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Sing mir vom Tod von Ivy Pochoda - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





Sing mir vom Tod 


von Ivy Pochoda

Gesprochen von Anna-Lena Zühlke
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 9 Std. und 6 Min.



Der erste Satz 

Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen.


Florence Baum, genannt «Florida», ist alles andere als die arme, verfolgte Unschuld, für die sie sich im Frauengefängnis von Arizona ausgibt - zumindest behauptet das ihre ehemalige Zellengenossin «Dios», Diosmary Sandoval. Dios kennt die Wahrheit, Florida ist niemals das Opfer, wie sie behauptet – sie ist die Täterin, die die Schuld auf ihren Freund abschob. Als Florida auf Bewährung freikommt, sie gegen die Bewährungsauflage in der schmutzigen Pension zu bleiben, wo sie in der Pandemie vergessen haben, das Essen zu liefern, im Bus nach Los Angeles sitzt, gesellt sich die verhasste Dios zu ihr. Was sie auch anstellt, Dios ist ihr auf den Fersen mit einer gefährlichen Besessenheit, die einen gewalttätigen Weg der beiden Frauen zeichnet. Detective Lobos, auch sie eine Frau mit Gewaltpotential, ist ihnen auf der Spur.

Dios hatte recht – na und? Sie hatte tatsächlich alle darüber belogen, was an dem Abend wirklich passiert war. Alle außer Tina. Und das war ein Fehler gewesen, ein bedauernswerter Versuch in ihren ersten Tagen im Knast, härter rüberzukommen, als sie sich fühlte.

Dios, Latina, hochbegabt, aufgewachsen in den Slums, hatte ein Stipendium für ein renommiertes renommierten College erhalten – die Reichen und ihr System studiert, wie sie sagt. Sie sitzt ein wegen schwerer Körperverletzung. Florida kommt aus einer vermögenden Familie. Wer hatte die Brandbombe gezündet, die den Trailer samt ihrer Drogenköche hochjagte? Sie oder ihr Freund? Die Polizei hatte ihr angeboten, wenn sie alles auf den Freund schiebt, würde sie mit einer milden Strafe davonkommen. Das Gericht hat ihr geglaubt. Doch Dios wittert das Gewaltpotential in ihr, nimmt ihr das nicht ab – ist völlig besessen davon, die Gewalttätigkeit von Florida bloßzulegen. – Genau das habe ich an diesem Roman nicht verstanden. Warum tut Dios das, was sie tut? Florida will einfach nur nach Hause ins Stadtteil Hancock Park von Los Angeles, zurück in ihr altes Leben, zurück zu ihrer Mutter in die Villa mit Pool und der großen Garage, in der ihr Sportwagen steht. Wieder mit ihrem Wagen herumfahren, durch die Hollywood-Berge.

Detective Lobos verfolgt die beiden, die eine blutige Spur hinterlassen. Lobos hat selbst Wut im Bauch, weil sie es zugelassen hat, dass ihr Mann ihr gegenüber gewalttätig sein konnte – zu lange. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt, der ihr nun überall auflauert, trotz Kontaktverbot. Wir kennen Lobos bereits aus «Diese Frauen», und ich finde, an diesen sehr feinen Kriminalroman reicht der Nachfolger nicht heran. Vielleicht lag es auch an der Sprecherin Anna-Lena Zühlke, denn ein paar Mal wollte ich ausstellen, weil ich diese gelangweilte Leierstimme nicht mehr hören konnte. Selten, dass ich eine:n Sprecher:in kritisiere – aber diese Art des Vorlesens war unerträglich! Ich schreckte hoch, wenn sie zwischendurch hineinkreischte. Auch konnte ich mich weder mit Florida noch mit Dios anfreunden, psychologisch waren sie schlecht aufgebaut, nicht greifbar in ihrem Handeln. 

Ein modernes Pompeji. Die in ihren letzten Grinsen erstarrte Stadt vor dem Stillstand der Zeit. Auf dem Sperrholz vor jedem Geschäft ist die Partitur einer vergessenen Kultur verewigt.

Auch Frauen können gewalttätig sein – das soll wohl die Aussage sein. Klar doch, es gibt gute Literatur dazu. Erzählt wird die Geschichte von Kace, einer Mitinsassin aus dem Gefängnis – für mich auch nicht glaubhaft, denn die sitzt ja im Knast, woher soll sie die Gedanken und die ganzen Details kennen, die die beiden Frauen auf ihrem Tripp allein oder getrennt erleben? Und woher weiß sie das alles über Lobos? Wir befinden uns in der Zeit der auslaufenden Covid-Pandemie, man muss Masken tragen – die Straßen gehören den Obdachlosen, «acht Spuren ohne Verkehr.» Es gibt ausgesprochen gute Stellen, fein beobachtet und formuliert – darum bin ich auch drangeblieben. Noir, Hard-Boiled, gewalttätige Frauen – mich konnte der Thriller nicht ganz überzeugen, insbesondere in den Figuren. 


Ivy Pochoda, geboren 1977, ist Schriftstellerin und lebt in Los Angeles. Sie wuchs in Brooklyn auf, studierte in Harvard und war professionelle Squashspielerin.



Ivy Pochoda 
Sing mir vom Tod 
Gesprochen von Anna-Lena Zühlke
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 9 Std. und 6 Min.
Originaltitel: Sing Her Down 
Aus dem Amerikanischen von Stefan Lux. 
Thriller, Kriminalroman, Kriminalliteratur, Noir, Hard-Boiled, Amerikanische Literatur 
Gould Finch Audio, 2025
Suhrkamp Verlag 2025, kartoniert 328 Seiten



Diese Frauen von Ivy Pochoda

Immer wieder werden Frauen mit aufgeschlitzter Kehle und einer Plastiktüte über dem Kopf entlang der Western Avenue von Los Angeles aufgefunden. Doch das LAPD interessiert sich nicht besonders für die Morde, denn es handelt sich lediglich um diese Frauen. Diese Frauen an den Straßenecken … diese Frauen in den Bars ... Berufsrisiko. 15 Jahre hat er stillgehalten ... Wer sieht Zusammenhänge zu einer Serie? Exzellente Milieubeschreibungen und fein skizzierte Charaktere machen den Kriminalroman zum Lesevergnügen. Diese Frauen stehen im Focus des feinen Noir-Krimis, Empfehlung!

Weiter zur Rezension:  Diese Frauen von Ivy Pochoda




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

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