Rezension
von Sabine Ibing
Skelling
von David Almond
Er lag dort im Dunklen hinter Teekisten in Staub und Dreck. Er war schmutzig, blass und ausgedörrt, und ich dachte, er sei tot. Mehr hätte ich mich nicht irren können. Bald sollte ich die Wahrheit über ihn herausfinden: Solch ein Wesen hat es noch nie auf der ganzen Welt gegeben.
Der zwölfjährige Michael steht plötzlich vor einer Menge von Problemen. Nach dem Umzug in ein renovierungsbedürftiges Haus haben seine Eltern auf einmal kaum mehr Zeit für ihn, weil das frühgeborene Baby, seine Schwester, mit einem Herzfehler auf die Welt kam und kränkelt. Mama kümmert sich um das Baby, und Papa versucht dem Chaos im Haus Herr zu werden. Alte Möbel werden entsorgt, die Küche abgerissen, das Wohnen im Wirrwarr stresst die gesamte Familie. So erkundet Michael den verwilderten Garten und die baufällige Garage, die er eigentlich nicht betreten darf. Dort entdeckt er in der dunkelsten Ecke inmitten von Gerümpel und Dreck ein seltsames Wesen. Eine für den Jungen befremdliche Kreatur, abstoßend und faszinierend zugleich. Diese abgehungerte Kreatur, von schwerer Arthritis geplagt, scheint sich von Spinnen und Insekten zu ernähren.
Sein Name ist Skellig
Die Käuze weckten mich. Oder ein Schrei, der wie der Schrei eines Kauzes klang. Ich schaute in die Nacht hinaus. Der Mond hing über der Stadt, ein großer orangefarbener Ball, Umrisse von Kirchtürmen und Schornsteinen umgaben ihn. Der Himmel um ihn herum war blau und wurde nach oben hin immer schwärzer. Hier unten fielen der pechschwarze Schatten der Garage und ein Keil von kaltem Silberlicht über die Wildnis.
Immer wieder schleicht Michael nachts in die Garage. Das zunächst abweisende Wesen reagiert dann doch auf den Jungen, der immer wieder seine Hilfe anbietet. Es hätte gern chinesisches Essen, 27 und 53, Aspirin und eine Dose Bier. Michael lernt das Nachbarsmädchen Mina kennen, die ihm ihr Geheimnis zeigt, und so nimmt er sie im Gegenzug mit in die Garage. Dem Baby geht es schlecht, Mama fährt mit dem Mädchen ins Krankenhaus. Wird sie am Leben bleiben? Der Schmerz lastet auf Michael. Mina und Michael kümmern sich liebevoll um das dürre Wesen mit den auffällig knochigen Schulterblättern – an denen sich verkümmerte Flügel befinden. Zwischen den Dreien entwickelt sich so etwas wie Freundschaft, und nun verrät die Kreatur seinen Namen: Skellig. Die beiden Kinder machen im Umgang mit Skelling ungewöhnlichen Erfahrungen. Und vieles in Michaels Leben verändert sich …
Ein großartiger Klassiker!
Der Tod ist ein zentrales Thema. Wird es das Baby schaffen, zu überleben, wird der im Sterben liegende Skelling gesund, können ihn die Kinder überzeugen, dass das Leben lebenswert ist? Michael nennt den blutleeren Arzt, der das Baby behandelt «Dr. Tod», auch weil seine Diagnosen für die Schwester den Tod nicht ausschließen. Das Baby totenbleich, mit totschwarzem Haar. Es geht in diesem Roman ebenso um Entwurzelung. Michael, der sein Zuhause verliert, im chaotischen Zustand des neuen Hauses zunächst keinen Halt findet – und ein Skelling, der keine Heimat mehr hat. Neu orientieren, neue Freunde finden – Kinder, die sich gegenseitig stützen, wenn Erwachsene keine Zeit für sie haben. Wer oder was ist Skelling? Auch das bleibt bis zum Schluss der Fantasie des Lesenden offen. Eine reale Geschichte, in die mystische Wesen eingewoben sind. Das hat mir gut gefallen. Ein tiefgründiger, empathischer Jugendroman. Ein großartiger Klassiker! Der Verlag Freies Geistesleben gibt eine Altersempfehlung ab 11 Jahren. Das passt.
Skellig ist David Almonds erstes und wohl bedeutendstes Kinderbuch von 1998, das auf Deutsch damals unter dem Titel «Zeit des Mondes» erschien. Es wurde ein Welterfolg, wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt und ist vielfach preisgekrönt (u.a. mit der Carnegie Medal und jüngst beim Literaturfestival Berlin 2021/Internationale Kinder- und Jugendliteratur mit der Auszeichnung «The Extraordinary Book» versehen. «Skellig» 2009 verfilmt und als Radio-, als Theaterstück sowie als Oper bearbeitet. David Almond ist 1951 in Gateshead geboren, und er ist einer der bedeutendsten britischen Kinder- und Jugendbuchautoren der Gegenwart. Er wurde unter anderem mit der Carnegie Medal (1998), dem Hans Christian Andersen-Preis (2010), dem Guardian Children’s Fiction Prize (2015) und dem James Krüss Preis für internationale Kinder- und Jugendliteratur (2022) ausgezeichnet. David Almond lebt mit seiner Familie in Northumberland (England).
David Almond
Übersetzer Martin Walser, Johanna Walser
Jugendbuch, Jugendroman, Fantasy, Myst, Klassiker
Hardcover mit Schutzumschlag, 183 Seiten
Verlag Freies Geistesleben, 2022
Altersempfehlung: ab 11 Jahren
Weltliteratur und andere Klassiker für Kinder
Heute zeige ich euch eine Auswahl von Klassikern, die kindgerecht aufgearbeitet wurden. Kindgerecht, viele verkürzt, in einer Sprache, die Kinder verstehen. Klassische Literatur für Kinder – aber auch die Begegnung mit Malern und Musikern - Klassiker in der Kinder- und Jugendliteratur.
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Kinder- und Jugendliteratur
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