Rezension
von Sabine Ibing
Mord im Orient-Express
von Agatha Christie, Benjamin von Eckartsberg, Chaiko
In der Nacht sitzt ein Mannin Long Island auf einem Bett, und er hält eine Waffe in der Hand. Verzweiflung steht in seinen Augen. Eine Kinderzeichnung zu seinen Füßen: Bang! Ein Suizid. Wir wechseln zu einer Szene auf einen Dampfer: Ein Paar unterhält sich, im Hintergrund ein Mann mit Mantel und Melone und gezwirbeltem Schnurrbart. Hercule Poirot! Der wollte sich Istanbul anschauen, muss aber die Reise abbrechen, dringend nach London zurückkehren, trifft einen alten Bekannten, dem der im Orient-Express gehört. So ergattert er doch noch einen Platz in dem ausgebuchten Zug.
Im Zug werden zunächst alle Mitreisenden vorgestellt, das Paar vom Schiff ist dabei, darunter auch ein ziemlich unangenehmer Typ, der Amerikaner Mr. Ratchet. Mitten in der Nacht kommt im Schneesturm der Zug zum Stehen, da er in eine Schneewehe geraten ist, und bald darauf wird auch noch die Leiche eines Fahrgastes gefunden. Mr. Ratchet wurde mit zwölf Messerstichen erstochen. Keine Frage für den Zugbesitzer, Hercule Poirot, der Meisterdetektiv muss den Mörder finden, bevor die Polizei auftaucht, denn sonst verschiebt sich die Reise noch weiter, weil man festgesetzt wir. «Mord im Orient-Express», einer der bekanntesten Krimis von Agatha Christie, mehrfach verfilmt, nun als Comicadaption von Benjamin von Eckartsberg und Chaiko. Sensationell wurde die Geschichte als Graphic Novel so verkürzt, dass wirklich der Kern des Krimis auf 250 Seiten wiedergegeben ist, die Charaktere gut widerspiegeln, die Spurensuche von Poirot auf den Punkt gebracht. Ein abgeschlossener Raum mit einer Leiche, eine Menge verstreuter Hinweise; einer der Fahrgäste muss es gewesen sein. Die Identität des Toten war falsch, denn er entpuppt sich als der Mörder des Armstrongbabys, der durch einen Verfahrensfehler freigesprochen wurde. Er hatte bereits Poirot erklärt, er habe viele Feinde und erhalte Drohbriefe. Der Tote liegt in einem abgeschlossenen Abteil, die Reisenden haben alle ein perfektes Alibi und die vielen Spuren geben ein weiteres Rätel auf. Irgendetwas ist hier faul …
Ein Klassiker der Kriminalliteratur, der hier wundervoll ins Bild umgesetzt ist. Die Nacht im Zug, der Schneesturm, die Befragungen des Detektivs. Die Figuren in Szene gesetzt, ausdrucksstark. Im typischen Comicstil gezeichnet, lebendige Protagonisten, mal im Weitwinkel, dann herangezoomt. Der Krimi komprimiert zusammengefasst, ohne Wichtiges auszulassen – mein Respekt! Eine klasse Graphic Novel für Krimi-Fans, für Agatha Christie Fans, aber nicht nur für diese ein Leckerbissen! Der Carlsen Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 12 Jahren, ok … aber klar, eindeutig Allage.
Agatha Christie (1890–1976), die »Queen of Crime«, schrieb 66 Kriminalromane und 14 Kurzgeschichtensammlungen, die in rund 100 Sprachen übersetzt und bis heute über zwei Milliarden Mal verkauft wurden.
Benjamin von Eckartsberg (geboren 1970) studierte an der FH in München Kommunikations-Design und ist seit 1995 Mitglieder der Münchner Ateliergemeinschaft “Die Artillerie” (www.die-artillerie.de). Er arbeitet als freiberuflicher Illustrator für Verlage, Werbung, Game, Film und Fernsehen.
Chaiko ist der Künstlername von Cai Feng, der als vielseitiger bildender Künstler im Bereich Comic und Graphic Novel, aber auch Illustration und Animation in Shanghai lebt. Bereits in seiner Kindheit begann er mit dem Zeichnen und studierte später an der Kunstakademie. Nach seinem Studium arbeitete er in Werbeagenturen sowie als Konzept-Designer für Computerspiel-Firmen und Produktionsfirmen. In diesem Rahmen war er auch als Animator und Regisseur für Animes tätig. Nachdem er zuvor schon einige Illustrationen und Comics gezeichnet hatte, die in Zeitungen, Magazine und als Postkarten veröffentlicht wurden, erschien sein erstes richtiges Album 2008.
Mord im Orient-Express
Comic, Comicadaption, Graphic Novel, Krimi, Kriminalroman, Kriminalliteratur, Klassiker, Detektivroman, Whodunnit, Mysterykrimi
Hardcover, 64 Seiten, 237 mm x 317 mm
Carlsen Comics, 2023
Altersempfehlung: Allage, ab 12 Jahren
Romanadaptionen im Comic:
Meine geniale Freundin von Chiara Lagani und Mara Cerri nach Elena Ferrante
Der Wind in den Weiden von Michel Plessix
Die preisgekrönte Comicadaption des weltberühmten englischen Kinderbuchklassikers von Kenneth Grahame gibt es in Neuauflage, das vierbändige Meisterwerk als Gesamtausgabe. Im impressionistischen Stil und poetischem Sound ist die Geschichte um die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Maulwurf, Ratte, Dachs und Kröte als Graphic Novel umgesetzt, entführt zu ihren Abenteuern auf dem Fluss. 1908 erschien das Kinderbuch von Kenneth Graham «Der Wind in den Weiden», das auch Erwachsene begeisterte. Eine Graphic Novel, die begeistert, Comic ab 6 Jahren, Allage.
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Farm der Tiere von R. Daniel Jaquette Rodolphe und Patrice Le Sourd
Auf der Farm von Mr. Jones sind die Tiere es leid, misshandelt und unterdrückt zu werden. Der charismatische Eber Old Major hält eine lange Ansprache zur Tyrannei durch den Menschen. Tagein, tagaus müssen die Tiere schuften, abends sie sind eingesperrt im Stall, haben kein Vergnügen. Kein Dank, maximal Prügel und obendrein beraubt man sie ihrer Eier, der Milch; und so er ruft Old Major zur Rebellion auf. Die Farmtiere beschließen, den Bauern zu vertreiben und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. George Orwells politischer, gesellschaftskritischer Roman, hier adaptiert als eindrückliche Graphic Novel. Ich bin begeistert von der grafischen Umsetzung, die tief in die Charaktere geht, gekonnt über Mimik und Körperhaltung arbeitet. Wer den Roman liebt, dem wird der Comic gefallen; wer ihn noch nicht kennt, sollte mal hier hineinschnuppern! Empfehlung!
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Anne auf Green Gables von Mariah Marsden
Es gibt nichts Mächtigeres als ein Mädchen mit Fantasie! Lucy Maud Montgomerys zeitloser Kinderbuchklassiker Anne auf Green Gables wurde weltweit millionenfach verkauft und mehrmals verfilmt, zuletzt auch als Netflix-Serie: Anne with an E. Nun liegt das Buch als Comicadaption vor. Die Geschwister Marilla und Matthew Cuthbert freuen sich auf einen kräftigen Waisenjungen, der ihnen bei der Farmarbeit auf Green Gables zur Hand gehen. Doch als Mathew Cuthbert das Kind vom Bahnhof abholen will, wartet dort ein dünnes Mädchen, mit «Haaren so rot wie Karotten». Und die Geschwister entscheiden sich, das Mädchen, das ohne Punkt und Komma redet, gleich am nächsten Tag wieder zurückzuschicken. Doch sie erliegen dem Charme von Anne Shirley, die alles, was sie sieht, so fantasievoll charakterisiert, zu allem, was auch immer, einen Kommentar geben muss. Comic, Graphic Novel ab 9 Jahren. Empfehlung!
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Graphic Novel nach Goethes FAUST I
Der Tragödie erster Teil Faust, Mephisto und Gretchen als Graphic Novel. Alexander Pavlenko wollte in seiner Graphic Novel-Adaption den Erzählfluss halten, die Atmosphäre des Romans illustratorisch einfangen. Das ist ihm gelungen. Die düstere Stimmung und der Zeitgeist des Klassikers werden sehr fassbar in Bilder übertragen. Die Charaktere sind fühlbar umgesetzt. Faust als Comic umzusetzen bedarf die Kunst, die Essenz aus Klassiker zu ziehen, sie ins Visuelle umzusetzen. Das ist gelungen. Was mir fehlte, das waren die berühmten Zitate aus Faust.
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Verwandlung von Lara Swiontek
Was fällt einem zu Mary Shelley ein? Wahrscheinlich «Frankenstein» oder vielleicht noch «Der moderne Prometheus». Die Verwandlung – Kafka, na klar. Aber auch Mary Shelley hat sich mit diesem Thema befasst: Verwandlung. Lara Swionteks hat diese Geschichte als Graphic Novel umgesetzt, eine Literaturadaption. Sie ist schnell erzählt: Reicher, gewissenloser Sohn verschleudert sein Erbe, stößt alle Menschen an den Kopf, die noch zu ihm halten und landet bildlich in der Gosse – hier ist es das Meer. Ein Schiff zerschellt vor seinen Augen – nur ein Zwerg mit einem Schatz überlebt und macht ihm ein Angebot ...
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Der letzte Fall oder Sherlock Holmes’ Untergang: «The Final Problem» sollte der letzte Fall werden, hier als Grafic ovel präsentiert. Ende aus mit Sherlock Holmes; da Sir Arthur Conan Doyle 1893 keine Lust mehr auf diesen Helden hatte - das regelmäßige Verfassen neuer Detektiv-Geschichten war ihm schlicht zu zeitintensiv; er war ja vielseitig begabt und reiselustig. Heldenhaft stürzt sich Holms so am Ende des Krimis mit dem bösesten Verbrecher der Welt in den Tod. Viel später folgten dann neue Krimis – die eben vor dem Tod von Holms spielten. Von mir gibt es für den Comic eine Empfehlung ab frühstens 10 Jahren / Allage, für alle Sherlock-Holms- (ab 6 Jahren vom Verlag).
Weiter zur Rezension: Sherlock Holmes von Hannes Binder
Der letzte Fall oder Sherlock Holmes’ Untergang: «The Final Problem» sollte der letzte Fall werden, hier als Grafic ovel präsentiert. Ende aus mit Sherlock Holmes; da Sir Arthur Conan Doyle 1893 keine Lust mehr auf diesen Helden hatte - das regelmäßige Verfassen neuer Detektiv-Geschichten war ihm schlicht zu zeitintensiv; er war ja vielseitig begabt und reiselustig. Heldenhaft stürzt sich Holms so am Ende des Krimis mit dem bösesten Verbrecher der Welt in den Tod. Viel später folgten dann neue Krimis – die eben vor dem Tod von Holms spielten. Von mir gibt es für den Comic eine Empfehlung ab frühstens 10 Jahren / Allage, für alle Sherlock-Holms- (ab 6 Jahren vom Verlag).
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Verbrechen und Strafe von Bastien Loukia
Der russische Klassiker «Schuld und Sühne» des Schriftstellers Fjodor Michailowitsch Dostojewski, neu richtig übersetzt mit «Verbrechen und Strafe», ist von Bastien Loukia als Graphic Novel adaptiert worden. Die Bedeutsamkeit des Romans liegt in der Aussage. Und hier hat Bastien Loukia tiefe Atmosphäre geschaffen. Die Aquarelle geben das historische soziale Milieu wieder, die ärmlichen Lebensverhältnisse, wie auch in die Sankt Petersburger Gesellschaft; skurrile Typen, detailliert und ausdrucksstark gezeichnet, wechselnde Perspektiven. Menschliche Abgründe, der Konflikt des Mörders Rodion Raskolnikow kommt gut zur Geltung, ebenso seine Alpträume. Ein empfehlenswerter Comic ab 14 Jahren – Allage.Weiter zur Rezension: Verbrechen und Strafe von Bastien Loukia
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Herrn Arnes Schatz von Roberta Bergmann & Selma Lagerlöf
Diese Geschichte von Selma Lagerlöf, die 1904 erschien, kannte ich noch nicht. Eine Schauergeschichte, inspiriert durch einen tatsächlich stattgefundenen Raubüberfall auf ein schwedisches Pfarrhaus im 16. Jahrhundert, in der die Autorin das Thema Schuld und Sühne thematisiert – die Gier des Menschen. Die Grafiken von Roberta Bergmann in diesem Buch haben mich beeindruckt: Nordische Kühle, Brutalität, Geister – sie fängt die Szenerie perfekt ein. Ein Leseschatz!
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Diese Geschichte von Selma Lagerlöf, die 1904 erschien, kannte ich noch nicht. Eine Schauergeschichte, inspiriert durch einen tatsächlich stattgefundenen Raubüberfall auf ein schwedisches Pfarrhaus im 16. Jahrhundert, in der die Autorin das Thema Schuld und Sühne thematisiert – die Gier des Menschen. Die Grafiken von Roberta Bergmann in diesem Buch haben mich beeindruckt: Nordische Kühle, Brutalität, Geister – sie fängt die Szenerie perfekt ein. Ein Leseschatz!
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Der Tod in Venedig von Susanne Kuhlendahl
Susanne Kuhlendahl hat die Novelle «Der Tod in Venedig» von Thomas Mann wundervoll als Graphik Novel umgesetzt. Wo Thomas Mann Worte sprechen lässt, benutzt sie das Bild. Natürlich ist auch Text enthalten – und der ist originalgetreu. Es ist alles enthalten, was diesen Fünfakter ausmacht: die Symbolkraft und die Sinnhaftigkeit: Schönheit, Begierde, Abgrund. Figurentiefe und Emonationalität entsteht durch die Ausdruckskraft der Gesichtszüge und Körperhaltung – hier haben mich die Details beeindruckt. Auch die Symbolhaftigkeit des Todes ist schauerlich gut gelungen, die Gier und der Verlust der Würde. Auch empfehlenswert als Schullektüre.
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Der Tod in Venedig von Susanne Kuhlendahl
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