Rezension
von Sabine Ibing
Spaghetti al pomodoro
von Massimo Montanari
Pasta. Keiner isst ‹Pasta ohne alles›. beim Kochen geht es um Produkte, das ist klar, vor allem aber um die Rezepte. ‹Rezept› vom lateinischen recipio: Ich nehme (von diesem, von jenem) und stelle zusammen. Selbst die autochthonsten Rezepte, jene, die auf lokalen Produkten basieren, werden niemals so ausschließlich lokal sein, als dass sie sich Einflüssen unterschiedlichen Ursprungsverwehren würden.
Il tricolore, die Flagge Italiens: Spaghetti, Tomatensoße, zwei Basilikumblätter - Parmesankäse. Gibt es etwas, das typischer für Italien ist als Spaghetti al pomodoro? Wer war zuerst da? Klar, die Nudel. Wer hat die Nudel erfunden – und wer die Tomatensoße? Elegant und aus seinem großen Forschungswissen schöpfend erzählt der Mediävist und Lebensmittelhistoriker der Universität Bologna, Massimo Montanari, die Geschichte dieses Gerichts und räumt dabei mit all den kursierenden Halbwahrheiten und Vorurteilen auf.
Ein Traditionsessen
Wir erfahren, wie die Pasta als Variante des orientalischen Fladenbrots entstand, dass bereits die Römer Nudeln aßen, allerdings keine getrockneten; wie die Araber einen neuen Typ aus Hartweizen verbreiteten und in Sizilien bereits im 12. Jahrhundert die industrielle Fertigung eingeführt wurde (kein bisschen handgemacht von der Mamma). Die getrocknete Pasta wurde zwei Stunden gekocht, weit entfernt von «al dente». Pfeffer und Hartkäse kommen ins Spiel, Tomaten in Form der «spanischen Sauce» auf den Teller. Sehr früh benutzten die Sizilianer die Gabel, die einfacher zu handhaben war, als Finger und Löffel. Die Raffinesse zieht ein mit Peperoncino, Knoblauch und Zwiebel, die Farbe mit dem Basilikum. Montanari zeigt, wie das Lob des Herkunftsgebiets zu Intoleranz und Fanatismus führt und die Ursprünge der Pasta mystifiziert werden. Eine leicht genießbare, aber gehaltvolle und unterhaltsame Lektüre. Und die Ursprünge der Pasta in China? Fake news!
Der Ursprung der Pasta
Aber der Historiker ist mehr an der Entwicklung als an der Herkunft interessiert. Der Sinn der Geschichte ist, wie sich die Dinge entwickelt haben und warum. Die Ereignisse, die ich in meinem Buch geschildert habe, sollen zeigen, dass ohne Veränderung, ohne Ereignisse, ohne Geschichte, nichts geschehen würde.
Die erste Pasta war eine Variante von Brot, dünn mit einem Nudelholz ausgewalzt, ungesäuert, eventuell auch getrocknet, man nannte sie in Persien während der sasanidischen Zeit «lakhsha». Und als «rishta» bezeichnete man in Streifen oder Fäden geschnitten nudelähnlichen Teig. Möglicherweise stammt das Wort aus dem Sumerischen, abgeleitet von «risnatu», das in der Keilschrifttafeln von vor fast 4000 Jahren Erwähnung findet, in der akkadischen und sumerischen Esskultur. Bei den Römern spielte die «Nudel» keine große Rolle, diente aus frischem Teig als Suppeneinlage. Im 3. Jahrhundert n. Chr. wird im Jerusalemer Talmud die Art des Koches in Wasser erwähnt – also nicht im Ofen oder Pfanne gebraten. Auf keinen Fall hat Marco Polo die Nudel von China nach Italien gebracht – auch wenn die Chinesen viel mit Nudeln arbeiten – die gab es in Italien schon lange. Das griechische làganon, im lateinischen lagana war der Vorläufer der Lasagne, wobei diese Teigblätter noch wie Pfannkuchen gebraten oder trocken wie Zwieback gegessen wurden. Im 7. Jahrhundert eroberte die arabische Welt die getrocknete Pasta und trug sie in die Welt – die itriyya; auch die fidawsh, eine kleine Suppennudel wurde gereicht.
Eine Menge Wissenswertes über die Nudel
Die neue Pasta aus Hartweizengries brachten die Araber auf Sizilien im 11. Jahrhundert zum Blühen, denn hier entstand der erste Industrialisierungsprozess der Nudel! Die Massenware itriyya wurde von hier verschifft und in die arabischen und christlichen Länder verkauft. Sizilien war der Angelpunkt der Pastakultur – und bis ins 16. Jahrhundert nannte man die Sizilianer noch abschätzig «Mangiamaccheroni». Denn die Spaghetti gab es noch nicht. Es ist interessant zu lesen, wie die Maccheroni hergestellt wurden! Es gibt eine Menge Wissenswertes über die Nudel zu erfahren. Amerika war noch nicht entdeckt – wie also aß man die Pasta? Doch nicht trocken! Hier kommt der Käse ins Spiel, der mit der Pasta seinen schlechten Ruf verlor – und auch die Butter.
Tomate, Tomate
Die Tomatensoße hielt im 17. Jahrhundert Einzug in die Kochbücher und wurde dort häufig als ‹spanische Soße› bezeichnet.
Bis ins Hochmittelalter aß man mit seinem Löffel, den man bei sich trug oder mit den Händen. Die Gabel schien aber zweckdienlicher für das Essen von Pasta; so eroberte sie von Italien aus die Welt. Weiße Pasta: mit Käse, Butter, mit Gewürzen wie Pfeffer, wenn man es sich leisten konnte; aber auch Öl und Speck werden hier und da erwähnt. Selbst Goethe beschreibt 1787 die in Neapel in Wasser gekochte Maccheroni, die mit geriebenem Käse gereicht werden. Wann kam die Tomate ins Spiel? Amerika war entdeckt, aber der Tomate gab man noch keine Bedeutung. Die Neapolitaner entdeckten dann die ‹spanische Soße›, die den Käse auf der Pasta ablösen könnte; aber doppelt gewürzt schmeckt eben besser. Bis zum Basilikum war es noch ein weiter Weg. Massimo Montanari erklärt auf unterhaltsame Weise den Weg eines Volksessens, das die Welt einmal erobern wird. Der Lebensmittelhistoriker liefert interessante historische Eckdaten, das aber im Plauderton, gepaart mit Humor, räumt auf mit Halbwahrheiten und Vorurteilen. Ein Sachbuch, das sich spannend liest, ein Schmöker für kulinarische Freunde und Pastaliebhaber, Freunde der italienischen Küche.
Massimo Montanari, 1949 geboren, unterrichtet Geschichte des Mittelalters an der Universität von Bologna, wo er den Studiengang ››Geschichte und Kultur der Ernährung‹‹ leitet. Der Historiker gilt als hervorragender Spezialist für europäische Ernährungsgeschichte.
Spaghetti al pomodoro
Kurze Geschichte eines Mythos
Kulinarisches, Sachbuch, Ernährungsgeschichte, Historisches Sachbuch, italienischen Küche
Aus dem Italienischen übersetzt von Victoria Lorini
144 Seiten, mit historischen Abbildungen, rotes Leinen, fadengeheftet
Wagenbach Verlag, 2020
Von wegen Italiensucht! Lange Zeit schmähten deutsche Reisende die italienische Küche. Stinkendes Olivenöl und Makkaronifraß, ein ekles Wurmgewinde! Das war nicht des Deutschen Gusto. Heute preist man die italienische Küche als besonders gesund an; früher galt sie als ungenießbar und gesundheitsschädlich. Schon Goethe kehrte in Gasthäuser und Hotels ein, die sich auf deutsche Gäste spezialisiert hatten. Der Deutsche und der Engländer verlangen ein deftiges Frühstück. Und Fleisch! Das gab es in Italien nicht. Bereits Goethe schrieb, dass man kein Fleisch serviert bekäme, und wenn, dann sei es ein halbverhungerter, zäher Gockel, Innereien oder fettes Schweinefleisch. Eine humorvolle historische Wanderung mit Anekdoten, Auszügen aus Reiseberichten, die Entwicklung der Liebe des deutschen zur italienischen Küche.
Weiter zur Rezension: Con gusto von Dieter Richter
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