Direkt zum Hauptbereich

Zürcher Filz Gabriela Kasperski - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Zürcher Filz 

von Gabriela Kasperski


Rubis Vintage›, prangte auf dem verzierten Schild des Schmuckgeschäfts. Beanie Barras, jüngste Ermittlerin der Kriminalpolizei Zürich, stoppte abrupt, sprang vom Bike und lehnte es an die Wand.

Die Zürcher Immobilienerbin Philomena Lombardi wird vermisst, einziger Hinweis auf ein Verbrechen ist ein Ohrring, der ihr möglicherweise vom Ohr gerissen wurde. Alfonso Lombardi ist tot und seine Tochter soll den Vorsitz der großen Lombardi-Stiftung übernehmen, die weltweit, insbesondere in Zürich, Wohnraum zu günstigen Mieten zur Verfügung stellt. Das kann sich die Stiftung leisten, da sie ja keinen Gewinn machen darf. Wird eine Wohnung frei, bewerben sich Tausende. Philomena hat ihren Wohnsitz in Israel, jettet aber ständig durch die Welt – ihre Kinder werden vom geschiedenen Ehemann und deren Frau großgezogen. Die Gärtnerin meint, Philomena gesehen zu haben und plötzlich sei sie verschwunden. In der Stiftung und beim Ex-Mann sorgt das nicht für Aufregung, sie komme und gehe, wie sie will. Niemand hatte sie die Tage gesehen oder gesprochen, der Termin für die Stiftung wird auch erst am 22.12. stattfinden, sie reise niemals vorzeitig an. An dieser Stelle war es mir etwas sehr schwammig, warum die Polizistin Beanie Barras ermittelt, nachdem der Haus-Juwelier, der einen Ohrring per Post zum Verkauf von der Erbin zugestellt bekommt, dies komisch findet, weil er sowieso einen Termin mit ihr vereinbart hat. Gut, es tauchen während der Ermittlung weitere Anhaltspunkte auf. Beanie bittet Meier, der gerade den Job als Hausmann ausübt, sie bei den Hintergrundrecherchen zu unterstützen, denn Beanie studiert neben dem Job Germanismus. Meyer freut sich, wieder in Ermittlungsarbeit einbezogen zu sein und sich um mehr als Haushalt und Kindern widmen zu dürfen. Auch er und Zita Schneyder suchen für sich und die drei Kids eine größere Wohnung. Zita, die studiert, ist ebenfalls in den Fall eingebunden. Meyer wiederum holt sich Hilfe bei Eli Apfelbaum, der für ihn in der Sache recherchieren soll. Der der Stiftungsrat liegt zwar mit fünf Personen offen, aber der erweiterte Rat liegt im Dunkeln und soll von Meyer ausgeleuchtet werden. Sie stoßen auf eine Bloggerin, die die Wohnungsmarktpolitik von Zürich anprangert und hinter der Stiftung Mauscheleien vermutet. Sie und Zita bewerben sich um eine Stiftungswohnung, sind in der Endausscheidung. Meyer bekommt heraus, eine Einfrau-Agentur wurde von Philomena beauftragt, das ganze Geflecht der Stiftung offen zu legen, um sie umzustrukturieren – ein Motiv, das zu verhindern. 


Ein Ereignis folgt dem nächsten 

Die 14jährige Jessie, muss sich um ihre alkoholkranke Mutter kümmern, hat diverse Probleme an der Backe, eins davon: man hat ihnen die Wohnung gekündigt; ein weiterer Strang. Im Strang von Philomena erfährt der Leser, dass sie eingesperrt ist und versucht aus ihrem Gefängnis auszubrechen und noch ein Strang zeigt das Mädchen Sunny, das die große Villa inspiziert. Nicht zu vergessen, das Gespenst der weißen Frau, das durch den Park geistert. Dazu die Nebenstränge aller Verdächtigen aus dem Stiftungsrat, die alle ihre eigenen Motivationen verfolgen. Eine Menge Personal wird aufgefahren, ständiger Perspektivwechsel, viele Einzelfäden sind ausgelegt, was sie Handlung spannend macht – gleichzeitig aber auch anstrengend, weil ein Ereignis dem nächsten folgt, immer parallel, die Autorin switcht von Person zu Person. Hier gibt es kein Durchatmen für den Leser. Richtig klasse sind die Szenen in Park und Haus gelungen, hier zeigt sich die Ausdruckskraft von Gabriela Kasperski: Oh schaurig ist es, durch den dunklen Park zu gehen, oh schaurig sind die geheimen Räume. Kopfkino vom Feinsten. In diesen Szenen sitzt der Leser in der Örtlichkeit mit allen Sinnen. Züri-Flair ist gut eingebunden, ohne zu überlasten.


Zu viel Personal und Perspektivwechsel

Meier anzurufen hatte keinen Zweck, bei der Arbeit schaltete er den Flugmodus ein. Ging einfach davon aus, dass sie für Notfälle erreichbar sei. Zita hatte gedacht, sie seien weitergekommen, aber es war tief drin im System: Männer hatten ein angeborenes Recht auf Arbeitszeit, für Frauen war es eine Gnade.

 

«Zürcher Filz» ist der sechste Band aus der Reihe um das Ermittlerpaar Zita Schneyder und Werner Meier. Es war mein Erster. Vielleicht habe ich mich deshalb ein wenig schwergetan. Es gibt eine Menge Verknüpfungen zu Figuren, die mir fremd sind, zu denen mir Hintergrundwissen fehlt, wie der Vorgesetzte Nussbaum oder Eli Apfelbaum. In den Bänden davor wird wahrscheinlich die Beziehungsstruktur aufgefächert. Zu den Hauptermittlern gesellen sich andere Polizisten, wie der klumpfüßige Serge, Maria usw. In diesem Krimi gibt es keine Hauptprotagonisten und keinen Hauptantagonisten. Im Prinzip ist das kein Problem, wenn das Ganze gut strukturiert ist. Hier war es mir schlicht zu viel Personal und Gehopse – irgendwann habe ich die Namen aufgeschrieben, mit Pfeilen zugeordnet, weil ich sonst den Überblick verloren hätte, denn die Personen werden mal mit Vornamen, mal mit Nachnamen benannt. Hier wird gehüpft und gesprungen und am Ende laufen leider einige Fäden auch ins Nichts. Und es wird gegendert. Die schwarze, kahlköpfige Beamie, vor der sich alle erschrecken, wenn sie ihre Kapuze abnimmt, Frauen, die die Ehe ablehnen, ein Hausmann, ein jüdischer Freund, diverse Behinderungen, ein Protokoll wird im Nebensatz nicht schlicht von einer Polizistin aufgenommen, sondern von einer asiatischen Polizistin; ein Lesbenpaar, eine Jugendliche, die ihre Alkimutter durchschleppen muss, die einen Asylanten zum Freund hat, der in Abschiebehaft sitzt. Hier wird nichts ausgelassen, rein gar nichts. Für mich war das alles too much. Was mir dann fehlte, waren die Verflechtungen der Stiftungen. Wer hat genau was gemauschelt, und wie hat er das gedreht – genau das wird leider nur angedeutet. Diese Anzahl an Personal wirkt sich natürlich auch auf die Charaktere aus. Durch die Fülle und das Gespringe, kombiniert mit hohem Tempo flogen alle an mir vorbei, nicht fassbar. Die Charaktere bleiben oberflächlich, keiner prägt sich ein, zu keinem gewinnt man Zugang. Für mich könnte man einige Charaktere rausstreichen, die Story würde ohne sie funktionieren, und es gäbe mehr Platz für Tiefe. Manchmal ist weniger mehr. Sicher wäre es besser gewesen, die fünf Bände davor zu kennen, um ein Gefühl für Figuren zu haben, aber die Kunst der Schreibenden ist es ja, als Leser ohne Vorwissen einsteigen zu können. Fazit: ein spannender Krimi allemal, der für mich allerdings an allen Ecken überfrachtet ist.

 

Gabriela Kasperski war als Moderatorin im Radio- und TV-Bereich und als Theaterschauspielerin tätig. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie in Zürich und ist Dozentin für Synchronisation, Figurenentwicklung und Kreatives Schreiben.


Weitere Rezensionen zu Gabriela Kasperski 

Bretonisch mit Meerblick von Gabriela Kasperski (Krimi)

Agentin Yeshi von Gabriela Kasperski (Kinderbuch, Thema Ausgrenzung, ab 8 Jahren)


Gabriela Kasperski 
Zürcher Filz
Kriminalroman, Regiokrimi, Schweizer Literatur, Zürich
Broschur, 320 Seiten
Emons Verlag 2020



Gabriela Kasperski um Regiokrimi   

In diesem Beitrag zum Thema, Krimis und Thriller - eigentlich ein kunterbuntes Genre, geht es um ein typisch deutsches Subgenre: Der Regiokrimi. Gabriela Kasperski schreibt selbst in diesem Bereich und hat sich Gedanken dazu gemacht, war etwas erstaunt, was Wikipedia dazu zu erklären hat. Gibt es überhaupt einen Regiokrimi? In irgendeinem Ort muss eine Geschichte schließlich spielen – und sei es auf dem Mond.

Meine Definition sieht so aus: Wie für jeden anderen Krimi braucht es für einen Regiokrimi vielschichtige Figuren, einen Plot mit überraschenden Wendungen und eine Auflösung, die alles nochmal in Frage stellt. Es braucht eine passende Atmosphäre und ein überzeugendes Setting.

Neugierig? Hier geht es zum Artikel:   Was sind Regiokrimis? - von Gabriela Kasperski




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Rezension - Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Dieses witzig-gruslige Jugendbuch, bzw., schlicht Comic, nimmt eine über 100 Jahre alten Geschichte von John Kendrick Bangs auf. Die Comic-Zeichnerin Barbara Yelini interpretiert die Story neu mit wundervollen Wasserbildern. Ein wundervoller Comic für Jugendliche, die nicht sehr lesebegeistert sind. Zur Rezension:    Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Durch das Jahr mit der Natur von Lucy Brownridge, Margaux Samson Abadie

  Eine spannende Reise durch die Jahreszeiten zu Tieren und Pflanzen rund um den Globus. Das Jahr beginnt mit dem Januar – mit einem heißen Bad. In Japan baden die Japanmakaken mitten im Schnee in warmen Quellen, fühlen sich ziemlich wohl dabei. In Peru ist Paarungszeit für die Aras. Die Männchen wollen schön sein für die Damenwelt – und gehen vor der Balz für ihre Figur auf Diät: sie schlecken Schlamm. Auch in Afghanistan ist Paarungszeit mitten im Schnee für die Schneeleoparden. In der Antarktis schlüpfen Pinguine aus dem Ei. Und so geht es weiter durch das Jahr. Kleine Sachgeschichten aus der Natur ab 4 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Durch das Jahr mit der Natur von Lucy Brownridge, Margaux Samson Abadie