Rezension
von Sabine Ibing
Was danach kommt
von Anika Suck
Wer rechnet schon damit? Die Wahrscheinlichkeit, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu sein, ist unglaublich viel größer als die Wahrscheinlichkeit, dass das Flugzeug, in dem du dich gerade befindest, abstürzt. Niemand bereitet dich wirklich auf einen Unfall vor. Niemand bereitet dich darauf vor, dass wegen dir ein Mensch sterben wird.
Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist.
Merkwürdige Rechtsmethoden
Ich habe den Roman nur bis zur Hälfte voll gelesen, die zweite Hälfte quergelesen, weil ich die Darstellung schlicht absurd fand. Durch mein Studium habe ich ein recht gutes Rechtsverständnis und ich habe jahrelang im Gericht als Schöffin agiert. Glaubhaft ist vielleicht, wie eine bestimmte Presse und die sozialen Netzwerke eventuell Hetzjagd auf die Autofahrerin machen – heute weiß man nie, inwiefern der Öffentlichkeit die Lunte durchbrennt. Doch eine seriöse Presse würde nicht derart berichten. Eine Erzieherin fährt morgens zur Arbeit, ist unter Zeitdruck, eine Mutter sagt ihrem Kind, es soll am Bürgersteig stehenbleiben; auch sie passt einen Moment nicht auf. Das Kind rennt los. Ein typischer Verkehrsunfall. Ich habe nicht verstanden, weshalb die Masse hier sofort von einer Kindsmörderin reden soll – aber möglich. Was allerdings völlig aus der Luft gegriffen ist, wie die Psychologin mit der Frau umgeht – der absolute Horror – nein, das würde niemand tun. Staatsanwälte sind die Harten, klar, doch es sind keine Schweine und Richter schon gar nicht.
Einfach zu viel Fantasy
Was in diesem Prozess abgeht, ist für mich ein Fantasiegebilde. Ganz am Ende wird im Prozess eine alte Freundin aus Zeiten von Kindergarten um Schule verhört, die etwas zur Person der Angeklagten sagen soll. Jemand, der in keinem Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen steht, kann nicht als Zeuge der Staatsanwaltschaft agieren. Sie wäre nach dem Unfall bei ihr vorbeigegangen, sie sei nicht zu Hause gewesen, nur der Mitbewohner und angeblich sei ein Tier aus der Wohnung herausgekommen, die Angeklagte hätte in der Oberstufe Gras geraucht und sei mal sturzbetrunken gewesen, und sei überfordert gewesen … Und dann wird auch noch «Einspruch!» gerufen. Ich weiß nicht, ob Anika Suck jemals einer Gerichtsverhandlung beigewohnt hat – oder schlicht nur zu viel «L.A. Law» und «Suits» geschaut hat. An der Stelle habe ich dann zugeklappt. Das war wirklich einfach zu viel Fantasy in einem Gerichtsroman.
Anika Suck ist 1997 in Wien geboren und in Niederösterreich aufgewachsen. Sie hat Journalismus und Germanistik in Wien studiert und war als freie Journalistin, Texterin, Poetin und Veranstalterin tätig. Ihr erster Prosatext erschien 2021 im Kunstmagazin UND. «Was danach kommt» ist ihr erster Roman.
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