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Brennende Himmel von Mattia Insolia - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing






Brennende Himmel 


von Mattia Insolia


Ein Cover, wunderschön, auch haptisch, darauf abgebildet ein ausgesprochen schöner junger Mann. Hoffentlich, wird es keine kitschige Liebesgeschichte, dachte ich. Wer darauf setzt, der sei gewarnt: Das ist eher eine Horrorgeschichte. Winter 2019 – Niccolò ist 19 Jahre alt, der Schulabschluss steht bevor, wahrscheinlich wird er Medizin studieren. Er trinkt, schmeißt sich alle Drogen ein, die er in die Finger bekommt, gibt sich unnahbar und handelt rücksichtslos, behandelt Frauen wie Dreck, geht mit den Kumpeln Asylanten klatschen. Ein reiches Söhnchen aus dem Norden von Italien, sein Ziehvater ist Schönheitschirurg, seine Mutter, Teresa, eine stocksteife, katholische Lehrerin. Sein Vater, Ricardo, taucht hin und wieder auf – eine versoffene Nullnummer, der Loser schlechthin, Teresa hasst ihn. Eines Tages steht er vor der Tür, überredet Niccolò zu einem gemeinsamen Roadtrip, in dem er ihm erst im Auto erklärt, dass es jetzt in den tiefsten Süden geht – mitten im Winter.


Er hatte seinen Vater nie verstanden. Er hatte sich immer darauf beschränkt, ihn zu ertragen. Aber das Unverständliche vorbehaltlos zu akzeptieren, stiftet Unruhe im Himmel eines jeden. Und Niccolò wollte Ordnung haben in seinem Paradies. Nur er sollte dort machen können, was er wollte. Die anderen sollten schön brav sein.


Sommer 2000 – Teresa macht mit ihren strengen Eltern Ferien in Camporotondo, in Ligurien, am Meer in einer Ferienhaussiedlung, wo die Eltern ein kleines Urlaubsdomizil besitzen. Sie hat Träume, ist neugierig und gleichzeitig verunsichert von der Welt um sie herum, denn die Mutter führt ein streng katholisches Regiment. Während des Urlaubs lernt Teresa Riccardo kennen. Er ist schön und verwegen, sie verliebt sich. Eine toxische Beziehung. Riccardo wohnt mit seinen Freunden in der protzigen Villa seiner Eltern, fährt mit 19 Jahren ein fettes Cabriolet, er studiert Jura, alle Mädchen stehen auf ihn. Er trinkt, schmeißt sich alle Drogen ein, die er in die Finger bekommt, gibt sich unnahbar und handelt rücksichtslos, behandelt Frauen wie Dreck. Tereas Mutter ist gestört. In undefinierbaren Wutausbrüchen verhaut sie übelst Mann und Tochter. Alles, was junge Mädchen interessiert, ist Teresa verboten: Schminke, Nagellack, modische Bekleidung, Ausgehen, Jungs ... In ihrer Naivität fällt sie auf alles herein. 


‹Du kannst nicht in der Welt leben, ohne sie zu bewohnen. Das ist es. das ist es.› Himmelhergott. ‹Und wenn du das nicht verstehst, dann lässt du dich nicht etwa geschehen, wie du sagst, sondern du versteckst dich.›
Sein Vater hörte auf zu hüpfen, starrte seinen Sohn an und lächelte ihm zu. ‹Bravo. So ist es.›


19 Jahre später meint Riccardo verstanden zu haben, dass er ein A…loch ist und sein in den Tag hineinzuleben, falsch war; er «ließ sich einfach geschehen». Er hatte sein Studium abgebrochen und vielen Menschen weh getan, seine Eltern hatten ihm irgendwann die finanzielle Zuwendung gestrichen und den Kontakt zu ihm. Er sieht in Niccolò sein Ebenbild, will den Jungen warnen, so weiterzumachen und fährt ihm dorthin, wo Niccolò entstanden ist, und der Junge erfährt auf der Fahrt, was damals geschehen war. Eine kraftvolle Erzählung voller Gewalt und Drogen. Selbst die Fahrt ist nicht besser. Denn Ricardo hat sich kein bisschen verändert. Wir erleben sinnlose Gewalt an allen Ecken. Stinkreiche Söhnchen, die meinen, sie könnten sich alles erlauben. Toxische Männlichkeit, Misogynie, emotional verwahrloste Typen und Frauen, die auch noch darauf abfahren, sich erniedrigen lassen. Hier brennt atmosphärisch die Luft. Warum Riccardo so geworden ist, wie er ist, ist nachvollziehbar. Bei Niccolò hatte ich Probleme, das zu verstehen, denn die Mutter-Sohn Beziehung und die zum Ziehvater wird nicht erklärt. Und es war mir zu viel an Schönheit, öligen Muskeln und Waschbrettbauch im Abendlicht erwähnt, Hemden, bis zum Bauchnabel offen – immer wieder und immer wieder. Schade. Ansonsten ein hammerharter Roman, bei dem man Schnappatmung bekommt. Noir, für starke Nerven, für die, die es mögen, eine Empfehlung!


Mattia Insolia wurde 1995 in Catania geboren, er hat Literatur und Verlagswesen an der Sapienza in Rom studiert. Als Literatur- und Filmkritiker schreibt er u.a. für L’Indiependente.




Mattia Insolia
Brennende Himmel
Originaltitel: Cieli in fiamme
Übersetzt aus dem Italienischen von Mirjam Bittner
Zeitgenössische Literatur, toxische Männlichkeit, Noir, Italienische Literatur
Hardcover, 352 Seiten 
Karl Rauch Verlag, 2024 




Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Roman







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