Rezension
von Sabine Ibing
Die Schatten von Prag
von Martin Beckers und Tabea Soergels
Kischs erster Fall
Der Anfang:
Die Burg thronte müde über der Stadt. Der Mond blendete die Moldau, damit sie nicht auch noch einschliefe. Selbst die verrufenen Spelunken in den verwinkelten Gassen der Altstadt, letzte Zufluchtsorte für alle, die nicht nach Hause konnten oder wollten: wie leergefegt. Am endlos gewölbten Himmel leuchteten die Sterne stumm um die Wette. Die kälteste Nacht des Jahres 1910 war hell und frostig.
Der Journalist Kisch ermittelt in seinem ersten Fall um geheimnisvolle Suizide. Er kann sich nicht vorstellen, dass all diese Leute freiwillig aus dem Leben scheiden wollten. Prag ist in Aufruhr, denn der Weltuntergang steht bevor, da im Mai 1910 die Erde den Schweif des Halley’schen Kometen kreuzen soll - ein jeder blickt zum Himmel, und die Verbrecher auf Erden haben leichtes Spiel. Hilfe bekommt Kisch er von der klugen Lenka Weißbach, vom tschechischen Zöllner Novák, der sich mit Panikattacken herumschlägt und dem schüchternen Sonderling, Redakteur Brodesser.
Ab dem Sommer würden sich die Besseren und Betuchten dort amüsieren. Novák verstand nicht, warum alle ständig ins Wasser wollten. So sehr er seine Moldau auch liebte: Es wäre ihm nicht eingefallen, auch nur einen Fuß in die vom Abwasser verseuchte Brühe zu setzen.
Was gelungen ist, die Autor:innen schaffen Atmosphäre, man nimmt ihnen die historische Beschreibung von Prag ab. Schlagzeilen in Zeitungen mit weltweiten Ereignissen runden dies ab, ebenso die Spannungen, die zwischen der deutschen, österreichischen, tschechischen und jüdischen Bevölkerung herrscht – das Zentralthema des Krimis. Die lesbische Lenka Weißbach ist aus Berlin angereist, um sich um ihre Mutter nach dem Tod des Vaters zu kümmern, sie hat deshalb ihr Medizinstudium auf Eis gelegt. Kisch besorgt ihr einen Job bei der Zeitung und sie werden ein Ermittlerduo. Im Nachtleben trifft Kisch auf eine Menge Schriftsteller, wie Kafka, Hašek und Rilke im legendären Montmartre. Eine tiefe Figurenzeichnung und ein atmosphärisch dichtes Setting ist zwar interessant, doch für meinen Geschmack ist das alles sehr auserzählt, worunter die Spannung leidet, da die vielen Nebenhandlungen um Kisch und Lenka dominieren, die Ermittlung in den Hintergrund tritt. Und ich fragte mich ständig, wohin die Geschichte laufen soll bei dem vielen Beiwerk. Mich konnte der Roman nicht packen, auch wenn er gut geschrieben ist – ein Krimi benötigt für mich mehr.
‹Ich bin nicht die Assistentin›, sagte sie. ‹Ich bin deine Partnerin.›‹Erst mal machen wir eine ordentliche BOHEMIA-Angestellte aus dir›, sagte er. ‹Bis Punkt 2 Uhr in der Poritscher Straße.›
Egon Erwin Kisch, 1885 - 1948, war ein österreichischer, später tschechoslowakischer Schriftsteller, Journalist, bekannt durch seine Reportagebände als «der rasende Reporter». Er gilt als einer der bedeutendsten Reporter in der Geschichte des Journalismus und als wichtiger Vertreter der Prager deutschen Literatur. Zu den Schriftstellern, mit denen er damals verkehrte, gehörten Paul Leppin, Rainer Maria Rilke, Max Brod, Franz Kafka und Jaroslav Hašek (Autor der Abenteuer des braven Soldaten Schwejk). Kisch war häufiger Gast in der Gaststätte «Zum Weißen Hasen», dem Treffpunkt der Prager Boheme, und im Nachtcafé «Montmartre».
Tabea Soergel, geboren 1983, ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig. Sie schreibt Rezensionen und Radiofeatures, auch immer wieder zu tschechischen Themen.
Martin Becker, geboren 1982 im Sauerland, rezensiert, porträtiert und schreibt Glossen und Kommentare für den WDR. Mit Tabea Soergel hat er eine Podcast-Soap für den MDR geschrieben. Becker hat am Literaturinstitut in Leipzig studiert und war in der Autorenwerkstatt 2005 des Literarischen Colloquiums Berlin. Er lebt in Berlin.

Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
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