Rezension
von Sabine Ibing
Als wir Schwäne waren
von Behzad Karim Khani
Klappentext: Wir sind ein Alptraum. Ich weiß nur nicht wessen.
Der Anfang:
Du warst fünf. Die Buchstaben gehorchten dir nicht. Du dachtest, dass Restaurants Essturants heißen, weil wir dort essen. Und du sagtest traubig statt traurig, weil Tränen aussehen wie Trauben. Und ich wollte, dass du recht hast, solange es nur geht. Weil Tränen von Trauben abzuleiten vielleicht etwas abwendet. Weil traubig das bessere Wort ist. Aber dann sagtest du irgendwann, es sei fair, dass es Inseln gibt, denn schließlich gibt es ja auch Seen. Und ich, tausend Ängste älter, sagte: Ja, das ist fair.
Reza, der mit seinen intellektuellen Eltern aus dem Iran in die Freiheit nach Deutschland flüchtet, lebt einer Siedlung, wo die Küchen keine Abzüge haben, und in deren Fluren es nach Armut, Majoran und Etagenbetten riecht. Es sind die 1990er, die Mutter ist Soziologin, der Vater ein Schriftsteller, in dessen Sprache es fünfzehn verschiedene Begriffe für Stolz gibt. Deutschland erlebt er als Kränkung und wird zum Beobachter. Erschöpft sich dabei, das Land zu begreifen, während die Mutter an das An- und Weiterkommen glaubt und die Wut des Sohnes immer ungehemmter wird. Denn auf den Straßen seines Viertels herrscht eine Gewalt, von der die Eltern wenig mitbekommen. Das Leben auf der Straße ist hart, Kriminalität lauert an jeder Ecke.
Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus
Das Deutschland, in dem wir leben, ist ein Land, in dem die Post über Jahre hinweg vom selben Boten gebracht wird, der nicht nur einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat, sondern auch verbeamtet ist. Der nicht gekündigt werden und von seinem Lohn die Raten für sein Eigenheim abbezahlen kann. Ähnlich geht es jedem Vorarbeiter auf dem Bau, jedem höheren Angestellten bei Opel, jedem Elektriker. Jedem Haushalt mit zwei Einkommen.
Behzad Karim Khani schreibt als Ich-Erzähler über die Kindheit und Jugend eines wütenden Jungen, schreibt sich die eigene Wut aus dem Bauch über ein kaltes Deutschland, das seine Familie nicht willkommen hieß, sie in eine Siedlung steckte, die so gar nichts mit ihrem vorigen Leben zu tun hatte. Sehr authentisch beschreibt er das Leben in den 1990er in einer Sozialsiedlung im Ruhrgebiet, in Bochum, wo «Zimt, Sozialhilfe und Großfamilien» riecht. Sie waren mit Hoffnung gekommen – die ganz schnell wieder eingestampft wurde, denn sie erleben Armut und Ausschluss aus der Gesellschaft. Müll auf der Straße, stinkende Treppenhäuser, nervende Nachbarn, Erpressung, Prügel, und Drogen auf der Straße. Wer den Kopf oben haben will, muss sich durchsetzen können. Ausbildungen der Eltern werden nicht anerkannt – die Mutter entscheidet sich irgendwann, noch einmal zu studieren – der Vater fährt Taxi und arbeitet im Kiosk, wo er Zeitung lesen kann. Das Leben wird etwas besser. Als Kind hängt Reza mit seinen Freuenden in einem Keller ab, den sie mit Sperrmüll möbliert haben, und sie träumen von einer eigenen Gang, machen spielerische auf Gangster, hören dazu Tupac, Public Enemy. Die Freunde von Reza werden wirklich kriminell, landen im Knast oder sterben – selbst Reza kann sich dem Milieu nicht ganz ausschließen. «Wir alle strampeln uns ab in dieser Kloake, halten den Kopf aber über Wasser.» Immerhin, Reza schafft es als Einziger aufs Gymnasium. Eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit Deutschland, mit Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus – weil jedes Wort der Wahrheit entspricht und den Menschen im Land einen Spiegel vorhält.
Ein Roman, der ins Herz trifft, gleichzeitig voll in die Fresse tritt!
Mein Vater schaute und fragte: ‹Sind das Schwäne oder Gänse?› ‹Schwäne.› ‹Wo ist das? Astara?› ‹Nein. Die andere Seite der Grenze. Sowjetunion ist das. Sie überwintern jedes Jahr dort und fliegen dann zurück in den Norden. Hierher kommen sie nicht.› ‹Nicht mal die Vögel›, sagte mein Vater. Und der Mann antwortete: ‹Es ist zu laut hier. Viel zu laut.› Und damit meinte er etwas, das mein Vater verstand und ich nicht. Wir waren doch extra ruhig gewesen, dachte ich.
Es ist eine Erzählung über Demütigung, über Ausgrenzung, gleichzeitig eine über die eigene Ausgrenzung, eine die zeigt, warum Integration so schwierig ist. «Wir sind Stacheln im Fleisch. Eindringlinge. Wo immer wir sind, bildet der Körper Eiter um uns. Wir stecken im Körper und berühren ihn doch nicht.» Aber selbst in der Wut steckt noch Melancholie. Gefühle, die in die Tiefe gehen, beinharte Milieubeschreibungen, die gleichzeitig liebevoll ausgestaltet sind. Reza selbst kommt auch nicht heile aus der Geschichte heraus und reflektiert am Ende: «Dass ich in Wirklichkeit eine Gerechtigkeit herstellen wollte, in der nicht ich so heile bin wie alle anderen, sondern alle anderen so kaputt wie ich.› Sie flüchteten aus der Diktatur in die Freiheit und zahlten den hohen Preis, fremd zu sein. Meine Lieblingsfigur ist der Vater des Jungen, wenn er Geschehnisse das Geschehen der Welt kommentiert, seine Strichlisten führt, einfach klasse. Behzad Karim Khani beschreibt präzise, kein Wort ist überflüssig, dabei mit so viel Poesie und Sprachwitz, mit dem Klang einer arabischen Erzählung, eine sprachliche Perle. Ein Roman, der ins Herz trifft, gleichzeitig voll in die Fresse tritt! Unbedingt lesen, Abteilung Lieblingsbuch!
Hier, wo von nichts nichts kommt. Man auf einem Bein nicht stehen kann. Wo man nicht aus Zucker ist. Keine Müdigkeit vorschützt, Nägel mit Köpfen macht und sich nicht zwei Mal bitten lässt. Wo man schließlich nicht blöd ist. Wo sicher sicher ist und Geiz geil. Wo ‹‹u bist Gast hier!› eine Drohung ist. Wo ja jeder kommen kann. Wo man B sagen muss, weil man A gesagt hat, und ende es in Stalingrad.
Behzad Karim Khani, in Teheran geboren, lebt seit 2003 lebt in Berlin Kreuzberg. Er ist Drehbuchautor, Romancier und Herausgeber der Weltbühne. Sein Debütroman »Hund, Wolf, Schakal« erschien 2022 bei Hanser Berlin.
Behzad Karim KhaniAls wir Schwäne waren Roman
Zeitgenössischer Roman, Migration, Deutschland
Hardcover mit Schutzumschlag, 192 Seiten
Hanser Berlin, 2024
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Roman

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