Direkt zum Hauptbereich

Mein letzter Livestream – und alle schauen zu von Erin Jade - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Mein letzter Livestream – und alle schauen zu 


von Erin Jade

Roman über Mobbing und Bodyshaming


Ihr glaubt, ich esse zu viel? Das ist noch gar nichts. Geht am 31. Dezember online, wenn ich die Live-Übertragung meiner Henkersmahlzeit ins Netz stelle. Schaut zu … wie ich mich zu Tode fresse.


Weil er so fett ist, bleibt er in der Schule ein Außenseiter, man nennt ihn «BUTTER»; er wiegt über 400 Pfund. Später erfahren wir auch, wie er zu diesem Namen kam - eine ziemlich fiese Mobbingaktion. Die Ferien verbringt er in Abnehmcamps, aber letztendlich packt er es nicht, seine Fresssucht in Griff zu bekommen. Seine Liebe gilt der Musik und mit seinem Saxophon kann er Herzen erweichen. Auch das von Anna, einer Klassenkameradin. Doch die kennt ihn nur aus dem Netz aus einem Chatroom, will sich unbedingt mit ihm treffen. Er weiß aber genau, dass sie sich ihren Price Charming ganz anders vorstellt. Sie setzt ihn unter Druck und er verspricht ihr, sie werden sich an Sylvester treffen. In seinem Inneren ahnt er, das wird nie geschehen, denn schlussendlich wird diese zarte Liebesgeschichte an diesem Punkt enden. Er hat die Nase voll vom Mobbing und fasst einen Entschluss: Er wird sein Leben beenden – und das kündigt er auf einer geheimen Website an, ButtersLastMeal.com, zu der man einen Zugangscode braucht. Den schickt er an all seine Feinde, die ihn tagtäglich schikanieren. 


Sein Plan geht nach hinten los


Du bist nur so viel, wie du wiegst.

Sein Plan: Er will sich in einem Livestream an Sylvester zu Tode essen. Er offeriert eine Liste der Dinge, die er fressen will. Natürlich auch eine Stange Butter! Als BUTTER den Entschluss online ankündigt, erwartet er Entrüstung oder Mitleid – Aufmerksamkeit auf sein Leiden! Aber das Gegenteil passiert: Seine Mitschüler:innen sind von seinem Plan begeistert und feiern ihn wie einen Helden. BUTTER ist die Nummer 1! Die Jungs akzeptieren ihn plötzlich, und er ist ein Teil der Gruppe, man will ihm seine letzten Tage versüßen, gibt Tipps, was er unbedingt noch erleben muss, was auf seiner Fressliste fehlt. Zum ersten Mal in seinem Leben hat Butter das Gefühl, wirklich dazuzugehören. Doch sein Todesdatum rückt immer näher, da gibt es kein Zurück mehr, weil er sich ansonsten der Lächerlichkeit preisgibt ... Wird er cool sein und sein Vorhaben verwirklichen?


Ein scharfsinniger Analytiker


Ein Jugendroman, der Gänsehaut erzeugt. All die Geschichten, die der 16-Jährige BUTTER erlebt, seine Gedanken und Gefühle, berühren den Lesenden. Eine Mutter, die sich um ihn sorgt, alles richtig machen will, aber letztendlich seine Fresssucht unterstützt. Ein Vater, der nicht mehr mit ihm redet, schon lange nichts mehr mit ihm unternimmt. In der Mensa der Schule hat der Fettklops einen eigenen Tisch und eine eigene Bank, da die übrigen Stühle sein Körpergewicht nicht tragen. BUTTER hat als Folgeerscheinung Diabetes bekommen, kann sich kaum bewegen, fährt mit dem Auto zur Schule, wo er auf dem Behindertenparkplatz parkt. Bodyshaming, Mobbing und Sensationsgier sind die Themen, das Leben eines anderen im Netz. Soziale Identität erlangen, dazuzugehören, anerkannt sein und sich selbst zu optimieren – etwas, wonach sich BUTTER sehnt. Aber er wird nicht nur ausgestoßen, sondern obendrein noch verhöhnt. Das Leben ist nicht mehr lebenswert. Als er seinen Suizid outet, letztendlich ein Hilferuf, ihn zu bemitleiden, klatschen alle Beifall. Denn im Hinterkopf haben alle, dass BUTTER das nicht packt. Was denn sonst! Eine provokante, spannende Geschichte, die berührt. Wie der Junge wirklich heißt, erfahren wir nicht, wir lernen lediglich die ganzen Schimpfnamen kennen, mit denen er tituliert wird. Kann man sich durch eine einzige Mahlzeit umbringen? Auch diese Frage wird erörtert und erklärt. Der Roman erschien bereits im Original 2014, wurde 2020 unter dem Namen «Butter’s Final Meal» in den USA verfilmt. Trotz aller Härte hat dieses emotionsgeladene Jugendbuch eine Menge schöne Momente und viel Witz, denn der sympathische Icherzähler geht sarkastisch mit seinem Leben um. Es geht in der Erzählung auch um Freundschaft – denn BUTTER ist nicht ganz allein. Und ihm ist klar, dass seine neuen Freunde letztendlich keine sind. Trotz allem lebt er auf in der plötzlichen Bewunderung der alten Feinde. Das analysiert er für sich ebenso scharfzüngig. Der Arena Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 14 Jahren. Das passt für mich. Lesen! Es lohnt sich!


Erin Jade Lange hat einige Zeit als Journalistin gearbeitet und greift als Inspiration für ihre Bücher noch immer gerne aktuelle Ereignisse aus der Realität auf. In ihren Geschichten gelingt es ihr, Fiktion zum Leben zu erwecken. Das beweisen sämtliche Preise, die sie bisher für ihre Bücher gewonnen hat, darunter auch der deutsche Jugendbuchpreis Friedolin. Ihr Roman „Halbe Helden“ war für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Mit ihrer Familie lebt die Autorin im sonnigen Arizona.




Erin Jade Lange
Mein letzter Livestream – und alle schauen zu
Untertitel: Roman über Mobbing und Bodyshaming
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Uwe-Michael Gutzschhahn  
Jugendroman, Jugendbuch, Mobbing, Fresssucht, Bodyshaming, Kinder- und Jugendliteratur, Amerikanische Literatur
Klappenbroschur mit bedruckten Innenklappen, 336 Seiten
Arena Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 14 Jahren


Mehr zum Thema Mobbing:

Wolf von Saša Stanišić und Regina Kehn

Ein namenloser Ich-Erzähler muss in den Ferien für eine Woche ins Ferienlager. Am Ende erfahren wir, er heißt Kemi. Keine Diskussion – aus Schluss, vorbei. Die Mutter hat entschieden. Mücken, Schnaken, Zecken, Wandern und wer weiß, was sonst noch auf ihn wartet. Viele Jugendliche auf einen Haufen. Nichts für den Einzelgänger Kemi, der nicht auf Natur steht. Kemi ist nicht der Gruppentyp – er fühlt sich mit sich selbst viel wohler. Bei der Abfahrt entdeckt er Jörg, den alle angrinsen, wie er in zünftiger Wanderkluft aufläuft, mit einem Rucksack, den er wohl aus dem Museum geklaut hat. Und schon geht es los mit dem Geschubse bei Marco und seinen Jungs. Die werden Jörg eine Woche lang leiden lassen. Außenseiter, Mobbing – ein kluger Jugendroman ab 11 Jahren, auch geeignet als Unterrichtsmaterial. Empfehlung!

Weiter zur Rezension:   Wolf von Saša Stanišić und Regina Kehn


Unsichtbar von Eloy Moreno

In Spanien ist Eloy Moreno bereits ein Bestsellerautor. Unaufgeregt erzählt er die Leidensgeschichte eines namenlosen Jungen, der in der Schule gemobbt wird. Wie alles anfing? Er ist gut in der Schule – einfach so, alles fällt ihm zu. Er ist bescheiden, protzt nicht damit herum, und er hat ein Ziel: Er will beruflich etwas aus sich machen. Eines Tages, mitten in einer Klassenarbeit, pickst ihn der Hintermann, ein fauler Schüler, der Klassenprotz. Er will die Arbeit von dem Vordermann haben, er soll sich gefälligst eine neue Arbeit schreiben. Doch der sagt nein. Genau das ist der Beginn eines Leidenswegs. – Mobbing! Ein Jugendbuch bei dem man Schnappatmung bekommt. Jugendroman ab 14 Jahren, Empfehlung – auch als Schullektüre.

Weiter zur Rezension:  Unsichtbar von Eloy Moreno

Geraubte Namen von Tàssies

Das Kinderbuch widmet sich den Themen Mobbing und Außenseitertum. In der Schule sprechen sie diesen Jungen nicht beim Namen an. Sie nennen ihn Streber – weil er mitmacht, Weichei – weil er sich nicht prügelt. Er versteckt sich – ihm fehlt irgendwann die Lust am Leben. Ein Bilderbuch, das nicht viel Worte benötigt, um die Qual in eindrucksvollen Grafiken darzustellen – mit einem Hoffnungsstrahl. Ein Buch, das Diskussionen mit Kindern in Gang setzt, das Emotionen freisetzt. Das Bilderbuch ab 5/6 Jahren ist auch gut einsetzbar in Kindergärten, als Schullektüre und im therapeutischen Bereich. Empfehlung!

Weiter zur Rezension:   Geraubte Namen von Tàssies











Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige. «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille, zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann. Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo

  1983, der Polizist Noah Scott ist besessen davon, den Serienmörder Bible John zu erwischen. Er steht im Verdacht, Frauen, die aus Diskotheken verschwanden, nie wieder auftauchten, ermordet zu haben. Seit Jahren ist Noah an dem Fall dran, und er glaubt, den Täter identifiziert zu haben. Er folgt John Clyde und es gelingt ihm, auf seinem persönlichen Friedhof die Handschellen anzulegen – doch dann krampft sich etwas in seiner Brust zusammen und es wird schwarz vor seinen Augen … Ein spanischer literarischer Thriller vom Feinsten! Weiter zur Rezension:    Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz Karnauchow und Petra Thees

  Alter könnte so schön sein. Doch ältere Menschen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert. Schlimmer noch, sie denken sich alt und grenzen sich selbst aus, sagen die Autor:innen. Das hat Folgen: Krankheit und Gebrechlichkeit im Alter gelten als normal. Altenpflege folgt daher dem Prinzip «satt, sauber, trocken». Und genau dieses Prinzip kritisieren Dr. Petra Thees und Lutz Karnauchow und gehen mit ihrem Ansatz neue Wege. Dieses Buch stellt einen neuen Blick auf das Alter vor - und ein radikal anderes Instrument in der Altenpflege. «Coaching statt Pflege» lautet die Formel für mehr Lebensglück im Alter. Ältere Menschen werden nicht nur versorgt, sondern systematisch gefördert. Das Ziel: ein selbstbestimmtes Leben. Bewegung, Physiotherapie und Sport statt herumsitzen! Ein interessantes Sachbuch, logisch in der Erklärung, ein mittlerweile erfolgreiches, erprobtes Konzept. Weiter zur Rezension:    Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz...