Rezension
von Sabine Ibing

Ländliches Requiem
von Davide Longo
Der Anfang: „«Die Osteria Due Sorelle in der Via Stampatori, Hausnummer 26, besser bekannt unter dem Namen Die letzte Station, hatte trotz der Uhrzeit 02:38 den Rollladen schon halb herabgelassen, und von drinnen drangen Aufräumgeräusche. Da ich feststellte, dass die Schließung unmittelbar bevorstand, machte ich mich beim Besitzer bemerkbar, indem ich ihn mit Rücksicht auf die Nachtruhe leise rief und wartete, dass er sich am Ausgang zeigte, um mit ihm zu reden.» So würde Arcadipane am nächsten Tag im Protokoll schreiben, wenn das, was er tut, Arbeit wäre, aber da es sich bloß um eine Schererei handelt, versetzt er dem Rollladen einen Tritt und lehnt sich an die Wand, um geschützt vor dem Dauer-regen zu rauchen, der seit Tagen die Stadt heimsucht.
Eric Delarue, Geschäftsführer eines Stahlwerks, wird durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt. Wer hat den attraktiven Kunstsammler, guten Ehemann, verlässlichen Chef, der sich immer für die Belange seiner Angestellten eingesetzt hat, töten wollen? Ein Gutmensch, der von allen verehrt wird, ein Mitglied der oberen Gesellschaft. Die Spur führt Bramard und Arcadipane zu einem ungelösten Fall: Nach einer Sportveranstaltung verschwand ein Elfjähriger. Damals geriet Delarue unter einen furchtbaren Verdacht. Ihm konnte aber nichts nachgewiesen werden. Und das haben manche Leute offenbar nicht vergessen ...
Das Ganze hat einige Rasiermesserschnitte, zwei Messerstiche, eine demonstrative Maschinengewehrsalve, zwei Schüsse in die Beine und einen Toten verursacht, so viel genügt, um die Neuverteilung von Straßen und Parks zwischen albanischen und nigerianischen Banden festzulegen, wobei am Ende die Camorra die Schutzgelder von der einen und der anderen Seite kassiert. Bis auf Weiteres.
Die Straßen und Bars Turins der achtziger Jahre und in die piemontesische Provinz sind atmosphärisch in diesem Kriminalroman eingefangen. Bramard und Arcadipane, ein Ermittlerduo, das ständig unter Beschuss steht. Bramard, ein Alkoholiker, meist betrunken, man will ihn bei der Polizei loswerden. Eric Delarue, ein Wohltäter der besseren Gesellschaft; an dieser Familie, die einen guten Ruf zu verlieren hat, an denen darf man nicht kratzen. Was von oben kommt, schert diese beiden Ermittler herzlich wenig, und so kommen sie einer pädophilen Gruppe auf die Spur. Ein schräges Team mit Gespür dafür, wo sie ihre Nase reinstecken müssen und wo sie Ärger kassieren, Männer, die mit sich selbst zweifeln. Stück für Stück kommen sie und ihr Team der Sache näher.
Als er sie sieht, lächelt er, ohne Ironie. Nur für sich, wie es vorkommt, wenn man wegen einer sinnlosen Unterredung auf der Arbeit festgehalten wird, obwohl der eigene Nachname mit A beginnt, und plötzlich eine Erklärung findet.
So weit, so gut. Allerdings gestaltet sich die Puzzlearbeit derart schnipselig und ausdehnend, dass es steckenweise langweilig wird. Es hätte dem Krimi gutgetan, das Ganze etwas zu komprimieren. Manchmal fragte ich mich, wo will er hin? Hat der Autor jetzt den Faden verloren? Sprachlich ausgefeilt macht das Lesen trotzdem Spaß. Wunderbare Landschaftsbeschreibungen und die der Landbevölkerung atmosphärisch verdichte. Antihelden, eine komplexe Figurenzeichnung, einen Blues im Sound. Wer bereit ist, sich auf eine gut geschriebene, stimmungsvolle Geschichte mit Längen einzulassen, wird Gefallen an dem Roman finden. Literarisch ist das Buch eine Perle.
Sie kratzt sich die Arme, die einmal herrlich werden. Mit der Pubertät werden auch die schwarzen Härchen verschwinden. Sie wird eine schöne und gefährliche Frau sein, das ist sicher, nicht gesagt ist, in welcher Reihenfolge.
Davide Longo wurde 1971 in Carmagnola bei Turin geboren, wo er auch heute lebt. Davide Longo , 1971 in Carmagnola im Piemont geboren, lebt in Turin, wo er am Literaturinstitut Scuola Holden unterrichtet. Er schreibt Prosa, Hörspiele und Drehbücher und wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Premio Grinzane Cavour, dem Prix Le Point für den besten europäischen Kriminalroman 2024 und dem Premio Via Po. Aus seiner international gefeierten Krimireihe aus dem Piemont erschienen bisher: «Der Fall Bramard», «Die jungen Bestien», «Schlichte Wut» sowie «Am Samstag wird abgerechnet».
Davide Longo
Ländliches Requiem
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner und Felix Mayer
Krimi, Kriminalliteratur, Kriminalroman, literarischer Krimi, Polizeiroman, Italien, Turin, Italienische Literatur
Gebunden, 528 Seiten
Rowohlt Verlag, 2025
Schlichte Wut von Davide Longo
Ein literarischer Krimi aus dem Piemont. Ein Jugendlicher in Verkleidung soll einer Frau auf dem Bahnsteig der U-Bahn in Turin grundlos an den Kopf getreten haben – mit der anfahrenden U-Bahn verschwunden. Commissario Arcadipane ist noch nicht von der Schuld des Jungen überzeugt, denn der behauptet steif und fest, er sei es nicht gewesen. Die beiden Commissari kommen einem Online-Spiel auf die Spur, bei dem Menschen dazu gebracht werden, Leute zu töten, um die Taten Unschuldigen in die Schuhe zu schieben. Wer steckt dahinter, wer ist der Organisator? Ein literarischer Kriminalroman mit poetischem Sound, Gesellschaftskritik, schwarzem Humor, skurrilen Typen und einem sehr ungewöhnlichen Fall. Empfehlung!
Weiter zur Rezension: Schlichte Wut von Davide Longo

Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller
Kommentare
Kommentar veröffentlichen