Rezension
Sabine Ibing
Das Herz eines Schiffes
von Elinor Mordaunt
Die Tage waren grünlich-grau, man konnte Meer und Himmel nicht voneinander unterscheiden, unnatürlich und gespenstisch. Der Alte verließ nun niemals das Deck, es sei denn für ein paar Augenblicke, behielt das Schiff im Auge, das nur am unteren Großmars ein Segel trug, welches kreuz und quer über den Himmel kratzte; die Rahnocken stießen in die schwarzen Tiefen der Nacht - so schwarz, dass man beim Hinaufschauen das unangenehme Gefühl hatte, in einen Brunnenschacht mit lodernden Feuerkugeln zu blicken.
Die spannenden Kurzgeschichten, gespickt mit ein wenig Seemannsgarn haben eins gemeinsam: Hier geht es um Segelschiffe. Meine zwei Lieblingsgeschichten: Wir haben es mit einem eigenwilligen Schiff zu tun, mit einer störrischen Seele, ein Schiff mit einem eigenen Kopf, das hin und wieder selbst den Kurs bestimmt. Bisher hielt sich das alles in Grenzen. Doch als die Crew einen Schiffbrüchigen aufnimmt, verliebt sich das Segelschiff in den Schiffflüsterer – und das hat Konsequenzen … In einer anderen Geschichte geht es um die Sklaven, die angekettet pullen müssen, was das Zeug hält. Man verdeckt ihnen die Sicht, sie sehen nicht, wofür die rudern, damit sie die Geschehnisse nicht beeinflussen können. Jahrelang angekettet im Boot – der Tod wäre eine Erlösung.
Die Zeit der Dreimaster
Diese Pfeife von einem Maat hätte es besser wissen müssen, als ein Schwein in den Vierzigern schlachten zu lassen - vierzig Grad südlicher Breite und fünfzehn Grad östlicher Länge, da lagen wir, um genau zu sein. … Es ist ja nicht so, dass er es nicht hätte wissen können. Jede alte Teerjacke weiß, dass garantiert schlechtes Wetter kommt, wenn man ein Schwein an Bord eines Schiffes schlachtet. Und er hat sich doch sonst immer um solche Sachen gekümmert - war ja auch sein Job …
Es ist nicht immer die Zeit, auf Deck ein Schwein zu schlachten! Im Auge des Orkans ist es windstill – Vorsicht, denn sobald das Schiff diesen Raum verlässt, geht es sofort richtig zur Sache! Wohl dem, der das überlebt! Zwei Brüder, beides Seemänner und verliebt in die gleiche Frau, trachten sich gegenseitig nach dem dem Leben … die maritimen Erzählungen, die zwischen 1912 und 1934 erschienen, sind äußerst kenntnisreich, wenn es um das Leben (und Sterben) auf den sieben Weltmeeren geht. Kurzgeschichten mit atmosphärischer Dichte, Naturewriting auf See, spannend, teils humorvoll tauchen wir ein in die Zeit der Dreimaster, ins raue Leben auf See. Elinor Mordaunt beschreibt nicht einfach nur Geschichten zur Seefahrt, sondern hinter jeder einzelnen stehen menschliche Schicksale. Und die sind vielfältig. Trotz der Kürze schafft sie es, die Charaktere herauszuarbeiten, sie prägnant mit Leben zu füllen. Das Buch hat das Hosentaschenformat, in Leinen gebunden, der Umschlag zeigt ein Gemälde mit Schiffbruch, das ganze steckt in einem Schuber. Das Buch gehört zu einer maritimen Serie von neu aufgelegten Klassikern, die ich auf jeden Fall empfehle; siehe auch Zorn des Meeres von Bram Stoker.
Elinor Mordaunt, geboren 1872 in Cotgrave, UK, war das Pseudonym der in Cotgrave/Nottinghamshire geborenen Autorin Evelyn May Clowes. Sie wanderte 1902 nach Australien aus, wo ihre ersten Kurzgeschichten erschienen. Bis zu ihrem Tod veröffentlichte sie über 50 Bücher: Romane, Erzählbände, Reise-berichte und Kinderbücher. Kritiker verglichen ihre Werke mit denen von H. G. Wells und Joseph Conrad, doch ihre größte Leidenschaft war nicht die Literatur, sondern das Reisen. Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, die sie nicht besucht hat. Mordaunt starb 1942 in Oxford, UK.
Das Herz eines Schiffes
Originaltitel: The Heard of a Ship in The Tales of Elinor Mordaunt; The Recall; The Island; The Skipper’s Yarn; The Lone Hand; The High Seas
Aus dem Englischen übersetzt und kommentiert von Alexander Pechmann
Erzählungen, Kurzgeschichten, Naturewriting, Segelschiffe, Seefahrt, Klassiker
Mare Verlag, 2025
Zorn des Meeres von Bram Stoker

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