Rezension
von Sabine Ibing
Der Pasta-Codex
von Vincenzo Buonassisis
1.001 authentische Rezepte
Wer hat’s erfunden? Nicht die Italiener – aber die Italiener haben die Pasta in tausend Varianten zum Volksgericht erklärt. Flach, geformt, gerollt oder gefüllt - Pasta kann fast alles. Vincenzo Buonassisis über Jahre Pastarezepte gesammelt: 1.001. Wobei er anmerkt, die Sammlung ist sicher nicht vollständig. Der Pasta-Codex erzählt aber auch die Geschichte, Tradition und Leidenschaft hinter dem italienischen Nationalgericht und präsentiert voller Hingabe Rezepte durch authentische Recherche aus allen Regionen Italiens. Pasta frisch oder getrocknet, mit Gemüse, Fisch oder Wild zubereitet, die meisten klassischen «Nonna-Gerichte» sind ganz einfach zuzubereiten.
Vor langer Zeit wurden Stein- und Holztäfelchen abgelöst durch den Kodex aus Papyrus: Ein Kodex bestand in der Regel aus gefaltetem Pergament- oder Papyrusblättern – was sich übrigens auch besser aufbewahren ließ als Schriftrollen. Es gibt aber eine weitere Bedeutung für das Wort Codex (Kodex). So nannten die Römer ihre Gesetzessammlung. Dieses Kochbuch ist eine Kombination aus beidem: Ziemlich viel Text, gebunden, und eben das Gesetz der Nudel. Der Aufbau der Kapitel ist immer gleich gegliedert: Es wird mit einfachen, schlichten Rezept begonnen und steigert sich bis zu aufwendigen Gerichten. Im Vorwort erfahren wir etwas über die Geschichte der Pasta. Im ersten Kapitel dreht sich alles um Pasta mit Gemüse. Einige Rezepte sind geschichtsträchtig – und genau das arbeitet der Autor mit ein. Z. B. Erfahren wir bei «Vermicelli o Spaghetti ‹Al due› e ‹Al tre› (Vermicelli oder Spaghetti mit Tomaten nach neapolitanischer Art), dass dieses Rezept vom Ende des 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts stammt, als die Tomate in Süditalien heimisch wurde. Zu der Zeit kaufte man bei den mobilen Straßenhändlern (maccaronari) Pasta und Käse, für zwei Münzen. In riesigen Kesseln wurden die Nudeln gekocht, auf Stäbe über die Töpfe gelegt, um sie warm zu halten, beim Verkauf wurde Käse darübergestreut. Später kam die Tomate ins Spiel, die einfach halbiert mit ein wenig Salz und Basilikum in den Kochtopf geworfen wurde. Dieses Gemüse benötigte kein zusätzliches Wasser! Zur Hälfte einkochen – und fertig. Wer es sich leisten konnte, bestellte ‹Al tre› für drei Münzen.
Bei so viel Rezepten – ein ziemlich dicker Band ist dabei herausgekommen – muss natürlich auf Fotos verzichtet werden. Dieses Buch ist auch eher als Almanach gedacht. Wenn Zutaten über Nacht ziehen müssen, man dies beschweren soll – das Kochbuch taugt dafür garantiert! Zu Anfang jedes Kapitels gibt es eine klassische Zeichnung des Künstlers John Alcorn – ein klein wenig Farbe ist dabei. Hier die Kapitel.
- Pasta mit Gemüse Pasta mit Gemüse, Milchprodukten und Eiern
- Pasta mit Fisch
- Pasta mit Geflügel, Lamm und anderen Fleischsorten
- Pasta mit rotem Fleisch
- Pasta mit Schweinefleisch
- Pasta mit Wild
Gericht Nr. 1 im Buch: «Spaghetti mit Knoblauch und Öl» und im letzten 8. Kapitel endet das Buch mit dem Rezept Nr. 1001 «Maccheroni mit Kamelragout». So weit anzumerken: Bekanntes und Unbekanntes erwartet uns hier. Übrigens, das Kamel kann man gegen Antilope austauschen, wird im Rezept erwähnt. Insgesamt aber beruht das Kochbuch auf gängige Zutaten. Das Kamel ist eine der wenigen Ausnahmen – wie Linguine mit Hyazinthenzwiebeln oder der Hoden vom Hahn – was es so alles gibt! Übrigens, zur Pasta gehören auch Gnocchi und Knödel. In Padua habe ich bei Freunden Pasta mit rohen Tomaten gegessen – ein prima Sommergericht – das Rezept findet sich hier, und ich könnte jetzt auf 1002 aufstocken: Meine Freunde haben zusätzlich fein gewürfelten Mozzarella untergehoben. Pastagerichte mit Gorgonzola, Ricotta, Parmesan, Gruyère, Mozzarella, vier oder fünf Käsesorten – und das in verschiedenen Varianten – Malfatt oder Roefioej (Spinatknödel oder Semmelknödel), Culingiones o Cullurzones con Ragù alla Sarda (eine Art Ravioli mit Mangold-Schafskäsefüllung), Pasticcio di maccheroni del Carnevale a Roma (Maccheroni-Pastete Karneval Rom) oder Raviolini di Manzo, Tacchino e Tettina (Ravioli mit Rindfleisch, Truthahn und Euter), hier gibt es eine Menge interessante Gerichte zu finden. Crocchette di Spaghettini con Prosciutto e Mozzarella (Spaghettikroketten mit Schinken und Mozzarella), auch ungewöhnliche Ideen sind hier gesammelt.
Es gibt ja nicht DAS Nudelteigrezept. Vincenzo Buonassisi gibt eine grobe Faustregel: 100g Mehl pro Ei – abgerundet mit Salz, Öl, Wasser oder Gewürzen. Grundregel fürs Kochen: mindestens 1 Liter Wasser pro 100g Pasta, und dazu 10g Salz pro Liter. Sprudeln aufkochen lassen, dann erst die Pasta hinzugeben. Der Pasta Codex ist ein Klassiker, ist übrigens bereits 1972 erschienen und ist nun erstmals auf Deutsch zu erhalten. Wenn hier nun die Frage aufkommt, ob wir es mit Masse, statt Klasse zu tun haben – dann gibt es von mir ein eindeutiges Nein. Vincenzo Buonassisi hat jahrelang italienweit Rezepte gesammelt und alles zusammengestellt, um das traditionelle Erbe der italienischen Küche festzuhalten. Er war Journalist und Schriftsteller, seit 1953 Mitglied der Accademia Italiana della Cucina. Diese Institution hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das gastronomischen Erbe Italiens zu bewahren. Darum sehe ich dieses Buch als eine Art kulturelles Lexikon. Die Welt hat sich verändert. Wahrscheinlich würde niemand heute mehr mit Euter, Hoden vom Hahn oder Hyazinthenzwiebeln kochen. Aber es interessant zu wissen, dass dies einmal Tradition war. Schaut man sich aber die Bandbreite an, so sind 80-90 % der Gerichte noch heute allgemeingültig. Sicher könnten wir heute mit weltweiten Zutaten dieses Lexikon erweitern. Die Nudel ist zu jeder Schweinerei oder Eleganz bereit, ist anpassungsfähig und geschmeidig. Am Ende gibt es ein Rezeptregister. Das beginnt meist mit der Nudelsorte. Besser wäre ein Schlagwortverzeichnis gewesen; bei 1000 Rezepten etwas wiederzufinden (trotz 3 Lesebändchen) erscheint mir mühsam.
Dieses Buch ist interessant für alle Pastafans, die an Rezepten und Vielfalt interessiert sind, an italienischer Kultur. Wer an bunten Illustrationen und Foodporn interessiert ist, an Schritt für Schritt Anleitungen per Foto – der sollte von diesem Buch die Finger lassen. Ein Hoch der Pasta!
Vincenzo Buonassisi (1918–2004) war Anwalt, berühmter Journalist und erfolgreicher Gastronom und ist vor allem durch seine zahlreichen Zeitschriftenartikel und Bücher zur klassischen italienischen Küche bekannt. Er galt als eine der führenden kulinarischen Autoritäten und seine Bücher erfreuen sich auch heute noch großer Beliebtheit. Vincenzo Buonassisi war Kulinarik-Autor für den Corriere della Sera, später arbeitete er u.a. für La Stampa und Rai Uno, wo er mehrere Kochsendungen entwickelte und viele Kochbücher schrieb.
Der Pasta Codex
1.001 authentische Rezepte
Illustrationen von John Alcorn
Sachbuch, Kochbuch, Nachschlagewerk, Lexikon, italienische Küche, Kulinarisches
Gebundene Ausgabe, 704 Seiten, 19 cm x 25,5 cm
1.001 authentische Rezepte
Callwey Verlag, 2021
Weitere interessante Bücher zum Thema:
Perfektion Pasta – Das Geheimnis des Nudelkochens von Thomas Vilgis und Mario Furlanello
Jetzt mal ehrlich, wer braucht heute noch ein Kochbuch über Pasta? Aber dieses hier ist eine Hommage an die Pasta – na ja, ein wissenschaftliches Buch, hier wir erklärt, wie die beste Pasta gelingt, welche Soße sich für welche Nudelart eignet. Zwei Männer haben experimentiert und ausgewertet, wie ein Pastateig am besten gelingt. 80 Rezepte gibt es inklusive. Der Frankfurter Koch Mario Furlanello und der Physiker und berufsmäßige Genussforscher für Food Physics Thomas Vilgis haben sich darangemacht zu testen, welche Zutaten beim Pastateig Einflüsse haben und wie man sie zusammenbringt. Wissenswertes über Pasta und Soßen – für Pastaliebhaber ein Muss!
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Spaghetti al pomodoro von Massimo Montanari
Il tricolore, die Flagge Italiens: Spaghetti, Tomatensoße, zwei Basilikumblätter, Parmesankäse. Gibt es etwas, das typischer für Italien ist als Spaghetti al pomodoro? Der Mediävist und Lebensmittelhistoriker der Universität Bologna, Massimo Montanari, präsentiert die Geschichte dieses Gerichts und räumt dabei mit all den kursierenden Halbwahrheiten und Vorurteilen auf. Die Geschichte der Nudel und wie die Araber einen neuen Typ aus Hartweizen verbreiteten und auf Sizilien bereits im 12. Jahrhundert die industrielle Fertigung eingeführten (kein bisschen handgemacht von der Mamma). Die Tomate gesellte sich später als «spanische Soße» dazu. Ein Sachbuch, das sich spannend liest, ein Schmöker für kulinarische Freunde und Pastaliebhaber.
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Von wegen Italiensucht! Lange Zeit schmähten deutsche Reisende die italienische Küche. Stinkendes Olivenöl und Makkaronifraß, ein ekles Wurmgewinde! Das war nicht des Deutschen Gusto. Heute preist man die italienische Küche als besonders gesund an; früher galt sie als ungenießbar und gesundheitsschädlich. Schon Goethe kehrte in Gasthäuser und Hotels ein, die sich auf deutsche Gäste spezialisiert hatten. Der Deutsche und der Engländer verlangen ein deftiges Frühstück. Und Fleisch! Das gab es in Italien nicht. Bereits Goethe schrieb, dass man kein Fleisch serviert bekäme, und wenn, dann sei es ein halbverhungerter, zäher Gockel, Innereien oder fettes Schweinefleisch. Eine humorvolle historische Wanderung mit Anekdoten, Auszügen aus Reiseberichten, die Entwicklung der Liebe des deutschen zur italienischen Küche.
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Kulinarische Bücher
Kochbücher, Backbücher und alles rund um Lebensmittel findet sich kompakt auf dieser Seite. Auch Genussromane, soweit ich welche lese. Schleckermäulchen also hierher klicken:Sachbücher
Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.Sachbücher
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