Rezension
von Sabine Ibing
Das Pferd ist ein Hund
von Tamara Bach
Und sie hat auch nicht mehr andauernd geredet und gesungen, wie sonst. Irgendwie ist sie kleiner geworden und grauer. Ich dachte, irgendwann verschwindet sie einfach.
In diesem Buch steckt eine Metapher: Es ist Winter und so kalt, dass alle Schulen geschlossen werden. Kein Virus, sondern Kälte – die wiederum für die innere Einsamkeit steht. Schulfrei – fast – natürlich gibt es ein wenig Onlineunterricht und Hausaufgaben, Clara kommt es zunächst vor wie ein langes Wochenende. Doch schnell fühlt es sich gar nicht mehr lustig an, zumal sie sich mit ihrer besten Freundin so richtig verkracht hat. Keine Chat mehr miteinander. Auch Claras kleine Schwester Luze ist einsam. Sie hatte nur einen Freund, und der ist fortgezogen, weit weg. Seit dieser Zeit hatte sich Clara zurückgezogen, nichts mehr konnte sie erfreuen. Bis sie eines Tages einen weißen Hund anschleppte, einen unsichtbaren Hund, der immer bei ihr ist, mit dem sie reden kann. Der weiße Hund ist eigentlich ein Pferd, stellt sie später fest. Die Kleinste im Bund der Geschwister ist Emmchen. Im Haus weiter oben wohnt Vincent, für Clara der schönste Junge der Welt. Ein düsterer Typ, der nie lacht. Clara versucht ihn mit Witzen zum Lachen bringen, doch er ignoriert sie im Treppenhaus.
Homeoffice, Office, Kinderbetreuung
Gregor und Mama haben Stress miteinander, weil nun einer der Eltern stets zu Hause bleiben muss. Homeoffice im Schlafzimmer. Die Kinder müssen still sein, dürfen die Onlinemeetings nicht stören. Mama hat Präsentationen und Gregor findet ebenso wichtig, was er zu arbeiten hat. Wer bleibt zu Hause, wer darf gehen? Dicke Luft ist angesagt. Nun fragt Vincents Vater, ob er Vincent mal abgeben darf. Doch der hat darauf gar keine Lust. Aber er muss. So schlimm wird es dann gar nicht. So Mama sieht ihre Chance, ihre Mädchen auch mal bei Vincents Vater abzugeben. Die Eltern arbeiten, die Kinder müssen sich selbst beschäftigen, und so Sie drehen einen Film über die Hausgemeinschaft, interviewen alle Hausbewohner.
Prosa, aus dem Bauch auf Papier gesetzt
Der Vater von Vincent hat mich angestarrt und dann in die andere Richtung geguckt, in die ich nach Mama gerufen habe. Ich hab noch mal gerufen.
Wieder nichts.
Und dann hab ich gesagt ‹ich guck mal› und bin ins Schlafzimmer geschlichen.
Das Buch ist in extrem einfacher Prosa aus Sicht von Clara erzählt, mich haben die Wortwiederholungen etwas genervt. «Und dann» ist gefühlt 20 Mal pro Seite vorhanden. Es liegt eine Absicht hinter der einfachen Struktur, die die Monotonie unterstreicht, auch die Monotonie der Handlung, Prosa, aus dem Bauch auf Papier gesetzt. Es passiert oberflächlich nicht viel, so fehlt auch ein Spannungsbogen. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Clara ist die Älteste, ihr obliegt es, auf die Kleinen aufzupassen. Anwesende Eltern, die nicht da sind, weil sie im Homeoffice sitzen. Verlust, der Umgang damit – fast alle diese Kinder haben jemanden verloren. Die Interviews mit den Hausbewohnern; auch die haben es nicht alle einfach, Verlust ebenfalls hier ein Thema. Schule, Freunde, der Verlust im Alltäglichen – Langeweile kommt auf. Trotz allem zieht sich Humor durch das Kinderbuch, schon allein, weil Clara ständig Witze erzählt. Ein authentisches Buch im Mikrokosmus eines Mietshauses im Lockdown, das sich mit dem Thema Verlust als Hauptthema befasst. Der Carlsen Verlag gibt eine Altersempfehlung von 10 - 14 Jahren, ich bin hier eher bei 8 -11 Jahren. Das Sprachniveau ist für mich persönlich ab 12 Jahren nicht mehr angemessen.
Tamara Bach, 1976 in Limburg an der Lahn geboren, studierte in Berlin Englisch und Deutsch für das Lehramt. Ihr erstes Buch, «Marsmädchen», wurde als noch unveröffentlichtes Manuskript mit dem Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet und erhielt außerdem den Deutschen Jugendliteraturpreis. Weitere Bücher und Auszeichnungen folgten, u.a. der Katholische Kinder- und Jugendbuchpreis 2013 für «Was vom Sommer übrig ist». 2014 stand «Marienbilder» auf der internationalen Auswahlliste White Ravens. Ihr Roman «Vierzehn» wurde gleich in zwei Kategorien für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Heute lebt und schreibt Tamara Bach in Berlin. 2021 wurde sie für ihr «beeindruckendes literarisches Werk» mit dem James Krüss Preis ausgezeichnet!
Ulrike Möltgen, 1973 in Wuppertal geboren, studierte Kommunikationsdesign bei Wolf Erlbruch. Sie lehrte als Dozentin an der Folkwang Universität der Künste in Essen, ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet und in Ausstellungen gezeigt. Zuletzt hat sie Cover und Vignetten dieses Kinderbuch angefertigt.
Das Pferd ist ein Hund
Mit Illustrationen von Ulrike Möltgen
Kinderbuch, Kinderroman
Hardcover, 240 Seiten
Altersempfehlung: 10 - 14 Jahre – von mir 8 -11 Jahre
Bilderbücher, Kinderbücher Vor- und Grundschule 5 - 10 Jahre
Kinder- und Jugendbücher - 11 bis13 Jahre
Kinder- und Jugendliteratur
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