Rezension
von Sabine Ibing
Fabelhafte Figuren
von Jane Daveport
Ausdrucksstarke Charaktere malen und zeichnen
Ich bin etwas zwiegespalten mit diesem Buch – nach dem Durchlesen liest sich der Titel mehrdeutig. Junge Frauen mit fabelhaften Figuren? Fabelhafte Figuren – Fabelwesen, denn das sind sie alle. Der Untertitel: »Ausdrucksstarke Charaktere malen und zeichnen«. Wenn es um Charaktere geht, so ist hier nicht eine Figur ausdrucksstark – alles plakative Modezeichnungen! Kinder, Frauen über 30 und Männer kommen nicht vor. Andererseits, zeichnerisch ist das Buch stark gemacht und die Tipps sind klasse. An wen ist das Buch gerichtet? Jemand, der gern modezeichnen erlernen mag, ist hier bestens aufgehoben, denn hier lernt man, wie man schnell zum Ziel kommt.
Fabelhafte Figuren. Die Kunst darf, soll, sogar die Wirklichkeit verändern. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. In diesem Buch werden ausschließlich junge Frauen dargestellt, hübsche Frauen, die irgendwie alle gleich aussehen. Dürre, gut proportioniert Oberkörper zu Unterkörper, wohlgeformte Brüste, Schwanenhälse, riesige Augen, Lange Spinnenbeine und -arme. Sie stehen wohl alle vor oder auf Windmaschinen, denn die Haare flattern entweder zur Seite oder nach oben. Barbie hat Model gestanden. Wie gesagt, für die Modezeichnung ist das völlig ok.
Jane Davenport erklärt, wie man den Torso eines Menschen schnell vorzeichnen kann: Man nehme zwei Herzen, setze sie spiegelbildlich übereinander, oben die Schulter, unten die Pobacken, Taillenlinie ziehen. Ein kleines Herz setzt man in das obere Herz, und schon hat man die weibliche Brust eingezeichnet. Neigt sich, dreht sich der Körper, kommt Schwung in die Zeichnung, dann neigen sich die Herzen rechts oder links zueinander – beim Zeichnen die Herzen versetzen. So weit alles richtig, ein toller Trick zum Zeichnen. Es gibt allerdings sogenannte Apfelhintern, Birnenhintern, das passt nicht wirklich in das Herzmuster. Und nun wird behauptet, der Torso hat die gleiche Länge wie das obere Bein bis zum Knie, wie das untere Bein ab dem Knie, ergo: die Beine sind doppelt so lang wie der Torso. Das gilt für die Idealfigur: Barbie: Models … Ein guter Maler ist ein guter Beobachter. Und wer Menschen zeichnet, wird festgestellt haben, bei vielen Menschen stimmen diese Proportionen nicht. Es gibt sogenannte Sitzriesen, die einen langen Oberkörper haben, doch kurze Beine – oder umgekehrt.
Auch bei Jane Davenport geht es um die Figur: »biegsame Herzen«, Herzen und Oberschenkel sind eben ein bisschen breiter. Was hier als füllig bezeichnet wird, ist normal, was als durchschnittlich bezeichnet wird ist eigentlich schlank. Was als modisch bezeichnet wird, ist eindeutig magersüchtig! Das finde ich grotesk! Hier werden wieder Figuren aus der Modewelt vorgegaukelt, die man zu haben hat, die aber abnormal und ungesund sind – für mich unverschämte Ideale, mit denen Mädchen in den Hunger getrieben werden. Die daraus entstandenen psychischen Schäden sollen wir Pädagogen und Therapeuten später ausbügeln sollen. Insofern finde ich Bücher kritisch, die solche Ideale widerspiegeln.
Die einfachste Art, Schwung in ihre Figuren zu bekommen, besteht darin, die Position der Beine zu verändern. Und die einfachste Art, Beine zu zeichnen, sind sogenannte Lolli-Beine!
Das stimmt, schlicht zwei Striche, Linien, die man zueinander verändert, ein wenig biegt, auf Höhe der Knie bricht. Einfach, aber effektvoll zum Üben. Für die Seitenansicht gilt wieder das Dreiherzensysten, das Herz in das große gesteckt. Auch das zeichnen der Kopfproportionen ist anschaulich erklärt, ebenso die Haarlinie, das Zeichnen von Haaren. .
Mein Stil fordert mich dazu auf, einen übertriebenen Hals zu zeichnen, weil das die Zerbrechlichkeit der Figur betont und ihr zugleich Spannung verleiht.
Übertrieben ist hier untertrieben, aber die Schwanenhälse sehen hübsch aus, keine Frage. Hände und Füße, der Albtraum aller Anfänger … Und hier gibt es wieder gute Tipps: »Pyramidenhände«: setze die Hände beim Vorzeichnen aus Dreiecken zusammen. Der Fuß ist ein Keil. Beim Rückgrat musste ich lachen, denn wer ein solches Rückgrat besitzen würde, hätte Schmerzen ohne Ende. Wie gesagt, in der Kunst ist alles erlaubt. Zum Schluss geht es noch um Kleidung und Hautfarben, am Ende um verschiedene Farbmaterialien. Ganz am Ende sind Aufkleber und gestanzte Herzvorlagen und Spinnenbeine zum Herausnehmen beigelegt. Herzen abpausen und daraus Figuren selbst entwerfen …
Jane Davenport verwendet sehr schöne Farben und die Bilder sehen wirklich gut aus. Und wer sich für Modezeichnung interessiert, liegt genau richtig! Wer gern junge Frauen und Fabelwesen zeichnet, ist auch gut bedient. In diesem Fall kann ich das Buch absolut empfehlen. Auf dem Klappentext auf der Rückseite steht: »Die zauberhaft einfache Technik zum Malen ausdrucksstarker Figuren in Mixed Media«. Leider wird nicht erwähnt, dass es sich ausschließlich um Modezeichnungen handelt, Zeichnungen von jungen Frauen, Fabelwesen, fabelhafte Figuren. Ausdrucksstarke Charakter (wie auf der Frontseite geworben wird) kommen leider nicht vor. Für mich ist Titel und verwirrend, bzw. falsch. Hier wird vorgegaukelt, nach diesem Buch ausdrucksstarke Charaktere malen zu können. Was geliefert wird, sind flache Modepüppchen. Das stößt leider übel auf. Vorn wird mit groß Mixed
Media angekündigt, Kunst an Hand von Mischtechnik, eine Kombination verschiedener Maltechniken, auch Collagen, aber das wird in 6 Seiten (ziemlich wenig Text dazu) abgehandelt – auch das kommt zu kurz. Für mich ist das Buch in der Gesamtheit eine Enttäuschung, weil es nicht liefert, was es verspricht. Mit dem Hinweis: Figuren für Modezeichnungen leicht gemacht, hätte es von mir ein Gut erhalten.
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