Rezension
von Sabine Ibing
Das große tiefe Blau
von Alex Rogers
Von Yeti-Krabben, leuchtenden Medusen und anderen Geheimnissen des Meeres
Der tiefste Teil des Ozeans hat bislang noch nicht einmal so viel menschlichen Besuch bekommen wie der Mond. Bis ins Challengertief im westpazifischen Marianengraben sind bis heute ganze drei Personen hinabgetaucht, während auf dem Erdtrabanten schon Astronauten standen. Dieses Missverständnis hat komplizierte Gründe. … So gewaltig sind viele dieser Probleme, dass manche von uns sie einfach ausblenden. Wir blicken lieber nicht in die Tiefe auf das Desaster, das wir selbst anrichten, sondern hinauf in den wunderbaren Weltraum.
Die Tiefsee ist das geheimnisvollste Ökosystem der Erde. Schade, dass hier der Originaltitel nicht übersetzt wurde, denn der ist punktgenau für dies Buch: «The Deep: The Hidden Wonders of Our Oceans and How We Can Protect Them». Ich hatte etwas anderes erwartet – aber ich war angenehm überrascht – in der Hauptsache beschäftigt sich dieses Buch mit der Frage, wie wir unsere Erde, speziell die Meere, noch retten können. Die Weltmeere bedecken den größten Teil unseres Planeten: 1,3 Milliarden Kubikmeter Wasser, mehr als 4000 Meter tief. Aber nur ein winziger Bruchteil davon ist erforscht. Die Ozeane bilden somit den größten Teil der Erde, mit Bergen, höher als die höchsten Gipfel an Land, und Schluchten, die tiefer sind, als der Mount Everest hoch ist.
Alex Rogers, einer der international führenden Meeresforscher, hat auf zahllosen Expeditionen in die Tiefsee noch unbekannte Lebewesen am Grund des Pazifiks untersucht, Korallenriffe im Nordantlantik entdeckt, heiße Quellen antarktischer Seen erkundet und nachgewiesen, dass es entgegen bisheriger Annahmen auch in 6.000 Metern Tiefe vielfältiges Leben gibt. Von diesen Forschungsreisen berichtet er lebendig und emotional, fachlich sachlich, wenn es um Raubbau der Meere, Zerstörung von Lebenswelten und Umweltverschmutzung geht. Er ist für Greenpeace als Zeuge vor Gericht geladen, und er engagiert sich intensiv für die Wiederherstellung und Genesung der Meere. Ein Wissenschaftler, der sich unermüdlich für die Rettung der Meere einsetzt.
… an dieser Unterwassererhebungen ‹rotes Gold› gefunden wurde – ein Tiefseefisch mit Namen Kaiserbarsch, der für die Fischerei von großer Bedeutung ist. Aber wir sahen hier mit eigenen Augen, die verheerenden Folgen, die Grundschleppnetze für Kaltwasserkorallenriffe haben. Noch bevor Wissenschaftler überhaupt die Möglichkeit gehabt hatten, diese abgelegenen Seeberge zu erforschen und ihr fragiles Ökosystem zu erkunden, mussten wir jetzt schon Informationen über die auf ihnen angerichteten Zerstörungen sammeln.
Wer sich auf Grund des Titels viel über das Leben der Tiere in der Tiefsee erhofft, von Yetikrabben, leuchtenden Medusen … der wird vielleicht etwas enttäuscht sein. Das liegt aber an der schlechten Umsetzung von Titel und Klappentext bei dtv! Mir hat es trotzdem gefallen! Doch man sollte berücksichtigen, dass es hier mehr um Ausbeutung und Umweltverschmutzung geht, um die Zerstörung von Korallenriffen durch Tiefseeschleppnetze usw. Aber natürlich erfahren wir einiges über die Bewohner der Tiefsee. Alex Rogers stößt auf seinen Forschungsfahrten immer wieder auf neue Tierarten. Er entdeckte die Kiwa tyleri, die sogenannte Hoff-Krabbe (der Name spielt auf die Brustbehaarung von David Hassselhoff an), in mehreren Lagen übereinandergestapelt in heißen Tiefseequellen. Die Gliederfüßer leben in Symbiose mit Bakterien, die in diesem sauerstoffarmen Wasser dank der Wärme Nährstoffe produzieren. Die Mikroben sitzen in dem dichten Pelz der Tiere, von wo die Krustentiere sie mit ihren Scheren herauskämmen. Wir lernen den Granatbarsch, auch Kaiserbarsch (Hoplostethus atlanticus) kennen, der neuerdings auf den Tellern der Menschen landet und dank der Dummheit von Fischern bald ausgerottet werden könnte. Früher wollte den «Schleimkopf» niemand essen, da nebenbei die Haut mit den darunterliegenden Ölschichten zu Verdauungsproblemen führt. Die Haut wird heute abgezogen und in der Kosmetikindustrie für feuchtigkeitsspendende Cremes genutzt – die Fischfilets lassen sich gut einfrieren, bringen ein Menge Geld ein. Beliebt ist der teure Fisch als Delikatesse, weil er nicht nach Fisch schmeckt (weil das Fleisch keine Fischöle enthält). Diese Fische werden von den Fischern auf ihren Wegen zu den Laichplätzen abgefischt – ein Granatbarsch braucht 40 Jahre, um geschlechtsreif zu werden! Und er vermehrt sich sehr geizig. Es wurden schon 180 Jahre alte Exemplare gefangen.
Teilweise sind die Netze der engmaschigen Tiefseefischer so voll von diversen Arten, dass die Verarbeitungsanlagen nicht mitkommen und die Fische somit wagonweise auf der Mülldeponie landen. In der Mitte finden sich einige Farbfotos zu den Unternehmungen und Meerestieren. Ich denke, dies ist ein wichtiges Buch, da es festhält, was in unseren Meeren schiefläuft. Wenn wir die Katastrophe aufhalten wollen, dann jetzt – bevor es zu spät ist! Ein Kapitel heißt darum auch:
Würden Sie einen Wald roden, um einen Hirsch zu fangen?
Alex Rogers verbrachte als Kind die Ferien zumeist bei seinem Großvater, einem Fischer an der irischen Küste, und die Faszination der See hat ihn tief geprägt. Heute ist er Meeresbiologe, Professor für Conservation Biology in Oxford und einer der international bedeutendsten Ozeanforscher. Er ist Mitglied diverser Forschungsgruppen, wissenschaftlicher Direktor des Internationalen Programms zur Lage der Ozeane (IPSO) und berät die UN, Greenpeace, den WWF und die G8-Länder.
Das große tiefe Blau
Original: The Deep: The Hidden Wonders of Our Oceans and How We Can Protect Them
Von Yeti-Krabben, leuchtenden Medusen und anderen Geheimnissen des Meeres
Aus dem Englischen übersetzt von Enrico Heinemann und Jörn Pinnow
Sachbuch, Ozeanographie, Meeresbiologie - Meeresforschung, Klimawandel - Treibhauseffekt, Tauchen, Ökologie, Umweltschutz
Mit vierfarbigem Bildteil, 368 Seiten, Lesebändchen
dtv Verlag, 2019
Eine Empfehlung zum Thema Meer und Fische:
Im Auge des Schwarms – Von Fischen, dem Meer und dem Leben von Helen Scales
Fische beherrschen die Meere und Süßgewässer und damit sieben Zehntel der Erdoberfläche. Die Meeresbiologin Helen Scales berichtet von Erfahrungen und Untersuchungen, von den Erlebnissen ihrer Tauchgänge, von Kuriosem, flechtet alten Sagen ein und es gelingt ihr, verständlich und unterhaltsam uns den Fisch näherzubringen. Die Mischung aus Wissenschaft und Unterhaltung, Erlebnisberichten und Seemannsgarn macht dieses Buch zu einem Leseerlebnis. Taucher, Fischliebhaber und Meeresfreunde werden hier ihren Spaß haben und sicher das ein oder andere Neue erfahren.
Weiter zur Rezension: Im Auge des Schwarms – Von Fischen, dem Meer und dem Leben von Helen Scales
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