Rezension
von Sabine Ibing
Feuer auf den Bergen von Romina Casagrande
Die Langeweile der Tage im Dorf, der Weg, den er hinter sich gebracht hatte, die Schritte, die bereits im sich wiederaufrichtenden Gras verschwanden, zählten nicht mehr. Vor ihn lagen Felder mit weißen Blumen, deren Namen er nicht kannte. Und weiter hinten, wo der Blick endete und die ersten Schatten des Abends aufzogen, war der Wald. Schwarze Bäume mit Wipfeln wie Speerspitzen. Unbewegt, geheimnisvoll, verführerisch wie alles Verbotene.
Mächtig sind die Berge, hart ist das Leben der Landwirte an der Grenze zwischen Italien und Österreich. Luce lebt in den späten Siebzigern mit ihrem Vater und Bruder versteckt im Wald. Nachts riskieren die Männer auf alten Schmugglerpfaden ihr Leben, doch die Welt verändert sich schnell. – Der Junge mit dem Wolfshund, der sich Hase nennt, der mit dem Auto verunfallte, will nicht zurück nach Hause. Er glaubt, er kann im Wald überleben; bloß nicht in ein Heim gesteckt werden. Zunächst klappt das Überleben in einer Höhle, doch im Winter wird es schwierig; er bricht in eine alte Hütte ein. Luces Familie gehört dieses Haus. Sie greifen greift ihn auf – und er darf bei ihnen bleiben.
Jan bleibt nicht viel Zeit, um das Kind zu finden
Man erzählte, er hätte es nicht gut aufgenommen, dass seine einzige vielversprechende Tochter in einer Dorfschule eine Bande zerlumpter, nach Stall stinkender Bauernkinder unterrichtete, die schwerer zu hüten waren als ein Sack Flöhe.
Luces großer Bruder durfte zur Schule gehen, sie nicht, der Vater hatte es verboten. Sie wünscht sich nichts mehr, als der Enge rund um den hinteren Seelenkogel zu entkommen. Und sie wäre so gern eine Schmugglerin, wie ihr Vater und ihr Bruder. Und dann begegnet ihr der Junge, der versucht, im Wald zu überleben. Es gibt eine Parallelhandlung, die Jahre später handelt: Jan macht sich auf in die Berge, denn ein Kind wird vermisst. Keiner kennt sich dort oben so gut aus wie er. Doch ihm bleibt nicht viel Zeit, um das Kind zu finden, das erfrieren könnte. Atmosphärisch mit allen Sinnen ist die Geschichte in die Welt der Berge und die des Waldes von Südtirol in Prosa eingebunden.
Historisches aus Südtirol
Niemand mochte Regeln, und wenn er ein Bauernsohn war, musste er daran gewöhnt sein, hart zu arbeiten, Schläge einzustecken und den Kopf einzuziehen. Wenn man immerzu gehorsam sein musste, auch dann, wenn Befehle keinen Sinn ergaben und einem das Nachdenken abgesprochen wurde, so als wäre man ein Lasttier, keimten im Herzen die Samen der Wut, die unter dem ersten Regen wuchsen. Aus einem einzigen Samen, der in der Erde aufging, konnte ein ganzer Wald werden, der einen mit seinen Dornen für immer gefangen hielt.
Eine Zeit des Umbruchs. Die Bauern sind die harte Arbeit auf dem kargen Boden leid. Es bieten sich neue Perspektiven mit Sommerfrischlern. Die Höfe werden umgebaut in Gastwirtschaften und Pensionen. Nur Luces Familie hält fest an den Traditionen und auch am Schmuggeln in der Cima della Anime. Eine Familientragödie rund um den Unabhängigkeitskampf Südtirols. Unter dem Schlagwort Südtirol-Paket wurde 1969 vom österreichischen Nationalrat und 1971 vom italienischen Parlament genehmigt, Südtirol ein Autonomiestatut zu geben, das erst 1992 erst wirklich umgesetzt wurde. Der Kampf darum ist ist ein Teil dieser Geschichte. Die stolzen Südtiroler wollten es sich nicht bieten lassen, dass man ihnen ihre Identität raubt und dass sie von den Regierungen so lange an der Nase herumgeführt wurden. Der auktoriale Erzähler ist manchmal ein wenig ausufernd in dieser Geschichte und hin und wieder neigt sie, in Kitsch abzudriften. Es hält sich aber in Grenzen. Ein interessanter Roman, der eine Zeit des Umbruchs einfängt. Vielen ist nicht bewusst, wie arm die Bergbauern in Österreich und Tirol früher waren. Erst der Tourismus hat den Wohlstand gebracht. Auch Tirol hat eine eigene Geschichte, die von vielen Kämpfen gezeichnet ist. Ein interessanter Heimatroman.
Die Alte hatte geantwortet, dass es die Bücher gewesen seien, für die sie im Dunkeln über die Felsen geklettert war und riskiert hatte, von einer Kugel getroffen zu werden.
Als Mussolini an die Macht gekommen war, wurden die deutschen Schulen in den Dörfern Südtirols geschlossen und der Gebrauch der deutschen Sprache verboten. Aber die Lehrer unterrichteten die Kinder heimlich weiter, versammelten sie in Scheunen oder Kellern. Die Bücher waren aus dem Norden gekommen, versteckt in den Rucksäcken der Schmuggler, der Grenzjäger, wie Oma Ebe sie nannte.
Ein klangvoller Name, auch wenn Luce nicht sicher war, ob sie die Bedeutung verstand.
Romina Casagrande, geboren 1977, lebt in Meran in der Provinz Bozen in Sudtirol. Ihre Mutter ist deutsch, ihr Vater Ttaliener. Mit ihrem Roman - Als wir uns die Welt versprachen« gelang ihr auf Anhieb der Durchbruch als Autorin, auch ihr zweiter Roman »Feuer auf den Bergen« wird in viele Sprachen übersetzt. Romina Casagrande har klassische Literatur und Geschichte studiert, für Museen in Sud-tirol gearbeiter und unterrichter als Mittelstufen-Lehrerin. Sie liebt die Narur, besonders die Berge, ihr Zuhause teile sie mit ihrem Mann, drei Papageien und zwei Hunden.

Feuer auf den Bergen
Originaltitel: I bambini del bosco, 2021
Aus dem Italienischen übersetzt von Teresa Englert
Zeitgenössische Literatur, Heimatroman
Hardcover mit Schutzumschlag, 432 Seiten
Krüger Verlag, S. Fischer Verlage, 2023
Zeitgenössische Literatur

Zeitgenössische Roman
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