besitzen ein Orientierungsvermögen, das der Mensch nicht vorweisen kann, sich dies technisch erarbeiten musste: das Navigieren auf See, vermessen, Karten zeichnen, die Tiefe der Meere vermessen. «Das größte Raubtier» auf der Welt ist der Mensch, der nicht nur tötet, um sich zu ernähren. «Man wollte ihn töten, weil man konnte, nicht, weil man es musste», so zur Geschichte des Pottwals und des des Walfangs. Der Mensch hat den Pottwal fast ausgerottet – und nicht nur den. Hier wird Francis Allyn Olmsted porträtiert, der ein Tagebuch über seine Zeit auf einem Walfangschiff führte und bereits mit 25 Jahren starb. «Je mehr der Mensch versuchte, die Welt zu erobern und sich selbst von der Ordnung der Evolution zu befreien, desto mehr erschien er wie ein Defekt, wie eine Störung. Man sieht, was der Mensch alles verursacht hat, und fragt sich: Gehören wir hier überhaupt hin?», fragt sich Svensson. 

«Die Zeit ist wie das Meer, sie enthält alles, was vor uns war, und früher oder später werden wir von ihren Strömungen davongetragen, die die Spuren unserer Existenz löschen. Das Meer ist nicht für uns da, wir sind dank seiner da, und deshalb ist die Verwundbarkeit des Meeres auch unsere eigene.»

Das Essay «Die Chronistin der Meere» ist ein Porträt der Meeresbiologin und Umweltaktivistin Rachel Carson, die sich seit 1962 für den Meeresschutz einsetzt und bekannt ist für ihre Meeresbücher im Nature Writing Stil. Ihr Bekanntestes ist «Der stumme Frühling», in dem sie über die Vergiftungen der Meere mit  DDT schrieb. Das Meer und der Mensch – eine Geschichte der Neugier, dem Staunen, der Entdecker und Naturwissenschaftler – aber auch eine Geschichte von Eroberung, Ignoranz und Zerstörung. Das alles beschreibt Svensson mit Melancholie und Demut – aber auch mit Neugier und Stolz. Die Essays sind sprachlich unterschiedlich, eine Mischung aus literarischer und journalistischer Form, mal im Natur Writing Stil, mal poetisch, immer mit Tiefgang und einer persönlichen Note der eigenen Betroffenheit. Ein wundervolles Buch für Meeresverliebte.


Patrik Svensson, geboren 1972, ist der Autor des Überraschungsbestsellers Das Evangelium der Aale, das in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde. Er studierte Sprachen und Literatur und arbeitet als Journalist für die schwedische Tageszeitung Sydsvenskan, wo er über Kultur, soziale Themen, Politik und Naturwissenschaften schreibt. Svensson lebt mit seiner Familie in Malmö.




Patrik Svensson 
Die Chronistin der Meere
Originaltitel: Den lodande människan
Aus dem Schwedischen übersetzt von Thomas Altefrohne, Hanna Granz
Essays, Meer, Entdecker, Meerestiere, Natur Writing, Sachbuch
Gebunden, 256 Seiten
Carl Hanser Verlag, 2023



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Planet Ozean von Mariasole Bianco

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