Rezension
von Sabine Ibing
Dieser Sommer mit Jente
von Enne Koens
‹Hast du Angst?›, fragte sie.
Ich wollte sagen, dass ich keine Angst hatte. Wirklich nicht. Bestimmt hatte sie selbst Angst. Aber ich schaffte es nicht, auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Ich klammerte mich an das Metallgeländer der Brücke. Meine Knie wurden weich. Zehn Meter unter mir glitzerte das Wasser.
Die Zehnjährige Marie ist wütend: Ihre Eltern ziehen in ein Neubaugebiet. Viel lieber wäre sie in ihrem alten Zuhause in der Nähe ihrer besten Freundin Zoë geblieben. Doch schnell gewöhnt sie sich ein, genießt das ländliche Leben. Bereits am zweiten Tag lernt sie Jente kennen, die ein paar Häuser weiter wohnt. Von da an sind die Mädchen unzertrennlich. Jente ist schwierig, wild und eigensinnig, abenteuerlustig; häufig bekommt sie Tobsuchtsanfälle. Eine Kuhle in einer Wiese wird zum geheimen Ort der Mädchen, wo sie Comics lesen, Süßigkeiten essen und in den Himmel schauen.
Jente hat immer verrücktere Ideen
Schon bald bemerkt Marie, dass die Freundschaft zu Jente anders ist, als die mit Zoë. Die Kuhle ist das Geheimnis von Jente und Marie – doch eines Tages, als Marie dort verspätet ankommt, sitzt Jente hier mit anderen Kindern. Die Süßigkeiten, die Jente vom Taschengeld bezahlt hatte, sind aufgegessen, ihre Comics zerrissen. Das ist Verrat! Doch Marie kann Jente nicht widerstehen. Jente hat immer verrücktere Ideen, gefährliche …. Marie ist unwohl dabei – trotzdem lässt sie sich von Jente anfeuern, mitzumachen. Irgendwann muss sie sich entscheiden.
Nein sagen
Eine Geschichte über Freundschaft und Verrat und darüber, wie wichtig es ist, manchmal Nein zu sagen. Marie muss lernen, Freundschaft bedeutet nicht nur, das zu tun, was der andere will. Freundschaft heißt auch, sich gegenseitig zu respektieren. Wir wissen seit Marty McFly: «Niemand... wirklich NIEMAND nennt mich eine feige Sau!!!», was passiert, wenn man sich verleiten lässt, etwas zu tun, was völliger Blödsinn ist, bloß um nicht als hasenherzig zu gelten. Manchmal muss man feige sein – denn es ist nicht memmenhaft, sich in Gefahr zu begeben – so die Prämisse. Zu sich stehen, für sich selbst entscheiden und an einem Punkt Nein sagen. So weit eine prima Message. Schade, dass dieses Kinderbuch mit dem Ende beginnt – mit einem Cliffhanger. Ein Kinderbuch – klar, wie es am Ende ausgehen wird … Jente ist dominant, ein wütendes Mädchen, eine, die Druck auf ihre Umgebung ausübt. Eine, die Tobsuchtsanfälle bekommt, um ihren Willen zu erreichen. Wenn Marie nicht spurt, ignoriert sie die Freundin für ein paar Tage. Marie lernt nun verschiedene Arten von Freundschaft kennen und muss sich entscheiden, was für sie zählt. Enne Koens versteht es, sich in ihre Charaktere hineinzuversetzen, Sätze klingen zu lassen. Kinder können sich hier wiederfinden und über diese Situationen resümieren. Trotz allem zieht sich die Geschichte. Mir persönlich fehlte ein wenig Spannung. Der Gerstenberg Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 10 Jahren. Eine prima Geschichte für Kinder, die weniger spannungsgeladene Literatur bevorzugen.
Enne Koens, geb. 1974 in Amsterdam, lebt heute in Utrecht. Sie schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene, außerdem Theaterstücke, Lieder und Drehbücher. Ihr Kinderroman Ich bin Vincent und ich habe keine Angst war 2020 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und erhielt den Leipziger Lesekompass.
Dieser Sommer mit Jente
Originaltitel: Die Zomer met Jente
Aus dem Niederländischen übersetzt von Andrea Kluitmann
Mit Grafiken von Maartje Kuiper
Kinderroman, Kinderbuch, Freundschaft, Nein sagen
Hardcover, 192 Seiten, durchgehend zweifarbig illustriert
Gerstenberg Verlag, 2023
Altersempfehlung: ab 10 Jahren
Kinder- und Jugendliteratur
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