Rezension
von Sabine Ibing
Schneekinder
von Andreas Langer
Der erste Satz:
Es braucht nur eine Schneeflocke, um Kjell traurig werden zu lassen.
Die Zwillinge Elin und Kjell leben in Jorland, einem Land der Vulkane und Geysire, in dem die Winter lang und hart sind. Im Land herrscht Krieg, und in ihrem Dorf wohnen nur noch zwei Alte und Kinder; alle anderen wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Jungen aus dem Dorf und aus fernen Orten werden gezwungen, im Bergwerk Kohle abzubauen, streng bewacht von König Laurus fiesen Wachen. Als Kjell mit den anderen Jungen zum Arbeiten ins Bergwerk einfährt, öffnet sich eine Felsspalte - und ein namenloser Schrecken erwacht. Ein dunkler, tödlicher Dunst wabert heraus und riesige Steinwesen trampeln durch die Gänge. Wer jetzt noch lebt, läuft um sein Leben …
Die 14-jährige Elin wird ungewollt zur Anführerin bestimmt
Wie gefährlich sind die Steinwesen?
Die sieben Kinder, die von steinernen Riesen aus ihrem Heimatdorf vertrieben wurden. Die vier Jungen, die einen namenlosen schwarzen Schrecken entfesselt hatten. Die zwei alten Menschen, die kaum noch laufen konnten. Der junge Ochse, der einen abenteuerlich beladenen Karren zog. Und Elin selbst, deren Innerstes in Flammen stand.
Johan kommt mit den Jungen, die überlebt haben, ins Dorf gerannt, erklärt, dass Kjell es zwar noch aus dem Bergwerk herausgeschafft hat, aber mit seinem verletzten Knöchel nicht schnell genug vor den Steinwesen fliehen konnte – sie werden ihn zertreten haben. Er mahnt zum schnellen Aufbruch, denn der namenlose Dunst und die Steinwesen werden bald hier sein. Schnell wird der Ochse vor den Wagen gespannt, mit Lebensmitteln, Schlitten, Zelten, Fellen und nützlichen Dingen bepackt. Schon poltern die ersten Steinwesen ins Dorf. Die Dorfbewohner fliehen: zwei Alte, die kaum noch laufen können und ein Trupp Kinder. Die 14-jährige Elin wird ungewollt zur Anführerin bestimmt. Die Steinwesen sind langsam, aber auf ihrem Weg treten sie alles platt, und wer weiß, was sie mit ihnen anstellen werden. Wie gefährlich sind sie?
Eine heiße Geschichte in Eiseskälte
Manchmal muss man Opfer bringen. Manchmal geht es um das große Ganze.
Schnee liegt in der Luft. Wie lange werden sie noch mit dem Wagen fahren können? Auf dem bedrohlichen Weg durch Schnee und Eis müssen sie sich beeilen, denn der schwarze Dunst zieht bedrohlich hinter ihnen her. Auch wenn die Steinwesen langsam sind, sie scheinen nicht zu schlafen, wandern auch in der Nacht. Aber nicht nur von außen droht Gefahr, auch aus den eigenen Reihen … Atmosphärisch und und feinsinnig spielt Andreas Langer mit unseren Urängsten. Wann muss man sich selbst retten und Freunde im Stich lassen – eine Frage der Moral oder Überlebensinstinkt? Und wie sieht es mit den Schwachen in der Gruppe aus, muss man sie im Stich lassen? Was ist eigentlich wertvolle Arbeit für die Gruppe? In der Not zeigt sich der wahre Charakter – soziale Verantwortung, Egoismus, Neid, Ausgrenzung, Aufwiegler, und solche, die ihren Nutzen aus der Not von anderen ziehen und andere, die sich für das große Ganze opfern. König Laurus führt Krieg, schickt Kinder in Sklavenarbeit unter die Erde. Und seine Vertreter im Dorf schwingen sich zuerst aufs Pferd, um sich in Sicherheit zu bringen, lassen die Bevölkerung im Stich. Leise Auflehnung gegen den Despoten wird gezeigt und die Begegnung mit fremden Wesen, die man zunächst als Bedrohung wahrnimmt, aus dem Bauch heraus, weil man Fremden mit Misstrauen begegnet. Hier ist eine Menge sozialer Sprengstoff versteckt. Eine heiße Geschichte in Eiseskälte, prallgefüllt mit Themen der Gruppenpsychologie. Das ist gelungen!
Spannendes Kinderbuch mit Tiefgang
Ein spannender Kinderroman, der minutiös eine Flucht beschreibt, mit allen Widrigkeiten, die den Flüchtenden begegnen. Eine fein gezeichnete Hauptfigur, die oft mit sich selbst hadert, die plötzlich eine große Verantwortung trägt, für sich und eine ganze Gruppe Entscheidungen treffen muss. Lebenswichtige Entscheidungen – die nicht immer richtig sind. Aber was ist schon richtig, was falsch? Das weiß man erst hinterher. Starke Charaktere, eine Menge Konflikte, atmosphärische Beschreibungen von Landschaft und Reise – ein Fantasyland, das stark an Island erinnert. Ein spannendes Kinderbuch mit Tiefgang, Empfehlung! Der Ueberreuter Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 10 Jahren. Ich würde bei diesem sozialen Sprengstoff eher ab 12 Jahren empfehlen. Vielleicht gibt es einen weiteren Teil – denn die Fantasy-Geschichte hat Potential, weitergeschrieben zu werden.
Andreas Langer ist gelernter Journalist und arbeitete anderthalb Jahrzehnte lang als Lokalredakteur und Werbetexter. Mittlerweile begleitet er vormittags Schwabens ländliche Entwicklung in Wort und Bild, während er sich nachmittags, abends oder auch nachts Geschichten ausdenkt und von fantastischen Welten erzählt. Gemeinsam mit seiner Frau, drei Kindern und zwei dreifarbigen Katzen lebt er in einer kleinen Stadt am Westrand Bayerns.
Schneekinder
Kinderbuch, Kinderroman, Abenteuer, Fantasy, Kinder- und Jugendliteratur
Hardcover, 352 Seiten
Ueberreuter Verlag, 2023
Altersempfehlung: ab 10 Jahren (Verlag), ab 12 Jahren von mir
Fantasy, Fantastic, Dystopien
Hier bin ich leider in letzter Zeit etwas ratlos. In dieser Rubrik wird wenig auftauchen. Leider habe ich das Gefühl, dass hier keine neuen Ideen kommen. Ich mag nicht immer wieder das gleiche Buch in Abwandlung lesen ... Aber auch hier lasse ich mich gern überraschen. Meist findet man unter den Dystopien doch mal was Neues.Fantasy
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