Rezension
von Sabine Ibing
Wunder Punkt
von Sara Paretsky
Ich persönlich war die Verantwortung so leid. Ich war nicht Privatdetektivin geworden, um die Bürde von anderer Leute Sorgen zu tragen, sondern weil es mich reizte, die Hintergründe bestimmter Verbrechen aufzudecken. Mehr noch, ich genoss es, wenn ich für etwas Gerechtigkeit sorgen konnte.
Fünf Studentinnen fahren zum Auswärtsspiel nach Kansas, in Begleitung von Warshawski. Ihr Team siegt, es wird gefeiert. Am nächsten Morgen sind es nur noch vier. Privatdetektivin V. I. Warshawski soll auf die Suche gehen. Weit entfernt von Chicago, ihrem Terrain, versucht sie Sabrina zu finden. Zugegeschossen mit Drogen, kurz vor dem Ableben, findet sie die junge Frau in einem leerstehenden Haus, das anscheinend für Drogenpartys benutzt wird. Und sie entdeckt noch mehr. Die Leiche einer Frau: Clarina Coffin. Plötzlich gerät die Detektivin selbst unter Verdacht. Was geht in dieser Kleinstadt vor? Doch unter jedem Stein, den sie umdreht, kriechen neue Rätsel hervor.
In dieser Stadt gibt es einen, der etwas zu sagen hat – und das ist weder der oberste Richter, noch der Polizeichef. Diese Familie lässt jeden nach ihrer Pfeife springen. Clarina Coffin war besessen, einer Ursprungsfamilie aus diesem Ort anzugehören, hatte recherchiert. Sie hat in der Bibliothek nach alten Dokumenten geforscht, beim Katasteramt. Was hat sie herausgefunden, das ihren Tod besiegelte? Warshawski steht unter Druck, darf die Stadt nicht verlassen, und sie hat nicht den Eindruck, dass irgendjemand auch nur ansatzweise versucht, ihre Unschuld zu beweisen. Im Gegenteil. Aber sie ist gewieft genug, um nicht in ausgelegte Fallen zu tappen. Sie muss sich selbst helfen. Eigentlich ist sie noch angeschlagen vom letzten Fall, noch nicht wieder auf die Beine gekommen, eine leichte Drepression hatte sie in Watte gewickelt, macht sie müde; sie hat Schlafstörungen und Albträume.
Die Ereignisse zwingen Warshawski sich aufzuraffen und wieder die Fäden in die Hand zu nehmen, trotz der Dämonen, die sie heimsuchen. Sie reagiert und funktioniert weiter, hilft sich damit selbst auf die Beine zu kommen. Eine starke Frau, die das packt und beginnt, so ziemlich jedem in dieser Kleinstadt auf den Wecker zu fallen. Stück für Stück sucht sie die Puzzle zusammen, bringt Licht in die Geschichte. Die Privatschnüfflerin ist der Serientyp der kuragierten Aufrechten. Eins in die Gosche bekommen, aufstehen und weitermanchen – einschüchtern kann man sie nicht, wenn sie irgendeinem dreckigen Hinweis nachgeht. Sie ist eine klassisches Hardboiled-Heldin. Es geht wie immer um Macht und Gier, Gewalt des Stärkeren, um Ausgrenzung, Rassismus, gesellschaftliche Ungleichheit. Sara Paretsky steht für starke Charaktere und klasse Dialoge – und das liefert sie natürlich auch mit diesem Noirkrimi. Die Spannung entwickelt sich aus der Puzzlearbeit – denn wer wahrscheinlich dahintersteckt ist lange klar – nur warum, und wie kann man das beweisen? Hardboiled, Countrynoir, ein Whodunnit – ein spannender Kriminalroman auf hohem Niveau! So macht Kriminalliteratur Spaß!
Sara Paretsky, eine der renommiertesten Krimiautorinnen weltweit, studierte Politikwissenschaft, war in Chicagos Elendsvierteln als Sozialarbeiterin tätig, promovierte in Ökonomie und Geschichte, arbeitete eine Dekade im Marketing und begann Anfang der 1980er Jahre, den Detektivroman mit starken Frauen zu bevölkern. In der Geschichte der feministischen Genre-Eroberung, die den Hardboiled-Krimi aus dem Macho-Terrain herausholte und zur Erzählung über die ganze Welt machte, gehört Paretsky zu den wichtigsten Vorreiterinnen: Ihre Krimis um Privatdetektivin Vic Warshawski wurden Weltbestseller, mit zahllosen Preisen geehrt und in 30 Ländern verlegt. Sara Paretsky gehört zu den Gründerinnen des internationalen Netzwerks Sisters in Crime, engagiert sich gegen Sexismus und Rassismus und bloggt kritisch zur lokalen und US-Politik. Sie lebt in Chicago, dessen Straßen auch das angestammte Pflaster ihrer wehrhaft alternden Ermittlerin sind.
Sara Paretsky Wunder Punkt
Originaltitel: Pay Dirt
Hardboiled, Countrynoir, Whodunnit, Noirkrimi, Kriminalliteratur, Krimi, Kriminalroman, Amerikanische Literatur
Harcover, 500 Seiten
Aus dem Englischen übersetzt von Else Laudan
ariadne im Argument Verlag, 2024
Entsorgt von Sara Paretsky
Privatdetektivin V.I. Warshawski findet beim Gassigehen mit ihren Hunden am Ufer des Lake Michigan zwischen Klippen und Betonblöcken eine bewusstlose Jugendliche. Keine Papiere, kein Hinweis, wer sie ist. Und als Vic die 15-Jährige am nächsten Tag im Krankenhaus besuchen will, ist sie verschwunden und der Dolmetscher, den man geholt hat, ist ermordet. Alle möglichen Leute scheinen hinter dem Mädchen her zu sein. Warum nur? Vic hat kleine Aufträge in Chicago, hält sich gerade so über Wasser. Sie schiebt Nachtschichten zur Bewachung einer kleinen Synagoge, die immer wieder beschmiert wird, richtet den Leuten Überwachungskameras ein. Die letzten Auswirkungen von Corona überschatten maskenhaft das Land. Gesellschaftskritik pur. Eine Protagonistin, die man sofort ins Herz schließt. Klasse Charaktere, eine spannende Story. Empfehlung!Weiter zur Rezension: Entsorgt von Sara Paretsky
Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller


Kommentare
Kommentar veröffentlichen