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Der Sommer, in dem der Blitz mich traf von Lauren Wolk - Rezension

 



Der Sommer, in dem der Blitz mich traf 


von Lauren Wolk


Der Anfang: 

Ich wusste nicht, dass ein Gewitter heraufzog. Hätte ich es gewusst, hätte ich manches vielleicht anders gemacht. Aber ich hatte meiner Lehrerin, Mrs. Taylor, versprochen, mit ihr zusammen das Schulhaus zu putzen, bevor es für den Sommer seine Pforten schloss.


Ein mächtiges Sommergewitter wirbelt 1944 Annabelles Leben durcheinander. Eigentlich will sie bloß die ersten warmen Ferientage genießen: Erdbeeren pflücken, mit ihren Brüdern durch die Maisfelder streifen und die schattige Stille in der Wolfsschlucht genießen. Da unterbricht ein heftiges Gewitter die Idylle. Annabelle gerät mitten hinein und wird vom Blitz gestreift. Sie überlebt, verfügt jedoch plötzlich über eine ebenso seltsame wie wunderbare Gabe: Sie kann die Gefühle und Ängste der Tiere um sich herum spüren. Drei Hunde sind verschwunden, auch der von Annabells Bruder. Und dann sind dort die Neuen im Dorf; der Mann fährt einen Pick-up mit einem Käfig hinten drauf; einer, mit dem man Hunde transportiert. Und aus der Scheune bellt es laut. Hält dieser Mann die Hunde gefangen?


Sinnesorgane hypersensibilisiert 


‹Ich kann auf einmal spüren, was in Tieren vorgeht. Zum Beispiel begriff ich auf einmal, wie schlimm es für Hunter war, als James ihm eine Ranke an den Schwanz geknotet hat. Das kam tief aus seinem Herzen.›

‹Eine Emotion›, sagte der Arzt. 

‹Ja, aber auch andere Arten von Gefühlen. Was ich schon einmal beschrieben habe - wie hell und grell alles auf einmal ist. Wie viel stärker alles riecht als sonst - genau so empfindet Hunter das auch.› 

Meine Mutter schnaufte leise durch die Nase. ‹Annabelle, ich habe nie ein Mädchen getroffen, das weniger albern ist als du, aber das jetzt klingt doch ziemlich albern.› 

‹Nein, nein, nicht so voreilig.› Doktor Peck sah mir aufmerksam in die Augen. ‹Ich habe so einiges über die Auswirkungen gelesen, die ein Blitzschlag auf Menschen, die ihn überleben, haben kann.›


Es ist eine interessante Erfahrung für Annabelle, dass nach dem Blitzschlag plötzlich sämtliche Sinnesorgane hypersensibilisiert sind und sie sogar fühlen kann, welchen Schmerz ein Tier spürt. Das geht auch wieder vorbei, prophezeit der Arzt. Und so ist es auch. Annabelle muss eine weitere Erfahrung machen: Man soll Menschen nicht überschnell beurteilen. Wie einer aussieht, was über ihn erzählt wird kann trügen. Wenn jemand etwas Schlimmes gemacht hat, kann es sein, dass er sich nichts dabei gedacht hat. Der erste Schein kann trügen. Es ist gar nicht so einfach, Gut und Böse auseinanderzuhalten … Auf der Suche nach dem Hund ihres Bruders lernt sie neue Menschen kennen und schließt Freundschaft mit Menschen, von denen sie nie erwartet hat, dass sie für sie interessant sein könnten.


Eine schöne Geschichte über Freundschaft


‹Ich erinnerte mich an Mr. Grafs perfektes Lächeln. Seine wunderschönen grünen Augen. Bist du sicher, dass wir denselben meinen? Der Mr. Graf, den ich kenne, sah sehr nett aus.›

‹Sah nett aus? Danach beurteilst du Menschen?›  Ganz unrecht hatte er nicht. Schon zweimal, nämlich mit Betty und Toby, hatte ich die Erfahrung gemacht, dass man sich nicht darauf verlassen kann, wie jemand aussieht, und ich hätte es langsam besser wissen müssen. Aber ich hatte keine Lust, mich von Andy Woodberry belehren zu lassen. 

‹Du hast doch auch gedacht, Toby sei gefährlich. Nur weil er so seltsam aussah.›

‹Weil er sich so seltsam benahm›, sagte Andy. ‹Weil er mit Gewehren herumlief und nie sprach.›


Ein Jugendroman, der gemächlich beginnt, der mich aber schnell gefesselt hat in der Art der Erzählung. Völlig unterschiedliche Jugendliche, die sich vorsichtig annähern, dann einen Pakt schmieden, Tiere retten. Nora die Hunderetterin, Andy, der schreckliches Zuhause hat, der uneigennützig eine Kuh rettet, obwohl er weiß, dass dies mit einer dicken Tracht Prügel ausgeht, der einen Hund rettet, für den er viel Geld hätte bekommen können – wohlweislich, dass der Hund dann bei Hundekämpfen eingesetzt würde. Eine schöne Geschichte über Freundschaft, Tierrecht, Menschlichkeit und letztendlich über das vorschnelle Beurteilen von Menschen. Eine spannende Geschichte, die einen Sog entwickelt, ins ländliche Pennsylvania der 40-er führt, Sommer, Gewitter, Erntezeit. Ein bisschen «Unsere kleine Farm» … Fast fehlte mir am Ende ein «Gute Nacht, John-Boy.» Der Hanser Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 12 Jahren. Frühstens … von mir. Auf jeden Fall eine Empfehlung! 


Das war der Junge, den ich so lange verachtet und vor dem ich Angst gehabt hatte. Aber gleichzeitig war er ein Junge, der einen Welpen gerettet und eine Kuh vor dem Gang zum Schlachter bewahrt hatte. Und mit Nora so behutsam umgegangen war, als wäre sie aus Glas. Dabei hätte er genauso gut das Gegenteil tun können. Also erzählte ich ihm die Geschichte. Die ganze Geschichte.


Lauren Wolk ist Schriftstellerin, Dichterin und bildende Künstlerin. Sie studierte Literatur an der Brown University und arbeitete u. a. als Redakteurin, Feuilletonistin, Lehrerin und stellvertretende Leiterin des Cultural Center of Cape Cod. Dort lebt sie auch mit ihrer Familie. Für ihr Jugendbuch-Debüt Das Jahr, in dem ich lügen lernte (2017) erhielt sie den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Es folgten Eine Insel zwischen Himmel und Meer (2018, Reihe Hanser bei dtv) und Echo Mountain (2021). 2025 erscheint ihr neuer Roman Der Sommer, in dem der Blitz mich traf.



Lauren Wolk
Der Sommer, in dem der Blitz mich traf
Original: My own lightning
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Birgitt Kollmann
Jugendbuch; Tierrecht, Amerikanische Literatur
Hardcover, 304 Seiten
Hanser Verlag, 2025
Altersempfehlung: Ab 12 Jahren











Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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