Direkt zum Hauptbereich

Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min.


Der Anfang: 

Die silberne Zwei-Pence-Münze tanzte über die Theke, mit sirrendem Klang, bis Obediah Chalon der Sache mit seinem Zeigefinger ein Ende bereitete. Er nahm das Geldstück an sich und musterte die Bedienung. ‹Guten Morgen, Miss Jennings.›  ‹Guten Morgen, Mister Chalon›, erwiderte die Frau hinter der Theke. ‹Mächtig kalt für einen Septembermorgen, findet Ihr nicht?›  ‹Nun, Miss Jennings, nicht kälter als vergangene Woche, würde ich meinen.›


Wir schreiben das Jahr 1683, die Osmanen belagern Wien, Kaiser Louis XIV. trachtet nach neuen Gebieten auf dem Kontinent, Willem von Oranien wird kurz darauf William III. werden, König von England. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Es gelingt ihm die Flucht nach Amsterdam, wo er einige Monate später im Knast landet. Als Strafe würde der Tod auf ihn warten; doch dafür ist er zu wertvoll und wird stattdessen von der Niederländischen Ostindienkompanie erpresst. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC) bietet Obediah  die Möglichkeit, der Strafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen.


‹Ich wollte Euch einfach darauf hingewiesen haben, dass manche der Meinung sind, dass der Kurs von Nelkenoptionen nicht viel weiter steigen wird. Schließlich hat er sich bereits mehr als verdoppelt.›

‹Nun, ich glaube, dass er noch viel höher klettern wird. Deshalb möchte ich eine beachtliche Menge erwerben.› 

‹Von welcher Summe reden wir?›

‹Fünftausend Gulden.›

‹Allmächtiger! Wisst Ihr etwas, dass ich nicht weiß?›

‹Würde ich sonst bereits überteuerte Papiere in so großer Zahl kaufen wollen?›, fragte Obediah. ‹Vermutlich nicht, dafür seid selbst Ihr zu ver …... ich meine, Ihr seid zu beschlagen in diesen Dingen. Wollt Ihr mich nicht an Eurem Wissen teilhaben lassen?›

‹Mister Bryant, nun beleidigt Ihr meine Intelligenz.›

‹Verzeiht. Einen Versuch war es wert.›

‹Selbstverständlich werde ich Euch verraten, warum der Preis für Nelken bald weiter in die Höhe schießt. Aber natürlich erst, wenn Ihr eine Gegenpartei für mich aufgetrieben habt und das Geschäft unter Dach und Fach ist.›

‹Damit ich Euer Gerücht rumerzähle, den Preis treibe und kurz darauf die halbe Exchange Alley ins Nelkenfieber verfällt?›


Europa befindet sich im Griff einer neuen Droge: Kahve. Philosophen in London, Gewürzhändler in Amsterdam und Dichter in Paris: Sie alle treffen sich in Kaffeehäusern und konsumieren das Getränk der Aufklärung. Das begehrte schwarze Getränk ist teuer, denn die Osmanen haben das Monopol darauf und wachen streng über ihren Schatz, einschließlich der Pflanzen. Wer sie aus dem Jemen herausschmuggeln will, wird mit dem Tod bestraft. Der Export läuft ausschließlich über die jemenitische Hafenstadt al-Muchá (Mokka), die im 16. Jahrhundert der wichtigste Welthafen für den Kaffee-Export war, wodurch der Kaffee seinen Namen erhielt. Im Jemen angebaut, geröstet, von hier aus in die ganze Welt verschifft, hochbewacht, verließ nicht eine Bohne das Land, ohne von den Türken genehmigt zu sein. Die Pflanzungen wurden streng bewacht. Bekanntlich hat die Schutzaufsicht nicht funktioniert. Die niederländische Kolonie auf Java avancierte plötzlich schnell zu einem der ertragreichsten Kaffeeanbaugebiete der Welt, wodurch Mokka seinen Stand verlor. Java war so bedeutend für die Niederländer, dass 1830 ein Großteil des nach Europa exportierten Kaffees dort produziert wurde. 


‹Die Österreicher sind, wie Ihr wisst, ein besonders verweichlichtes Volk. Und am schlimmsten sind die Wiener. Sie halten Kaffee für zu bitter und deshalb mildern sie seinen Geschmack.›

‹Mit Honig, Graf?› 

‹Nein, sie geben Rohrzucker hinzu. Das alleine wäre bereits abominabel. Aber dann gießen sie noch Sahne hinein.› 

‹Nein!›

‹Ich schwöre es.›


Nur, wie schafften die Niederländer es, die stark bewachten Kaffeepflanzen zu stehlen um in Java anzubauen? Tom Hillenbrand steigt in das Thema ein mit seinem spannenden Abenteuerroman voller exotischer Schauplätze und exzentrischen Figuren. Der Roman erinnert ein wenig an ein Musketier-Abenteuer auf See. Denn die Franzosen sind bald den Kaffeedieben auf der Spur mit Gatien de Polignac, einen Capitaine der Musketiere. Hillenbrand schafft sprachliche Authentizität, was mir sehr gut gefallen hat und er schafft wissenschaftliche Dispute zwischen den Protagonist:innen, die den damaligen Stand der Wissenschaft der Zeit in Anfängen der Aufklärung zeigen, und der Autor lässt passende kleine historische Ereignisse einfließen. Obediah Chalon soll die Pflanzen stehlen, bekommt eine Menge Geld in die Hand, das zu bewerkstelligen. Und er hat einen waghalsigen Plan, stellt ein Team internationaler Spezialisten zusammen, um das scheinbar Unmögliche auf den zu Wege bringen. Die spektakuläre Reise in den Orient scheint zunächst zu gelingen, doch schon bald sind immer mehr Mächtige hinter ihnen her. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem nicht nur  Obediahs Zukunft, sondern auch die des Kaffees in Europa auf dem Spiel steht. Ein spannendes historisches Abenteuer voller Intrigen auf der Jagd nach dem schwarzen Gold des Orients – Kaffee! Wie üblich, ist bei einem Abenteuerroman die Priorität auf die Handlung gesetzt, weniger auf die Figuren. Die Hauptfigur, Obediah, ist ein wenig tiefer ausgelotet: Abgehalfterter Adel, der den Titel und Erziehung nutzt, um seine intelligenten Gaunereien durchzuziehen. Ein historischer Abenteuerroman, ein Gaunerroman, der Spaß macht.


Tom Hillenbrand, studierte Europapolitik, volontierte an der Holtzbrinck-Journalistenschule und war Redakteur bei SPIEGEL ONLINE. Seine Bücher erscheinen in vielen Sprachen, wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.



Tom Hillenbrand 
Der Kaffeedieb 
Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min.
Historischer Roman, Kaffee
SAGA Egmont, 2016
Kiepenheuer & Witsch, 2016 KiWi Hardcover und Taschenbuch, je 480 Seiten



Historische Romane und Sachbücher

Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter.  Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz.  Hier gibt es Romane und Sachbücher mit echtem historischen Hintergrund.
Historische Romane

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz Karnauchow und Petra Thees

  Alter könnte so schön sein. Doch ältere Menschen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert. Schlimmer noch, sie denken sich alt und grenzen sich selbst aus, sagen die Autor:innen. Das hat Folgen: Krankheit und Gebrechlichkeit im Alter gelten als normal. Altenpflege folgt daher dem Prinzip «satt, sauber, trocken». Und genau dieses Prinzip kritisieren Dr. Petra Thees und Lutz Karnauchow und gehen mit ihrem Ansatz neue Wege. Dieses Buch stellt einen neuen Blick auf das Alter vor - und ein radikal anderes Instrument in der Altenpflege. «Coaching statt Pflege» lautet die Formel für mehr Lebensglück im Alter. Ältere Menschen werden nicht nur versorgt, sondern systematisch gefördert. Das Ziel: ein selbstbestimmtes Leben. Bewegung, Physiotherapie und Sport statt herumsitzen! Ein interessantes Sachbuch, logisch in der Erklärung, ein mittlerweile erfolgreiches, erprobtes Konzept. Weiter zur Rezension:    Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz...

Interview - Viola Eigenbrodt von Sabine Ibing

                                                                                                                                          © Viola Eigenbrodt Viola Eigenbrodt, freie Journalistin aus dem Kulturbereich, ihr Genre ist der Cosy-Krimi, Geschichten, die im Alpenraum angesiedelt sind, phantastische Geschichten und Entwicklungsromane. Und neuerdings ist Viola Eigenbrodt in die Kinder- und Jugendliteratur eingestiegen. Hier das Interview mit ihr:     Interview...

Rezension - Le Sud: Geschichten und Rezepte aus Südfrankreich - Provence - Alpes - Cote d’Azur von Rebekah Peppler und Joann Pai

  Das Savoir-vivre Südfrankreichs in 80 köstlichen Rezepten und stimmungsvoller Fotografie: Von erfrischenden Cocktails und kleinen Snacks über Vorspeisen, Hauptgerichte und Beilagen, bis hin zu Käse und Desserts, alles, was Südfrankreichs Küche zu bieten hat. Die Provence-Alpes-Côte d’Azur und ihre vielfältigen Koch- und Esstraditionen mit saisonalen Zutaten ausgerichtet. Frankreichs Sommerküche aus dem Süden gekonnt präsentiert. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Le Sud-Geschichten und Rezepte aus Südfrankreich von Rebekah Peppler und Joann Pai 

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - Glutspur von Katrine Engberg

  Liv Jensen, ehemalige Polizistin, hat sich als Privatdetektivin in Kopenhagen selbstständig gemacht. Sie bekommt seitens der Polizei den Auftrag, Gemeinsamkeiten zwischen drei Todesfällen zu finden. Der Suizid eines Häftlings auf Freigang, der Tod einer Museumsangestellten und ein dreieinhalb Jahre zurückliegender Mord an einem Journalisten – diese Fälle können doch keine Gemeinsamkeit haben. Oder doch? Unterstützung erhält Liv dabei von Hannah Leon, einer Krisenpsychologin, die gerade selbst einen Schicksalsschlag erlitten hat, und Nima Ansari, einem iranischen Automechaniker, der selbst unter Mordverdacht gerät. Gemeinsam stoßen sie auf eine dunkle Vergangenheit, die jemand unbedingt geheim halten will. Mit allen Mitteln … Solider Krimi für ausdauernde Leser. Weiter zur Rezension:    Glutspur von Katrine Engberg 

Rezension - Skin City von Johannes Groschupf

  Gesprochen von Florian Schmidtke Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 6 Std. und 37 Min. Der Dienst im Außenbezirk sollte Ruhe in das Leben der Kriminalpolizistin Romina Winter bringen. Doch georgische Einbrecher sind täglich in den Stadtvillen in Dahlem und Lichterfelde unterwegs, und die Bewohner sind in der Folge verängstigt. Die Polizei muss wachsamer sein! Und dann verschwindet auch noch Rominas kleine Schwester. Jacques Lippold nimmt den Berliner Geldadel ganz legal aus, denn er arbeitet als Kunstberater. Berliner Szenen aus verschiedenen Sichtweisen, die sich irgendwann kreuzen werden. Gut aufgebaute Charaktere und atmosphärisches Berlin-Milieu-Feeling heben den Krimi ab, der gut geschrieben eine Empfehlung ist! Weiter zur Rezension:    Skin City von Johannes Groschupf