Rezension
von Sabine Ibing
Das Alibi
von Juan Pablo Villalobos
Der Anfang:
Wir waren glücklich, wir aßen Tacos, Butifarras und Feijoada. Wir waren so glücklich, dass ich’s mir erlauben konnte, das schamlos an den Anfang eines Buches zu schreiben, als wäre es der Schluss.
Juan führt eine gute Ehe mit der «Brasilianerin», es läuft problemlos in bester Eintracht, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, Geldsorgen hat er keine – er fühlt sich pudelwohl in Barcelona. Doch worüber soll der Schriftsteller, der über das Alltägliche schreibt, jetzt bloß schreiben? Wenn man schreibt, benötigt man einen Konflikt. Nur wo soll man den hernehmen, wenn es gar keinen gibt. Doch keine Angst, Konflikte lauern auf der Straße. Zunächst gibt es ein Problem mit einer Bescheinigung, die Juan für die «Brasilianerin», besorgen soll. Aber jetzt erstmal auf zur Buchhandlung, wo er mit einem Kollegen einen kleinen Vortrag halten muss; Thema, wie schreibt man ein Buch – Werbung für Seminare. Als der Kollege endet, will Juan gerade ansetzen, da meldet sich jemand aus dem spärlichen Zuschauerraum, fragt, wozu das ganze Geschwafel gut sein soll, wenn man was zu sagen, das Bedürfnis hat, dann legt man einfach los und schreibt. Hmm …
Die Konflikte liegen auf der Straße
Alles war so angenehm, man merkte gar nicht, dass man in eine Falle getappt war. Denn worüber sollte man schreiben, wenn man in dieser berauschenden Schläfrigkeit versunken war? Ehrlich gesagt, bestand mein einzig wahrer, waschechter Konflikt darin, dass ich weiterhin unter allen Umständen schreiben wollte, auch wenn es offenbar keinen Grund mehr dafür gab.
Wir waren da, wo wir immer hinwollten. Wie furchtbar! Einfach nur glücklich! Juan Pablos hat dann doch was zu erzählen, eine skurrile Geschichte aus einem Friseursalon: Ohr noch dran, doch Finger ab – als wenn er nicht gleich gesehen hätte, dass diese Frau etwas zu verbergen hat und mit ihren zittrigen Händen ihm die Haare versauen wird. Aber schon hat sie ihm den Umhang angelegt und in den Stuhl gedrückt … Und dann gibt es den Securitymann, der unbedingt ein Buch über seine «Erfahrungen» schreiben will …
Gekonnt mit viel Humor gesetzt
‹Okaaaaaaay›, rief er aus, ‹das ist ja alles schön und gut, aber letzten Endes schreibt man doch, weil man das Bedürfnis dazu hat. Weil man etwas zu sagen hat. Was zählt, ist das Bedürfnis, etwas sagen zu wollen, ohne dieses Bedürfnis kann man nicht schreiben. Und wenn jemand das Bedürfnis hat, zu schreiben, schreibt er und fertig, man muss das ja nicht unnötig kompliziert machen.› Ich rückte mit meinem Stuhl.
Eine Satire, die zunächst banal klingt, doch letztendlich ist die kurze Geschichte recht komplex, eine Autofiktion. Wahrheit und Fiktion vermischen sich. Das alles geschickt und schräg und hineingeleitend, man weiß nicht, wo die Fiktion beginnt oder aufhört, aufgebaut als anekdotenhafte Prosa. Eine Parodie auf das Schreiben, die so richtig viel Spaß macht! Gekonnt mit viel Humor gesetzt – einfach lesen!
Juan Pablo Villalobos, 1973 in Guadalajara/Mexiko geboren, zog 2003 für seine Promotion nach Barcelona. Dort arbeitete er als Schriftsteller und in einem E-Commerce-Unternehmen. Er hat mehrere international ausgezeichnete und vielfach übersetzte Romane und Reportagen geschrieben. Auf Deutsch erschienen unter anderem »Fiesta in der Räuberhöhle« (2011) und »Ich hatte einen Traum« (2018). Villalobos lebt mit seiner Familie in Barcelona
Das Alibi
Originaltitel: Peluquería y letras, 2022
Aus dem mexikanischen Spanisch von Carsten Regling
Zeitgenössische Literatur, Satire, Schreiben, Autofiktion, Spanische Literatur
Leinen mit Prägung, fadengeheftet, 128 Seiten
Verlag Klaus Wagenbach, 2025
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