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Von den fünf Schwestern, die auszogen, ihren Vater zu ermorden von Melara Mvogdobo - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Von den fünf Schwestern, die auszogen, ihren Vater zu ermorden 


von Melara Mvogdobo


Ich werde meinen Vater umbringen. Ich werde ihn töten, auslöschen, hinrichten, eliminieren, ins Gras beißen lassen, ihn über den Jordan schicken, das letzte Stündlein für ihn schlagen lassen. Ich werde mit ihm abrechnen und mich dabei endlich selbst befreien.

Céleste, Sheshe, Lea und Marion, vier Afroschweizer-Schwestern, machen sich auf nach Kamerun. Sie wollen ihren Vater umbringen, der sie allesamt sexuell missbraucht hatte. Die Schweizer Mutter hatte er um ihr Hab und Gut gebracht, war mit dem Geld durchgebrannt. In Kamerun stoßen sie auf Séraphine, die fünfte Schwester, die mit dem Vater unter einem Dach lebt und Afrika noch nie verlassen hat. Sie pflegt den alten Mann. Es gibt noch einen Bruder und eine Menge unehelicher Kinder, die nicht anerkannt sind, von denen niemand weiß, ob es wirklich Geschwister sind oder ob die Mütter lediglich dachten, bei dem Mann gäbe es etwas zu holen.

Hilaire Mbongo Nkomo vergewaltigte all seine Töchter in ihrer Kindheit und hinterließ, wo immer er gelebt hatte, eine Spur der seelischen Verwüstung.

Jede der Schwestern hat ihre eigene Geschichte mit dem 70-jährigen Tyrannen, doch alle belastet ihre von Gewalt geprägte Kindheit bis weit ins Erwachsenenalter. Und sie möchten sich von dieser Last befreien und bieten jeder die Art an, wie man ihn töten solle. Die Idee stammt von der schwangeren Céleste, der klar wird, dass sie ihre Energie der Selbstzerstörung besser an der Wurzel des Übels auslassen soll, am gewalttätigen Vater. Sie kann die Schwestern für diese Idee gewinnen. Ihren Mordplan stellt jede einzelne vor, doch am Ende wird sie verworfen, weil alles schwierig ausführbar ist, ohne dabei erwischt zu werden. In jedem dieser Kapitel rechnen die Frauen mit dem Vater ab, ebenso gnadenlos mit ihrer gesellschaftlich vorgegebenen Frauenrolle. Ein Mann, der stets verschwindet, wenn er unter Druck gerät: «war ihm sein Geld durch zwielichtige Geschäfte und sein verschwenderisches Leben längst wieder ausgegangen». Im Kamerun gerät er in die Zange seiner vielen keifenden, «immer aggressiver fordernder» Geliebten, die sich gegenseitig bekämpfen. In der Schweiz läuft er Schuldnern davon, beklaut obendrauf die Ehefrau, bevor er sich von dannen macht. Er kommt, nimmt, sät und macht sich vom Acker.

Aus unserem tiefsten Inneren sind wir Frauen. Keine fügsamen Weibchen. Nein, mächtige Frauen. In der Lage, Leben zu geben und zu nehmen.

Sollen sie den Dreckskerl mit einem Skalpell kastrieren, lebendig begraben, in einem Fichtenschaumbad ertränken? Jede Tochter hat ihre eigene Vorstellung, sich vom Vater zu befreien, von blutig bis fast zärtlich und jede erzählt von ihrer Wut, ihrer Scham und ihrer Einsamkeit. Eindrücklich und humorvoll berichtet Melara Mvogdobo aus der Sicht der Frauen über all das, was dieser eine Mann zerstörte. Großkotzig, sexsüchtig und brutal hat er Frauen behandelt, ausgebeutet, beraubt; auch die Mütter kommen zu Wort. Die eine Tochter erzählt von ihrem Traum, von «mit Zähnen bewehrten Schamlippen», die mit einem scharfen Gebiss bewaffnet seien, die still liegen, wenn die Frau es wünscht, aber heftig zubeißen, sobald ein unerwünschter Eindringling sich Zugang zu verschaffen sucht. Hier wird nicht angeklagt oder voyeuristisch geschildert – das alles ist gut verpackt und angedeutet. Hier geht es um die Folgen von Missbrauch, unter der die Frauen ein Leben lang leiden, die sie mit ihrer Tat aus der Opferrolle befreien wollen. Ein Roman mit schwarzem Humor, mit feministischem Ton, ein Racheroman mit Schlagkraft. Empfehlung!

Vater unser, unser Vater, du hast uns mit dem, was du uns angetan hast, lebendig begraben. Das geben wir dir jetzt zurück. Mit dem kleinen Unterschied, dass wir dabei sind, uns wieder freizuschaufeln, was dir wohl deinerseits nicht gelingen wird. Wir, deine Töchter und Ex-Frauen, lassen dich aber nicht allein. Wir sitzen bis zum letzten Augenblick auf deinem Grab.


Die Afroschweizerin Melara Mvogdobo wurde 1972 in Luzern geboren. Sie hat mehrere Jahre in Kamerun, der Dominikanischen Republik und in der Schweiz gelebt, wo sie als Lehrerin, Erwachsenenbildnerin und Trauma-Beraterin gearbeitet hat. Aktuell lebt sie mit ihren drei Söhnen und ihrem Lebenspartner in Andalusien.



Melara Mvogdobo
Von den fünf Schwestern, die auszogen, ihren Vater zu ermorden
Zeitgenössische Literatur, Schweizer Literatur
Hardcover mit Schutzumschlag, Lesebändchen, 208 Seiten
Edition 8 Verlag, 2023



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane



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