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Inside Underdog von Iris Antonia Kogler - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Inside Underdog 


von Iris Antonia Kogler 

Backstage-Notizen


Aschenputtel ist schon lange erwachsen ... Der Prinz wird nicht kommen, dafür ist es zu spät. Und trotzdem, umgeben von Plastik und Kartonagen pfeift sie ein fröhliches Lied mit, das im Radio läuft zwischen Nachrichten über einen Wahnsinnigen in den USA und den Krieg in Europa. - Die Tauben haben es heute auch nicht mehr leicht.


Wir besuchen Messen, Konzerte, Veranstaltungen und erleben Glanz und Glimmer, Hallen, die perfekt ausgeleuchtet sind, hübsch ausstaffiert, austarierte Tonanlagen, blitzeblank gereinigt. Doch das alles wird für uns aufgebaut, wieder abgebaut, Bühnenbilder erarbeitet. Haben wir uns jemals gefragt, welche Menschen dahinterstehen? Backstage – ein harter Knochenjob, hier wird Tag und Nacht geackert – manchmal 26 Stunden ohne Schlaf durchgearbeitet, denn Zeit ist Geld. In ihren autofiktionalen Momentaufnahmen gibt Iris Antonia Kogler den Menschen, die nicht gesehen werden Stimme und Gesicht. 


Am Rand der Belastbarkeit


Mensch, ich habe Feierabend. Ich habe die letzten sechzehn Stunden nur Lärm gehabt. Das ist mein Feierabendbier. Egal, dass es sieben Uhr am Morgen ist. Feierabend ist Feierabend. Bier ist Bier.


Arbeitslos direkt nach der Ausbildung zur Dramaturgin, möchte die Icherzählerin sich dennoch nicht auf staatliche Hilfe verlassen und nimmt an Jobs, alles, was sich ihr bietet. Ein Fehler, denn gerade dadurch landet sie ganz unten im System. «Machen Sie das nicht», sagt ihr Fallmanager im Arbeitsamt, «Wenn sie das einmal machen, kommen Sie danach nicht mehr von der Schiene herunter.» Es beginnt mit Abfallsortierung – ein Fehler, wer ganz unten beginnt, hat kaum eine Chance nach oben zu schwimmen. 54 autofiktionalen Skizzen untertitelt – Kurzgeschichten. Bühnenbild, riesige Stoffbahnen schneiden, nähen, Bühnenbild aufbauen, schwere Teile schleppen, nicht bezahlte Überstunden, unbezahlter Nachtschichtzulage. Alles dabei. Kurzgeschichten, Momentaufnahmen, prägnant geschrieben, auf den Punkt gebracht. Ein Zeitraum von vier Jahren, der einen guten Einblick hinter die Kulissen gibt: Backstage-Notizen. Perspektivwechsel zwischen den Jobs, aber immer das Gefühl wiedergegeben, wie es sich anfühlt, ganz unten zu sein, nicht gesehen zu werden; sexuelle Belästigung, psychische Belastung, das alles bringt einen an den Rand der Belastbarkeit. 


Kurzgeschichten, die nachhallen


… Augenblicke, Satzfetzen und notierte sie auf Post-Ist. Ich begann, über Menschen zu schreiben … Ich schrieb eine knapp hundertseitige Geschichte in fünf Tagen herunter. Einfach so. Es fühlte sich an, wie nach Hause zu kommen.


Schlechte Bezahlung für miese harte Arbeit, miese Wohnverhältnisse, Wohngeld beantragen. Einen neuen Weg für sich finden: Messeausbau, ein Knochenjob – on the Road, von einer Messe, von einem Hotel zum nächsten Ort … Iris Antonia Koglers Notizen aus ihrem eigenen Leben, das nach einer «Ausbildung in einem Fach, das der Arbeitsmarkt nicht braucht», zusammenbrach. Träume, die an der Realität zerschellten. Von Job zu Job als Aushilfe hangelt sie sich weiter. Immerhin, sagt sie, gab es ihr den Stoff zu schreiben. Zu beschreiben; Menschen aus dem Backstage zu holen und ins Rampenlicht zu setzen. Beeindruckend, welche Kraft diese kurzen autobiografischen Notizen besitzen – Kurzgeschichten, die nachhallen. Empfehlung!


Schöne Bücher Bibliothek

Zehn Verlage, zehn Bücher, für eine gemeinsame Reihe: Das ist die Schöne Bücher Bibliothek. Die Edition der unabhängigen Verlage vereint ausgewählte Titel zeitgenössischer Autor:innen, Highlights aus den Independents: mal mit Witz, mal ganz ernst. Mal mit Blick auf große Fragen unserer Zeit, mal auf das Kleine, ganz Private. Und stets absolut lesenswert. Zehn literarische Stimmen, zehn kuratierte Perlen für Buchfans, vom historischen Roman über Krimi und Mystery bis zu Science-Fiction oder Satire: ein Literatur-Kanon, wie er im Buche steht. Eins davon ist dieses Buch. 


Iris Antonia Kogler lebt in Düsseldorf. Sie arbeitete nach ihrer Ausbildung zur staatlich anerkannten Dramaturgin im Kulturbereich. Ihr Arbeitsleben war geprägt von befristeten Verträgen und der damit verbundenen Angst vor der Arbeitslosigkeit. Als sie keine neue Arbeitsstelle im Kulturbetrieb fand, nahm sie diverse Jobs an, um sich und später auch ihre Schriftstellerei zu finanzieren. Sie arbeitete als Näherin, Stagehand, Monteurin für Messe- und Bühnenbau, Aktmodell und Ausstellungstechnikerin. Unter anderem. Heute arbeitet sie als Schriftstellerin und Lehrerin für kreatives Schreiben. Unter anderem. 



Iris Antonia Kogler
Inside Underdog
Backstage-Notizen
Kurzgeschichten, Porträts aus dem Arbeitsmarkt
Hardcover, 100 Seiten
Mirabilis Verlag, 2023 




Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

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