Direkt zum Hauptbereich

Middletide – Was die Gezeiten verbergen von Sarah Crouch - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





Middletide – Was die Gezeiten verbergen 


von Sarah Crouch 

Gesprochen von Torben Kessler
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 10 Std. und 32 Min.



Ich würde alles für dich tun. Und wenn ich sage, ich würde alles für einen geliebten Menschen tun, dann meine ich wirklich alles.

Elijah Leiths und Nakita sind ein Paar, bis Elijah zum Studieren aufs Colleges in die Stadt verschwindet, um ein großer Schriftsteller zu werden. Sie verabreden vorher einen bestimmten Tag, vier Jahre später, an dem sie sich treffen wollen, egal was passiert … Nakita ist da – Elijah kommt nicht. Jahre später ist der Vater von Elijah verstorben, die Mutter lebt schon lange nicht mehr, und der gescheiterte Autor kehrt zurück in die kleine Küstenstadt Point Orchards im malerischen Puget Sound. Er steht auf dem Tiefpunkt seines Lebens;, das einzige Buch, das er zustande gebracht hat, verkauft sich nicht. Er bringt das verfallene Elternhaus auf Vordermann, alles, was er noch hat. Nakita hat geheiratet, ist aber gerade verwitwet und ist in ihrer Trauer versunken, will nichts mehr von ihm wissen.

Sie schlang die Arme fest um seinen Hals und kreischte, als er mit ihr in den See sprang und das kühle, klare Wasser sie beide verschluckte. Es wusch die Nesseln, den Schweiß und die Hemmungen ab, und als sie wieder an die Oberfläche kamen, lachte Nakita und drückte ihre Lippen auf seine. ‹Weißt du›, sagte er und küsste sie auf den Mund, auf die Wange, auf die Nase, ‹das hier ist wahrscheinlich mein Lieblingsplatz auf der ganzen Welt.› ‹Dann bleib›, flüsterte sie und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Er hielt sie lange so fest, prägte sich ein, wie sich ihr nasses Haar an seiner Brust anfühlte. Er würde diesen Moment – jedes kleinste Stückchen davon – in dem besonderen für Nakita reservierten Teil seines Gehirns aufbewahren. Ihre sonnengewärmte Haut, das Salz auf ihren Lippen, der Rhythmus ihres Herzens so nah an seinem.

Ein gebrochener Mann kehrt zurück

Elijah schottet sich zunächst ab, umgeben von moosbewachsenen Tannen und glitzernden Wasserläufen – das Haus wird zu seinem Rückzugsort in Washington. Er nimmt sich den Garten vor, kultiviert ihn, um sich selbst zu versorgen. Gemüse im Garten, Fisch im See und ein wenig Wild. Er braucht nicht viel. Der Freund von seinem Vater bietet ihm einen Job in der Autowerkstatt an. Es fängt an, rund zu laufen. Und dann hat die hübsche Ärztin ein Auge auf ihn geworfen. Allerdings wird aus dieser Laison nichts, sie passen nicht zusammen. Da läuft ihm Nakita über den Weg und sie nähern sich ganz langsam an. Kann es eine Zukunft geben? Doch dann wird die Lehrerin tot aufgefunden und Elijah gerät unter Verdacht, sie ermordet zu haben.

Er wischte sich das Wasser aus den Augen und schaute sich um. Ihm wurde klar, dass er zum ersten Mal alleine hier war. In dem traumhaften Sommer, bevor er in die Stadt gezogen war, war er fast jeden Tag hier gewesen, aber immer mit Nakita. Sogar jetzt, fünfzehn Jahre später, fühlten seine Arme sich ganz leer an als er alleine im Wasser stand, ohne sie ans Ufer tragen zu können. Das Wasser tropfte ihm aus den Haaren und rann auf seine Schultern hinab. Ihm war plötzlich etwas klar, dass er verdrängt hatte, seit er nach Hause gekommen war – es war, als hätte das klare Wasser des Sees eine Art Nebel in seinem Kopf weggewaschen. Hatte er während dieser letzten Wochen nicht gehofft, ihr irgendwo in der Stadt zu begegnen, mindestens genau so sehr, wie ihm davor gegraut hatte?

Wer hat Elijah ganz professionell hereingelegt, Indizien präpariert?

Ein Kriminalroman mit überraschenden Wendungen, eine Liebesgeschichte, die gerade so am Kitsch vorbeischrammt, ein wenig Naturewriting in der Naturkulisse des Pazifischen Nordwesten, ein guter Genremix. Das einzige Buch, das Elijah jemals geschrieben hat, heißt «Middletide» und ist ein Krimi. Der dort beschriebene Mord überschneidet sich in allen Einzelheiten mit dem Mord an der Lehrerin. Der Sheriff erhält das Buch anonym zugeschickt mit dem Hinweis: «Sheriff Godbout, Erin Landrys Tod war kein Suizid. Bitte lesen.», ist Elijah Leith ist ab diesem Zeitpunkt der Hauptverdächtige. Aus der Nummer kommt er nicht heraus – alle Indizien, die gefunden werden, Fingerabdrücke, DNA, weisen auf ihn. 


Große Gefühle

Alle Protagonisten haben mit einem Verlust zu kämpfen und gehen auf verschiedene Weise damit um. Der Vater von Elijah hat den Verlust seiner Frau im Alkohol ertränkt – er war nicht einfach ein Säufer; aber das begreift Elijah erst nach seinem Tod und bereut, dass er nicht früher zurückgekommen ist und mit ihm geredet hat. Elijahs Verlust ist sein Traum – der, ein großer Schriftsteller zu werden. Die Lehrerin kann den Tod ihrer Tochter nicht überwinden, und auch Nakita muss zunächst die Hoffnung begraben, dass Elijah zurückkommt, später den Tod ihres Mannes verkraften. Das Ganze ist in einen interessanten Kriminalfall verwoben. Hier laufen die großen Gefühle zusammen, Liebe, Enttäuschung, Verrat, Trauer, Schuld, Hass und Vergeltung, ein Schlag Kitsch zum Verzieren; eben das, woraus immer wieder neu erzählt, ein guter Roman entsteht – nette Unterhaltungsliteratur, Kriminalliteratur, Justizroman. 


Sarah Crouch ist vor allem für ihre Leistungen im Bereich der Leichtathletik als Profi-Marathonläuferin bekannt. Die Autorin ist im Pazifischen Nordwesten der USA aufgewachsen und lebt momentan mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern im Süden. ›Middletide – Was die Gezeiten verbergen‹ ist ihr Debütroman.




Sarah Crouch 
Middletide – Was die Gezeiten verbergen 
Gesprochen von Torben Kessler
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 10 Std. und 32 Min.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Lena Kraus
Kriminalliteratur, Kriminalroman, Justizroman, Unterhaltungsliteratur, amerikanische Literatur, Puget Sound, Point Orchards, Washington
Der Audio Verlag, 2025
dtv Verlag, Hardcover, 384 Seiten





Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Flusslinien von Katharina Hagena

  Gesprochen von Ruth Reinecke, Chantal Busse, Julia Nachtmann, Jesse Grimm Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 11 Std. und 15 Min. Margrit Raven ist hundertzwei und wartet auf den Tod. Früher war sie Stimmbildnerin , jetzt lebt sie in einer Seniorenresidenz an der Elbe . Die Erinnerungen und Ausflüge in einen Park halten Margrit am Leben - und die Besuche ihrer zornigen Enkelin Luzie, die sich kurz vor dem Abitur von der Schule abgemeldet hat. Sie übernachtet nun allein in einer Hütte für Sportler an der Elbe, will Tätowiererin werden. Und dann ist da noch Arthur. Wenn er gerade niemanden zur Dialyse fährt, sucht er mit einer Metallsonde den Strand der Elbe ab, erfindet Sprachen, kämpft für gefährdete Arten und ringt mit einer Schuld. Zu viel hier und da gefischt, irgendwie zusammengekocht, ein Einheitsbrei, bei dem mir die Tiefe zu einem Thema fehlte. Sprachlich gut, das haut es raus – aber alles zu weit ausgewalzt. Weiter zur Rezension:    Flusslinien von Katharina Hag...

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier