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Falcone von Roberto Saviano - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Falcone 


von Roberto Saviano


Gesprochen von Martin Bross
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Std. und 14 Min.


Ein echtes Licht, das die Schatten vertreiben und allen erlauben würde, klar zu sehen, zu verstehen.

Wie lebt man, wenn man weiß, dass man ganz oben auf der Todesliste der Mafia steht? Jede Minute kann es so weit sein. Sie können dich nicht vollständig beschützen. Doch trotzdem machst du weiter, erhobenen Hauptes! Savianos wichtigstes Buch seit «Gomorrha» erzählt das Leben des größten Mafiajägers der Geschichte. Nicht nur als Richter, sondern auch als Ehemann, als Bruder, als Freund. Mit seinem Geldwäsche-Gesetz forderte Falcone die Mafia heraus. Als er am 25. Mai 1992 mit seiner Frau unterwegs zum Wochenendhaus ist, sprengt die Mafia sie mitsamt einem Stück Autobahn in die Luft. Es ist ein Wendepunkt in der Geschichte Italiens und Europas. Saviano, weiß, wovon er schreibt, denn seit Jahren lebt er selbst unter Polizeischutz, zeigt anhand von Falcones Geschichte wie demokratische Strukturen ausgehöhlt werden und wie durch Zivilcourage die Welt verändert werden kann. Ein Buch, das uns alle betrifft.


Nur ein Team kann erfolgreich sein

Dass einer wie er sich amüsiert, ist unanständig. Es ist nicht gottgefällig. Nicht dafür bezahlen die Bürger seinen Geleitschutz, sondern damit er leidet und das Leiden verkörpert.

Roberto Saviano erzählt die Geschichte Falcones und die von weiteren Richter aus Palermo, die sich die Aufgabe gemacht haben, Mafiagrößen zu verhaften, zu verurteilen, die Strukturen der kriminellen Vereinigung offenzulegen. Das erste Problem liegt darin, zu beweisen, dass es die Cosa Nostra und die Camorra überhaupt gibt, ihre Verbindung zur Mafia in den USA nachzuweisen. Denn das wird von allen Seiten als Hirngespinst abgestritten: Es gibt angeblich keine Mafia. Der entscheidende Erfolg für Falcone war der sogenannte «Maxi-Prozess». Diesen Weg ist Falcone natürlich nicht allein gegangen. Aber er war derjenige, der die Zusammenarbeit im Team installierte, in einer Antimafiagruppe, die im ständigen Austausch stand mit all ihrem Wissen. Denn nur wer die verzweigten Wege aus dem ganzen Land zusammenfügt, kann Strukturen entdecken, Wege und Zusammenhänge aufdecken, Vernetzungen mit Personen. Das Wissen verteilen, damit keine Löcher in der Ermittlung entstehen, wenn wieder einer von ihnen ins Gras beißen muss, damit mit seinem Tod nicht das Ende steht, sondern weiter ermittelt wird. Und auf diese Weise lassen sich Banken, Firmen, Personen usw. miteinander verbinden und Verbrechen aufdecken, angefangen Drogengeschäften, von Geldwäsche, Korruption, Mordaufträgen, bis zur Unterwanderung des Staats. Falcones Team spürt Mafia-Boss Tommaso Buscetta in Brasilien auf, lässt ihn verhaften. Um seinen Hals zu retten, bricht er die Omerta und beginnt zu reden – wie ein Wasserfall – berichtet von der engen Verflechtungen der Mafia mit Staat, Gesellschaft und Kirche Eine Menge Mafiosi werden verhaftet, verurteilt – andere verstecken sich, werden in Abwendheit verurteilt. In Palermo wird auf die Schnelle ein neues Hochsicherheitsgefängnis errichtet: 30 Käfige; 475 Männer standen unter Anklage, von denen am Ende 344 zu insgesamt 2.665 Jahren Haft verurteilt werden. Das erste Mammutverfahren gegen die sizilianische Mafia-Organisation Cosa Nostra hat 1986 Erfolg. Der Mafia-Clan aus Corleone, die Krake der organisierten Kriminalität, unter dem Clanchef Totò (Salvatore) Riina wird zerlegt. Und später wird auch Totò aufgespürt, der «Capo di tutti capi», der Boss der Bosse, auch genannt «la belva», die Bestie, der bereits verurteilt wurde. 


Sie setzen das Anti-Korruptions-Gesetz durch

… darf das Wissen, das jeder von uns angesammelt hat, nicht verloren gehen. Wenn einer fällt, fällt nicht auch die Ermittlung. Wenn einer fällt, wissen wir, dass er, bevor er fiel, den Staffelstab weitergegeben hat.

Falcone steht auf der Abschussliste der Camorra ganz oben. Viele seiner Kollegen fallen. Doch er probiert ganz normal zu leben, sich nicht verschrecken zu lassen von den Drohungen der Camorra, was ihm der ein oder andere Nachbar übel nimmt. Er und seine Familie leben unter ständiger Bewachung. Er macht weiter, will sich dem organisierten Verbrechen entgegenstellen, den Sumpf trockenlegen. Es ist bemerkenswert, wie Falcone und seine Kollegen fortfahren, welche Steine ihnen in den Weg gelegt werden von allen Seiten. Sie entwickeln das sogenannte Anti-Korruptions-Gesetz, das sie durchsetzen können, dass ihnen erheblich weiterhilft bei ihrer Arbeit. Sie agieren weiter, immer im Bewusstsein, dass jede Minute ihre letzte sein kann, und sie erleben, wie rund herum um sie die Kollegen fallen. Totò Riina verurteilt zu 13-mal lebenslänglich – er wird bis zu seinem Ende den Knast nicht mehr verlassen. Der Roman endet mit den Worten «Solo è il coraggio» - der Mut ist einsam. Ein schöner Abschlusssatz, Roberto Saviano kennt dieses einsame Leben, weil der Journalist selbst betroffen ist. 


Sie haben ihr Leben gelassen für uns alle

Er selbst hatte die Reportage «Gomorrha» geschrieben, sagte in einem Interview, hätte er damals als junger Mann nicht geahnt, dass er mit dieser Dokumentation auf der Todesliste landen würde; wahrscheinlich hätte er das Buch nicht geschrieben, wenn ihm dies bewusst gewesen wäre. Aber das sei seine Meinung heute rückblickend, mit der Erfahrung für sich und seine Familie, die unter ständigem Polizeischutz leben müssen, ein gewaltiger psychischer Druck, eine absolute Einschränkung des Lebens. In Gomorrha hatte er aufgedeckt, wie die süditalienische Camorra im internationalen Drogenhandel arbeitet, riesige Mengen Giftmülls in Italien verschiebt, dicke Geschäfte mit der Herstellung billiger und hochwertiger Textilien macht und praktisch das Monopol auf den Handel mit Zement besitzt. Die Geschäftsbeziehungen reichen bis nach Deutschland, Schottland oder China. Auf ihr Konto gehen jedes Jahr Hunderte von Toten. Er schrieb weitere Mafia-Bücher; er stand sowieso auf der Todesliste, da war es egal. Mit Falcone hat er nun dem mutigen Richter und seinem Team ein Denkmal gesetzt – mutige Helden, die die kriminellen Vereinigungen an Licht gezogen haben, deren Existenz von den Obersten viel zu lange geleugnet wurde. Sie haben ihr Leben gelassen für uns alle; auch wenn der Sumpf noch lange nicht trocken ist. Er ist sichtbar, Gesetze wurden entwickelt und andere mutige Juristen folgten. Ist es ein Roman oder ein Sachbuch? Beides. Roberto Saviano hat akribisch recherchiert und detailreich die Ermittlungen und das Geschehen rundherum wiedergegeben im journalistischen Stil. Andererseits aber fühlt er sich in seine Charaktere hinein, lässt sie sprechen und denken. Auch einige Mafiosi kommen zu Wort. Spannend geschrieben, an manchen Stellen sehr detailliert, wird der gesamte steinige Weg über Jahre bis hin zum Maxi-Prozess beschrieben, ein Wende in der italienischen Justiz. Empfehlung!

Roberto Saviano, 1979 in Neapel geboren, arbeitete nach dem Studium der Philosophie als Journalist. Gomorrha kam rasch nach Erscheinen auf die italienische Bestsellerliste und machte ihn schlagartig berühmt. Nach wiederholten Morddrohungen von Seiten der Camorra steht Saviano permanent unter Personenschutz und lebt seit vielen Jahren im Untergrund. Bei Hanser erschienen Gomorrha (Reise in das Reich der Camorra, 2007), Das Gegenteil von Tod (2009), Der Kampf geht weiter (Widerstand gegen Mafia und Korruption, 2012), ZeroZeroZero (Wie Kokain die Welt beherrscht, 2014), Super Santos (Hanser Box, 2014), Der Clan der Kinder (Roman, 2018) und Die Lebenshungrigen (Roman, 2019). 2009 erhielt Saviano den Geschwister-Scholl-Preis, 2012 den Olof-Palme-Preis für seinen publizistischen Einsatz gegen organisiertes Verbrechen und Korruption und 2016 den M100 Media Award. Er schrieb am Drehbuch zum Film «Paranza - Der Clan der Kinder» mit, das auf der Berlinale 2019 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde.



Roberto Saviano
Falcone
Originaltitel: Solo è il coraggio
Aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki
Gesprochen von Martin Bross
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Std. und 14 Min.
Mafia, Camorra, Cosa Nostra, Maxi-Prozess, Zeitgenössische Literatur, Italienische Literatur, Sachbuch, Anti-Korruption, Justizroman
Audible Studios, 2024
Aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki
Hanser Verlag, 2024, 544 Seiten


Zum Thema:


Die Söhne der Winde von Gioacchino Criaco
Nach »Schwarze Seelen« ist dies wieder ein großartiger Roman von Gioacchino Criaco über das Dorf Africo in Kalabrien, hinter dem Aspromonte-Gebirge am Jonischen Meer, das so speziell ist. Es ist eine Hommage an die Mütter der Söhne der Winde, die für ein paar Lire zur Jasminernte die ganze Nacht auf den Feldern standen, sich täglich abrackerten, die Kinder durchzubringen, deren Väter auf die ganze Welt verteilt waren. Ein Noir-Roman über das Mezzogiorno, über Armut, Mafia und die ´Ndrangheta, über einen Staat, der seine Bürger im Stich lässt, über den »Moti di Reggio«, einen Aufstand von Müttern und Jugendlichen.

Weiter zur Rezension:   Die Söhne der Winde von Gioacchino Criaco


Black Hand von Stephan Talty

Nimmt man es korrekt, so ist dieses Buch ein Sachbuch. Aber auch Sachbücher lesen sich wie Thriller. Denn die Lebensgeschichte von Joseph Petrosino ist mehr als spannend. Joseph Petrosino war als Kind aus Süditalien mit seinem Vater in die USA eingewandert. In New York, Manhattan lebten damals fast ausschließlich italienische Einwanderer. »Bis 1875 waren nur 25.000 Italiener gekommen, die sich verhältnismäßig leicht in Städte wie New York oder Chicago integriert hatten.« In den 1880ern erreichte dann die Masseneinwanderungswelle der Süditaliener Amerika. Allein 500.000 wohnten nun in Manhattan. Iren und Deutsche hatten das Sagen in New York. Mit Petrosinos Eintritt in die Polizei fiel die »Black Hand« in Manhattan ein. Es war eine Gangsterbande von Italienern, die ihre Mitmenschen bedrohten. Das Buch ist sehr beeindruckend, ein gnadenloser Einblick in die Gesellschaft von NY um 1900 und ein Einblick in die italienische Seele, mafiöse Strukturen. Petrosinos legendärer Kampf gegen die »Black Hand«, den Vorläufer der Mafia.

Weiter zur Rezension:   Black Hand von Stephan Talty


'Ndrangheta von Sanne de Boer 

Der bisher größte Prozess gegen die 'Ndrangheta, die mächtigste Mafia Europas, läuft seit Januar 2021 in Italien und zieht Aufmerksamkeit aus aller Welt auf sich. Und vielleicht wacht Europa endlich auf. Denn die 'Ndrangheta ist schon lange kein rein italienisches Problem mehr, sondern betrifft ganz Europa. Und damit unser aller Leben. Die «Krake aus Kalabrien» in Italien hat ihre Finger überall im Spiel: illegale Müllentsorgung, ein lohnendes Geschäft, Drogengeld, das in Immobilien, Restaurants, Luxusartikelverkauf und überall, wo viel Bargeld fließen kann, sauber gewaschen wird. Mutig berichtet die Journalistin Sanne de Boer über das System die Verflechtung der mafiösen Gruppe aus Kalabrien. Prima geschrieben – ein Sachbuch, das uns alle angeht, weil es uns alle betrifft!

Weiter zur Rezension:   'Ndrangheta von Sanne de Boer 

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