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Ein Mann namens Loprete von Mariana Travacio - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Ein Mann namens Loprete 

von Mariana Travacio


‹Ich suche Pepa.› Mit diesen Worten betritt ein Mann namens Loprete die Bar von El Tano in der staubigen Einöde Argentiniens. Fünf Gläser Gin später liegt der Fremde tot am Boden – erstochen im Eifer des Gefechts. Hastig wird er verscharrt. Der junge Manoel hofft, die Sache sei damit erledigt, doch kurz darauf tauchen Lopretes Brüder auf, wollen wissen, wo er steckt. Als sie keine befriedigende Antwort erhalten, kehren sie um, mit der Androhung, mit der ganzen Sippe zurückzukehren. Eine poetisch-brutale Geschichte – und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich diese Vendetta liebe oder grotesk finde – irgendwas von beidem. 

Dort, wo wir lebten, kam der Nordwind. Es war ein heißer Wind, der uns langsam einkesselte, bis er sich wie ein hungriger Hund festsetzte. Wenn er uns umgab, hielten wir endlose Nickerchen. Wir wachten auf, wenn die Sonne verschwunden war und der Himmel ein Glühen hinterließ, das den Geruch der trockenen Erde noch verstärkte.

Es geht um Vergeltung, um Rache, um Status, Macht, um Eifersucht, Verlangen, um tief sitzende emotionale Verflechtungen – die eine Gruppe gegen die andere; eine Spirale der Gewalt ist entfacht. Auge um Auge, Zahn um Zahn. In ihrem Roman erzählt Mariana Travacio von Rache, Gerechtigkeit und die Suche nach Erlösung und erschafft dabei eine bildgewaltige Fabel voller Symbolik in einer tristen Wüstenlandschaft, die in der Sintflut endet. Eine rohe Männergeschichte, in der Frauen nur Randfiguren sind, allesamt Opfer. Ein Western, südamerikanische Gaucho-Literatur, der im Original (Como si existiera el perdón ) «Als wenn es Vergebung geben würde» heißt. Ein Titel, der mir passender erscheint. Manoel, der Erzähler dieser Geschichte, hat früh seine Eltern verloren, wuchs bei der Großmutter auf und als diese starb, nahm ihn El Tano auf. Die Eltern gingen weg als er klein war und kamen nie wieder. Später wird Manoel erfahren, was mit ihnen geschah. In seiner Region muss man der trockenen Erde etwas abringen, damit sie Früchte trägt. Loprete hingegen stammt aus einer Großgrundbesitzerfamilie aus einer reichen Gegend, die mit Wäldern bedeckt ist, in der es viel Wasser gibt.

Das Wasser stürzte herab, wollte uns alle ertränken, und so sehr ich mich auch anstrengte, konnte ich nichts anderes hören als den Donner und das Rauschen des Regens, der das Gras peitschte, auf den Karren prasselte, sich mit dem Bach vermischte und mir in die Nase drang.

Eine Vorlage für einen Tatantino-Film. Ein Männerding von einer Frau geschrieben. Und genau deswegen steckt so viel Potential in dem Stoff. Unterschwellig wird viel in dem Text ohne Worte ausgedrückt. Arm und reich, der Umgang der Großgrundbesitzer mit der arbeitenden Klasse – die Wut, die in den Menschen steckt und Willkür der Mächtigen, die Gewalt ausüben. Loprete antwortet auf die Frage, warum er Pepa suche: «Ich suche sie, Compadre, weil sie mir verlorengegangen ist.» Und an anderer Stelle kommentiert der Erzähler: «Sie war ihm nicht etwa verlorengegangen, sie war ihm weggelaufen.» Weder wird Argentinien erwähnt, noch ein Gaucho – und doch weiß man exakt, wo diese Geschichte verortet ist. Die Gewalt spitzt sich zu, wird vom Regen zugeschüttet und versinkt in Wasser und Schlamm, im Chaos, die Vergeltung wird nicht durch Erlösung bereinigt. Hier ist kein Wort zu viel, der Leser hat viel Luft zur Interpretation, Figuren, die angeschnitten auch viel Raum zur Interpretation geben, und das ganze mit poetischer Kraft geschrieben. Ein interessanter, lesenswerter Noir-Roman auf jeden Fall!


Mariana Travacio wurde 1976 in Rosario geboren und wuchs in Brasilien auf. Heute lebt sie in Buenos Aires. Sie hat an der Universität von Buenos Aires ihren Abschluss in Psychologie gemacht und lehrte dort Forensische Psychologie. Außerdem machte sie einen Masterabschluss in Kreativem Schreiben an der Nationalen Universität von Tres de Febrero und ist Übersetzerin (Französisch und Portugiesisch). Ihre Werke haben mehrere Preise gewonnen und wurden ins Englische, Schwedische und Italienische übersetzt.



Mariana Travacio 
Ein Mann namens Loprete 
Originaltitel: Como si Existiese el Perdón 
Übersetzt aus dem  Kirsten Brandt 
Western, Gaucho-Literatur, Noir, Argentinische Literatur, Lateinamerikanische Literatur
Hardcover mit Lesebändchen, 128 Seiten
Pendragon Verlag, 2025







Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
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