Rezension
von Sabine Ibing
Die Witwe
von Helene Flood
Gesprochen von Cornelia Tillmanns
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 10 Std. und 41 Min.
Der Anfang:
Kurz bevor sie kommen, zünde ich alle Kerzen an. Die auf dem Esstisch, die auf der Anrichte, die im Regal. Ich mache mir Mühe. Mit all diesen offenen Flammen an einem so hellen Juniabend möchte ich ihnen wohl etwas beweisen. Vielleicht, dass ich keine Angst habe.
Eine gutbürgerliche Nachbarschaft in Oslo, Evy ruft ihrem Mann nach: «Fahr vorsichtig!» Wenige Minuten später erleidet Erling wieder einen Fahrradunfall und stirbt im Krankenhaus. Ein Herzinfarkt? Zurück bleiben Evy, mit der er seit fünfundvierzig Jahren verheiratet war und seine drei Kinder. Der Unfall lässt Fragen offen, denn wo sind die Herzmedikamente, sein Terminkalender, und wo ist sein Fahrrad? Die Polizei ermittelt, da Erling ohne diese Dinge aufgefunden wurde. Ein Testament schockiert die Familie: Erling hat kurz vor seinem Tod fast sämtliches Bargeld in Immobilien investiert. Eine Familientradition – wie besprochen, sollte weitergeführt werden, doch sie ist gebrochen: Der älteste Sohn erbt nicht das Haus, das seit langer Zeit im Familienbesitz von Erlings Familie ist, an den ältesten Sohn weitergegeben wird. Sämtliche Immobilien gehen an Evy – die Kinder erhalten so gut wie nichts. Die Kinder können es nicht fassen, war der Vater nicht mehr Herr seiner Sinne?
Die Bremsen funktionierten nicht, er konnte nicht anhalten und landete im Straßengraben. Er verletzte sich nicht schwer, hatte nur ein paar Schürfwunden. Es war ja ein Glück, dass er dort anhalten wollte. Wären ihm die Unterlagen nicht in den Sinn gekommen, hätte er vermutlich erst im Husebybakken gebremst, und dort wäre es viel schlimmer ausgegangen.›‹Ja, da hatte er Glück. Hat er herausgefunden, was passiert ist?›‹Nicht, dass ich wüsste. Es lag wohl bloß an den Bremsen. Es ist ein altes Fahrrad, wissen Sie. Erling repariert viel selbst. Manchmal macht er dabei Fehler.›‹Und gab es noch andere Unfälle?›‹Nein.›
Irgendetwas – das wird Evy immer klarer – stimmt nicht mit dem Tod ihres Mannes. Gegenstände verschwinden aus dem Haus, die drei erwachsenen Kinder verbergen Dinge vor ihr, und die Kellertür, die immer verschlossen ist, steht plötzlich offen. Nach vielen Jahren taucht ein alter Freund aus Erlings Jugend auf, und berichtet Evy, dass sie sich regelmäßig trafen und Erling der Meinung war, jemand wolle ihn umbringen – wahrscheinlich eins seiner geldgierigen Kinder. Und darum sei auch Evy in Gefahr. Der Tod von Erling ist möglicherweise auch ein gut inszenierter Mord gewesen, den man nicht beweisen kann. Der Sohn habe Erling um Geld gebeten, weil seine Firma auf die Pleite zusteuere, und die mittlere Tochter ebenso, sie wolle ein Haus kaufen. Die Jüngste, eine Künstlerin, leide chronisch unter Geldmangel. All das hat Evy nicht gewusst. Und da war dieser merkwürdige Fahrradunfall, bei dem die Bremsen an Erlings Fahrrad nicht funktionierten, nur durch Zufall ist er dem Tod von der Schippe gesprungen. Damit hat es angefangen! Was soll sie jetzt tun – die beiden Älteren bedrängen sie bereits. Kann das möglich sein?
Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie mein Sohn sich sein Leben wünschen würde, wenn er sich noch mal entscheiden könnte, aber wenn ich darüber nachdenke, habe ich den Eindruck, dass er immer etwas unpässlich wirkt, als hätte er einen Pullover an, der nur beinahe passt, und als würde er unablässig an dessen Seiten herumzupfen, den Bund herunterziehen, versuchen, ihn dazu zu bringen, so zu sitzen, wie er ihn haben will.
Auch auf Evy werden Mordanschläge inszeniert. Haben sich die Kinder zusammengetan oder ist es nur einer aus ihren Reihen? Wenn ja, wer versucht die Eltern zu töten? Evy muss eine Lösung finden, denn sie ist in Gefahr! – So genau weiß ich nicht, wie ich den Kriminalroman bewerten soll. Langweilig wäre falsch, aber spannend ist er bei weitem nicht. Er plätschert dahin, es dreht sich viel um die Ehejahre mit Erling im Rückblick. Evy hat ein Alkoholproblem, denn sie war nicht wirklich glücklich in ihrem Leben, aber auch nicht unzufrieden. Das Leben plätscherte so vor sich hin, wie auch dieser Roman. Ich dachte die ganze Zeit, irgendwann fällt der Hammer, die Erkenntnis, die Wendung, irgendwann gibt Helene Flood Gas – und dann war das Buch zu Ende. Glücklicherweise gibt es mit den letzten Sätzen eine Aufklärung, aber das war mir dann auch egal. Begeisterung klingt anders. Immer wieder lässt die Autorin die ausgelegte Angelschnur zappeln – um darauf wieder Ruhe einkehren zu lassen und sich den Ehejahren zu widmen oder der Betrachtung ihrer Kinder. Die anfangs depressiv wirkende Evy, die in dem großen dunklen Haus wohnt, das sie nie mochte, fängt an zu wachsen, sich zu befreien, auch vom Alkohol. Letztendlich passiert hier nicht viel, es ist das Gedankenspiel einer Frau, die resümiert und sich entscheiden muss, wie es im Leben weitergeht, das in einer sehr distanzierten Icherzählung. Für wen eignet sich dieses Buch? Auf keinen Fall für jemanden der Action oder Spannung sucht. Ein Thriller für Lesende, die eigentlich mit dem Genre nichts am Hut haben, die in eine gut erzählte Lebensgeschichte eintauchen möchten. Die Stimme von Cornelia Tillmanns hat es mir auch nicht leichter gemacht, knazig in depressivem Grundton, als finge sie jeden Augenblick an zu weinen. Das hat am Anfang gepasst, mich nachher geher genervt.
Helene Flood ist Psychologin und lebt mit ihrer Familie in Oslo. Ihr erster Roman »Die Psychologin«wurde bereits vor Erscheinen in Norwegen in achtundzwanzig Länder verkauft. Er stand monatelang auf der Bestsellerliste, eine Verfilmung ist geplant. Auch »Die Affäre« und »Die Witwe« wurden von Publikum und Presse begeistert aufgenommen.
Die Witwe
Gesprochen von Cornelia Tillmanns
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 10 Std. und 41 Min.
Originaltitel: Enken
Aus dem Norwegischen übersetzt von Sylvia Kall
Kriminalroman, Kriminalliteratur, Whodunnit, Norwegische Literatur
Wunderkind Audiobooks, 2025
btb Verlag, 2025 Klappenbroschur, 352 Seiten

Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
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