Rezension
von Sabine Ibing
Grazie Roma
von Daniel Gottschlich, Sebastian Späth und Dimitrios Katsavaris
Wie ich mein Sternerestaurant zurückließ, in Italien Inspiration für neue Gerichte fand und mich am Ende selbst überraschte
Im Gegensatz zu Daniel Gottschlich, dem Autor dieses Buches, war er nie in der Villa Massimo, aber das Land, in dem die Zitronen blühen, hat er sehr geliebt, und es hat ihn zu vielfältigen, noch heute inspirierenden Arbeiten angeregt: Die Rede ist von Joseph Beuys, dem Künstler, der den sogenannten »erweiterten Kunstbegriff« geprägt hat. Daniel Gottschlich, Kurzzeitsti- pendiat der Villa Massimo im Herbst 2023, fühlte sich von der Erläuterung, dass Joseph Beuys das Kreative mit dem Künstlerischen gleichsetzte und damit der Kunst weite Tore öffnete, in seinem Schaffen verstanden. Kunst ist aber durchaus auch für Beuys nicht immer gleichbedeutend mit »guter Kunst«. Innerhalb der eigenen schöpferischen Gilde hohe Auszeichnungen zu erhalten – und zwei Michelin-Sterne für Daniel Gottschlichs Küche sollten doch für sich sprechen –, wäre vermutlich für Joseph Beuys als Kriterium guter Kunst nicht durchgegangen.
Daniel Gottschlich erhielt als erster Koch das Stipendium an der Deutschen Akademie in Rom – die bedeutendste Auszeichnung für deutsche Künstler im Ausland. Ein Koch, als Künstler? Man argumentierte mit dem von Joseph Beuys geprägtem «erweiterten Kunstbegriff», der das Kreative mit dem Künstlerischen gleichsetzt. Sieben Wochen lang überließ er seine Kölner Restaurants «Ox & Klee» und «Pvls» seinem Team und bezog ein Apartment in der Villa Massimo. Eine für ihn unvergessliche Zeit begann: Tage des Austauschs und der Inspiration, Stunden voller kreativer Eindrücke und künstlerischer wie musischer Erlebnisse. Im Mittelpunkt aber stand: die ausgezeichnete italienische Küche. Neben dem Reisebericht und den Eindrücken gibt es 30 Rezepte. Kochen ist nicht Daniel Gottschlichs einzige kreative Begabung. Denn vorgeschlagen wurde er für das Stipendium vom Komponisten und Mitglied der Auswahlkommission für Musikkomposition an der Villa Massimo, Vito Žuraj, der selbst gern kocht. Es entstand eine Freundschaft zwischen ihm und dem Drummer-Gourmet-Küchenchef.
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Pistazienlassagne mit Spinat und Mozzarella |
Dass Gottschlich, der für gewöhnlich mit seiner kleinen Band auftritt, seinen Stipendienaufenthalt in Rom mit einem Konzert in Europas größtem Konzerthaus, dem Auditorium Parco della Musica Ennio Morricone, mit keinem Geringeren als dem 2024 mit dem Silbernen Löwen der Musikbiennale in Venedig ausgezeichneten Ensemble Modern abschloss, spricht dafür, dass er eine wirkliche Doppelbegabung hat, die womöglich beiden Tätigkeiten, der Musik und dem Kochen, zugutekommt.
Die Rezepte beginnen mit seiner Lieblingspasta: Weiße Bolognese mit großen Fusilli, Brotcroûtons und Parmesan. Bolognesesoße mit Sahne ein Unding? Der Sternekoch meint: Tausend Mal die «rote Variante» gegessen, einfach mal was anderes kochen, besonders hebt er die Crispyness des Brotes zu den Nudeln hervor. Im Gepäck nach Rom sind Schlagzeug, Gitarre, Mikrofone, Audio Interface, Thermomix, Pacojet und einen Sous-Vide-Garer für die berühmte Villa Massimo, in der große Literaten und Künstler vor ihm weilen durften. Der erste Eindruck ist dann doch ernüchternd:
Soll ich ehrlich sein? Als ich die sonnendurchflutete, großzügig geschnittene Wohnung durchstreife, kann ich meine Enttäuschung kaum unterdrücken. Ein Maler mag hier ideale Voraussetzungen vorfinden, aber ein Koch? Ich stelle mein Gepäck ab und mustere argwöhnisch die Küche. Sie ist kaum größer als ein Kleiderspind. Ich weiß auch nicht, wie ich überhaupt darauf gekommen bin, aber in meinen Träumen erwartete mich eine opulente, offene Wohnküche mit weitläufiger Kochinsel, wie man sie aus New Yorker Loft-Wohnungen kennt. Das war wohl naiv. Schließlich bin ich der erste Koch hier. In ihrer Bauzeit zwischen 1910 und 1913 waren diese Studios ausschließlich für Bildende Künstler und Architekten gedacht.
Handgeklopftes Kalbs-Carpaccio mit Melone, Tomate und Mandeln – der italienische Klassiker neu interpretiert. Oder Fleisch in Scheiben – mit Kartoffel, Haselnuss und Parmesan. Das Einstiegsdinner von Gottschlich, Austerntatar mit Limette, Physalis und Wildreis kommt gut an, ebenso seine Suppli al telefono (der Mozarella zieht lange Fäden), frittierte Reisbällchen, die er mit Sardellen bestückt. Als Dessert gab es Tiramisu mit Banane und Pekannüssen, mit Briochescheiben anstatt Bisquit als Unterlage. Wir erfahren, das Lamm in der Osteria Chiana war sicherlich nicht das beste Gericht, das Gottschlich in Rom gegessen hat, also hat er sich am nächsten Tag hingesetzt, selbst eins entworfen, das hier präsentiert wird. Daniel Gottschlich schlenderte begeistert über die Märkte der Stadt, entdeckte kleine Lebensmittelläden und Trattorien, kam mit Marktfrauen, Köchen und Künstlern ins Gespräch. Abseits seines Alltags in Köln und beflügelt vom Geist der Ewigen Stadt entwickelte er gänzlich neue Rezepte. Gottschlich lernt echten Mozzarella di Bufala Campana lieben, den man auf keinen Fall in den Kühlschrank legen soll. Und wer diesen Mozzarella oder den echten Burrata kennt, kann mit dem Supermarktzeug nicht so recht etwas anfangen. Zumindest geht es mir so. Und der Sternekoch lernt die italienischen Mücken kennen: «Als ich aufwache, besteht mein gesamter Körper gefühlt nur noch aus Mückenstichen.» Dabei ist es in Rom gar nicht so schlimm. Gut, auch dort sprüht man sich ein, bevor man das Haus verlässt, aber im Veneto und Umbrien wird man ohne Vorsorge förmlich aufgefressen. Als Gastgeber hat man freundlicherweise stets Autan auf dem Balkontisch oder der Terrasse stehen.
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Strazzapretti mit Miesmuscheln, grüner Paprika und Tomaten |
Die Kombination aus Fisch und Fleisch ist immer wieder etwas Besonderes, vor allem, wenn sie so gut harmoniert wie hier: der fette Bonito und der reichhaltige Guanciale. Fett ist schließlich ein Geschmacksträger, und dieses Gericht ist wohl der beste Beweis dafür – besonders, wenn man noch eine Hollandaise dazu reicht.
Strazzapretti mit Miesmuscheln, grüner Paprika und Tomaten, die in der Soße gekocht werden, so das Aroma des Muschelfonds aufnehmen oder Kalmar mit schwarzem Risotto, Ochsenherztomate und Frühlingslauch. Pistazienlassagne mit Spinat und Mozzarella (die mache ich übrigens schon ewig mit Spinat – meistens) die nicht mit Bolognese- und Béchamelsauce hergestellt wird. Letzteres ist langweilig, sagt Gottschlich, und macht sich an diese römische Spinatversion des Klassikers. Pasta al Nero di seppia mit Oktopus und Bottarga: Oktopus, Tinte, Bottarga und das Meer – eine intensive Kombination aus Meeresaromen. Käse und Honig, Feigen mit Fleisch, Salsiccia zu Röhrennudeln oder Bonito alla Carbonara, wobei der gare Thunfisch mit gewürfeltem, ausgelassenem Guanciale bedeckt wird, mit einer Hollandaise übergossen, die mit Nussbutter und dem Fett des Guanciale aufgeschlagen wird – ungewöhnlich, aber es klingt gut, manches ziemlich mächtig.
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Pasta al Nero di seppia mit Oktopus und Bottarga |
Gottschlichs Rezepte sind in Rom entstanden – das ein oder andere mutet italienisch an, bei anderem trifft der deutsche Sternekoch Italien mit seinen ureigenen deutschen Wurzeln und vermischt das eine mit dem anderen. Sehr interessante Gerichte sind hier entstanden. Vom Schwierigkeitsgrad einfach bis ein wenig kompliziert. Ein wenig Kocherfahrung sollte man mitbringen. Leider ist Gottsch ich ein Sardellenfan, die in zu vielen Rezepten zu finden sind. Lieber verhungere ich, als nur ein MÜ Sardelle in meinem Essen zu haben. Aber das ist mein Problem und ich weiß, dieses Geschmacksfeld zu umschiffen. Gottschlichs Resümee: «Kochen ist mehr als Handwerk, es ist eine Kunstform.» Wirklich interessant ist die gesamte Geschichte, die Erlebnisse, Begegnungen – teilweise ist das recht witzig. Da wird er eingeladen zu kochen, Sterneköche sind anwesend … Der deutsche Koch kauf ein und großes vorzubereiten, doch oh Schreck, er trifft auf einen Campingkocher und einen kleinen Grill. Alles keine Problem, im Team geht alles gut. Eine Mischung aus Reiseliteratur und Kochbuch mit hervorragenden Fotos!
Daniel Gottschlic, geboren 1982, ist ein Sternekoch und Musiker aus Köln sowie Betreiber des 2-Sterne-Restaurants »Ox & Klee« und des Restaurants »Pvls«. 2023 war er Stipendiat an der Deutschen Akademie in Rom und zu Gast in der Villa Massimo.
Sebastian Späth, geboren 1991, ist nach Stationen bei SPIEGEL, Stern u. a. seit 2023 Deutschland-Chefredakteur von Falstaff. Er ist auf Ästhetik- und Geschmacksfragen spezialisiert und hat die Co-Autorenschaft von Gottschlichs Buch ›Grazie Roma‹ übernommen.
Dimitrios Katsavaris ist ein Fotograf und Musiker aus Köln. Er hat Daniel Gottschlichs Erlebnisse in Rom fotografisch festgehalten und seine Fine-Dining-Rezepte in Szene gesetzt.

Grazie Roma
Wie ich mein Sternerestaurant zurückließ, in Italien Inspiration für neue Gerichte fand und mich am Ende selbst überraschte
Erzählendes Sachbuch, Reiseliteratur, Kochbuch, Italienische Küche, Kulinarisches, Mediterrane Küche, Sachbuch, Lieblingsrezepte, Weltküche
Hardcover, 176 Seiten, 20.6 x 24.8 cm
DuMont Verlag, 2025

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