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Ein ehrliches Leben von Joakim Zander - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing






Ein ehrliches Leben 


von Joakim Zander


Der erste Satz: 
Ich erinnere mich nur an wenige Momente in meiner Jugend, in denen ich mich nicht gelangweilt habe.

Simon ist ein guter Schüler, fristet ein Kleinstadtleben bei seinen Eltern, die ein durchschnittliches Leben führen – und er will mehr! Er will in der Großstadt studieren, ein Fach, mit dem es sich viel Geld verdienen lässt: Jura. Er landet in einer WG von Jurastudenten, die aus Generationen von Juristen stammen, mit der Rolex am der Handgelenk. Simon findet hier mit seiner Mittelschicht-Herkunft seine ersten Grenzen, sprachliche Ausgrenzung, Dresscodes, die anderen behandeln ihn herablassend. Er darf an Partys in der WG teilnehmen, muss nichts zusteuern, wenn er die Kommilitonen bedient, den Abwasch erledigt. In der UNI ist er nicht mehr der Schlauberger, zu dem alle aufsehen, sondern ein Student von vielen und er muss pauken, bis ihm der Kopf zu platzen scheint. Auf einer Anti-Nazi-Demonstration in Malmö trifft er auf Max, die ihn mit ihren grünen Augen im wahrsten Sinn den Kopf verdreht – ihn mit einer anarchistischen Gruppe bekannt macht.


Ein falsches Spiel

‹Willst du neuerdings Richter werden?› Meine Mutter schüttelte den Kopf. ‹Du weißt, dass es klüger ist, sich realistische Ziele zu setzen?›, fuhr sie fort. ‹Man sollte keine überzogenen Erwartungen haben.› Realistische Ziele. Man darf nicht vermessen sein. Ihr hattet doch eine schöne Kindheit? Warum bist du so versessen darauf, von hier wegzugeben?

Das Leben der Gruppe basiert auf radikalen und aufregenden Idealen, aber auch auf Lügen und immensen Risiken. Sie stellen das gesellschaftliche Leben in Frage. Willst du ein ehrliches Leben führen oder spielst du weiter das falsche Spiel der Gesellschaft?, fragen sie Simon. Als Simon merkt, in was sie ihn hineinziehen, ist es bereits zu spät, um auszusteigen. Ein spannend geschriebener Thriller mit überraschenden Wendungen.


Nicht so politisch motiviert sind, wie es auf den ersten Blick scheint

‹Stockholm ist die schlimmste Stadt von allen. Die Innenstadt ist eine Festung, die nur dazu dient, dass Stockholm in dem Zustand verharrt, in dem es sich schon vor hundert Jahren befunden hat. Und die Barbaren und die Diener sperrt man in den Vororten ein. Um Isolation zu erzeugen, benötigt man keine Mauem. Geld genügt. Die U-Bahn lässt sie herein, damit sie die Zimmerfluchten in den Palästen der faulen, unnützen Oberschicht putzen. Wer braucht Stacheldraht, wenn Klasse, Rasse und stummer Konsens vorherrschen?› Ich nickte, ihre Wut amüsierte.

Chancengleichheit wird hier zum Thema gemacht. Simon, der glaubt, dass alle Studenten als gleiche Kommilitonen beginnen. Er, der einen Studienkredit bekommt, den er zurückzahlen muss, hält sich gerade mit seinen Ersparnissen über Wasser, bis das erste Geld eintrudelt, sieht, dass die anderen Studenten in seiner WG weder Probleme haben, die Miete zu zahlen, sich Bücher zu kaufen; allein die Bekleidung macht einen großen Unterschied. Sie haben sogar noch Geld auszugehen und Partys zu feiern. Ganz davon ab, wie herablassend sie Simon behandeln, seinen Dialekt nachäffen. Und dann kommt die wilde Max, sie vor nichts Angst zu haben scheint, die einfach das tut, was sie tun muss, sich über jede gesellschaftliche Konvention hinwegsetzt. Mit einem Trick zieht sie ihn hinein in ihre Machenschaften, die leider gar nicht so politisch motiviert sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Leider wird das angerissene Grundthema nicht gut ausgearbeitet, weil die Bande schlicht kriminell ist. Simon wird ja auch nicht inhaltlich überzeugt, sondern ausgetrickst. Hier hatte ich mehr erwartet. Gut geschrieben, feine Dialoge, die Spannung wird gehalten. Interessanter Plot, das Ende wollte mir nicht ganz einleuchten, ist für mich ein wenig schnell dahingestolpert. Insgesamt gut – Empfehlung!


Joakim Zander ist 1975 in Stockholm geboren. Er wuchs in Söderköping an der schwedischen Küste auf und lebte in Syrien, Israel und den USA. Er studierte Jura in Uppsala, promovierte in Maastricht. Und arbeitete danach für das Europäische Parlament und die Europäische Kommission in Brüssel und Helsinki. Sein Debütroman «Der Schwimmer» und Auftakt der Klara-Walldéen-Reihe erschien in 30 Ländern. Und war ein internationaler Bestseller, eine US-Verfilmung ist geplant. Nach den Folgebänden «Der Bruder» und «Der Freund» beschreitet der Autor mit seinem literarischen Spannungsroman «Ein ehrliches Leben» neue Wege, das Buch wird von Netflix prominent verfilmt. Der Autor lebt in Lund.



Joakim Zander
Ein ehrliches Leben 
Originaltitel: ‎Ett ärligt liv
Aus dem Schwedischen übersetzt von Ulla Ackermann, Thomas Altefrohne
Thriller, Kriminalliteratur, Kriminalroman, Schwedische Literatur
Taschenbuch, ‎ 432 Seiten
Rowohlt Verlag, 2024







Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
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