Rezension
von Sabine Ibing
Das hast du verdient
von Barbara Frandino
Der erste Satz:
Ich sitze da, als ob nichts wäre, mit dem Rücken zum Fenster, denn ich mag es, wenn das Licht zuerst auf meinen Körper und dann von oben auf das Frühstück fällt.
Der Mann fällt von der Leiter, als er seinen Granatapfelbaum stutzt. Die Frau sieht zu, ruft aber erst nach einer ziemlich langen Weile den Krankenwagen. Es ist ihr Ehemann; der einen Herzinfarkt und den Sturz überlebt, was wie ein Wunder erscheint. Was treibt sie dazu, ihren Mann so lange hilflos liegen zu lassen? Wie wird er auf diesen «Mordanschlag» reagieren, wenn er auf die Füße kommt? An welchem Punkt wurde aus Liebe Hass? Das Kind, das damals nicht kommen durfte, ganz am Anfang – das nicht kommen wollte, später, als es durfte – das Glück, das nun einer anderen gegönnt ist. Eine tiefe Verletzung der Weiblichkeit, gedemütigt zu sein als Frau. Die Protagonistin wird getrieben von ihren Gefühlen der Machtlosigkeit, Gefühle, die sie nicht im Griff hat. Was damals im Herzen begraben wurde, bricht nun heraus.
Eifersüchtig und verbittert
Nachts herrscht Waffenstillstand. Wir schlafen nah aneinander, manchmal halten wir uns an der Hand. Die Dunkelheit neutralisiert das Gift. Am Vormittag vergiften wir einander wieder.
Das Ende einer großen Liebe, Claudia und Antonio. Er ein medial bekannter Fernsehmoderator, sie eine Ghostwriterin, die die Öffentlichkeit eben nur als seine Frau identifiziert. Eingepackt in nüchterne, präzise Sprache, Beobachtungen ins Detail. Der Leser erlebt die Perspektive von Claudia; wo liegt die Wahrheit? Auch hier agiert die Autorin geschickt, zeigt eine Claudia, deren Sympathiepunkte beim Leser langsam abblättern. Eine klare bildhafte Sprache. Eine ganz triviale Geschichte, die in ihrer erzählerischen Weise den Leser hineinzieht wie ein Sog – das ist die Kunst, mit Sprache umzugehen. Kleine Messerstiche, andauernde Kränkung, die ins Mark trifft, lässt sie verbittern. Und dann ist da der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt – gut, es ist schon ein Eimer voll. Das Miteinander wird unerträglicher, das Haus wird zur Kampfzone. Aber niemand will loslassen. Claudia kennt Antonio genau, sie weiß, an welchen Punkten sie tief hineinstechen muss, in Wunden rühren.
Versprochen ist versprochen ... bis das der Tod und scheidet
Mein Körper weint. Ich spüre, dass Beine und Arme weinen. Die Haut, die Knochen, die inneren Organe, sogar die Haare weinen.
Ein Ehegelübde darf nicht gebrochen werden, komme, was wolle. Der Sturz von der Leiter, die Chance, so etwas wie «Scheidung auf Italienisch» hinzubekommen, wie man es früher nannte, als die Ehescheidung gesetzlich noch nicht erlaubt war. Antonio weiß, was nach seinem Sturz geschah und trotzdem hält er an Claudia fest. Die Eifersucht auf das, was ihr durch ihn entging, etwas das die andere durch ihn erhält – etwas, das für sie nicht mehr möglich ist; sie ist zu alt. Der Ehekrieg geht weiter. Auch er weiß, wie er sie quälen kann. Weiß er es, oder tritt er mit breiten Sohlen die Gefühle seiner Frau nieder, ohne sie zu bemerken? Kommunikation und Nichtkommunikation, das Auslesen von Menschen, eine Beziehung, die verblüht ist, toxisch wird – eine Geschichte, die aus dem Leben gegriffen ist, die erzählerisch klug gestaltet, literarisch ein Genuss.
Mir ist, als würde jedes Lob im Grunde eine Lüge oder Falle sein, also tue ich so, als ob ich es nicht gehört hätte, während die Beleidigungen, auch die geflüsterten, laut wie Schreie sind. Ich höre tagelang ihr Echo.
Barbara Frandino ist Journalistin, Drehbuchautorin, Produzentin und Autorin von Dokumentationen und Radioprogrammen, Herausgeberin der Kurzgeschichten-Sammlungen Corpo a corpo (2008) und Ti vengo a cercare (2011). Verfasserin zweier Kinderbücher, Jason (2013) und Che paura (2017), Co-Autorin von Büchern in der Reihe «Save the Parents».
Das hast du verdient
Roman, zeitgenössische Literatur, italienische Literatur, Drama
Aus dem Italienischen übersetzt von Karin Fleischanderl
Gebunden, 165 Seiten
FolioVerlag, 2021
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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