Direkt zum Hauptbereich

Diese Frauen von Ivy Pochoda - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Diese Frauen 


von Ivy Pochoda


Typen, die glauben, nur weil sie einen Job und eine Familie und ein geregeltes Leben haben, sind sie besser als du, haben sie das Anrecht auf dich. Typen, die denken, das Geld, mit dem sie für dich oder deine Drinks oder dein Essen bezahlen, ist ein Freibrief, alles mit dir machen zu dürfen.


Immer wieder werden Frauen mit aufgeschlitzter Kehle und einer Plastiktüte über dem Kopf entlang der Western Avenue von Los Angeles aufgefunden. Doch das LAPD interessiert sich nicht besonders für die Morde, denn es handelt sich lediglich um diese Frauen. Diese Frauen an den Straßenecken … diese Frauen in den Bars ... Berufsrisiko. Gleichwohl die Letzte nicht eine von diesen Frauen war, eine Schülerin, die von ihrem Job als Babysitterin auf dem Weg nach Hause war. Nach diesem letzten Mord bricht die Serie ab. Was heißt Serie – das LAPD hat es als solche nie erfasst, obwohl es sich hier offensichtlich um den gleichen Modus Operandi handelt. Nur Dorian gibt nicht auf. Sie ist die Mutter von Lecia, dem letzten Opfer. Und sie ahnt, der Mörder wird eines Tages wieder zuschlagen – auch wenn er seit 15 Jahren stillgehalten hat.


Niemand interessiert sich für diese Frauen

Ivy Pochoda erzählt die Geschichten von fünf durch das Verbrechen miteinander verbundenen Frauen - darunter Detective Esmerelda Perry, die der Spur des Killers folgt. Perry hat es geschafft, sie ist Detective. Nur 1,50 m groß, mit einem weißen Nachnamen, weil sie einen weißen Mann geheiratet hat. Sie war bei der Mordkommission, arbeitet heute bei der Sitte. Doch sie ist immer noch eine von ihnen, eine der Latinofrauen. Sie wird von den Kollegen belächelt wegen ihrer Größe und Herkunft. Sie weiß, warum die Polizei untätig ist: eine Mordserie bedeutet wesentlich mehr Arbeit. Und diese Frauen sind bedeutungslos. Sie ist beeindruckt von Dorian, die eine Fischbude betreibt, die nicht aufgibt, die Morde von diesen 13 Frauen anzuprangern, einen Zusammenhang zu ziehen. Kollektive Missachtung gegenüber diesen Frauen. Sie sind nichts als Dreck. Sie bieten ihren Köper an, weil sie ihren Lebensunterhalt finanzieren müssen, sie nehmen Drogen, um genau das zu ertragen. Es geht aber nicht nur um die Geringschätzung dieser Frauen, sondern ganz allgemein um die Herabwürdigung von Frauen in unserer Gesellschaft, um ihre Ängste. 


Eine atmosphärische Sozialstudie


Die Männer da draußen machen jede Menge abgefuckte Scheiße. Und meistens kommen sie damit durch. Und überhaupt, wer zum Teufel würde mir zuhören - einer Frau, die für zwanzig Dollar Schwänze lutscht?


Das sagt Feelia, die einen Angriff des Killers überlebte. Eine große Narbe ziert ihren Hals. Sie war nämlich das letzte Opfer! Aber nicht mal sie selbst sieht einen Zusammenhang zu sich und den anderen Mordopfern. Julianna arbeitet als Solo-Stripperin im Hinterzimmer. Sie ist der Star der Bar, doch ohne Drogen kann sie den Tag nicht überstehen, hat den Job satt. Dorian wacht über sie und warnt, sie könne das nächste Opfer sein. Pikanterweise ist sie das Mädchen, auf das ihre Tochter Lecia damals aufpasste. Julianna fotografiert alles, was sie vor die Kamera bekommt, authentisch bildet sie das Leben in ihrer Community ab. Im Nachbarhaus ihrer Eltern wohnt die junge Marella. Sie ist Künstlerin, ihr Thema: die Zerstörung des weiblichen Körpers. Sie stellt Bricolagen zum Thema «Dead Bodys» her, indem sie aus verschiedenen Fotoquellen und Videos neue Bezüge schafft – Wutstücke. Eine Rebellin, die als Kind in Internate abgeschoben wurde, deren Mutter Anneke ein überfürsorglicher Kontrollfreak ist.


Im Fokus stehen diese Frauen 


Wir sind auf allen Seiten von Gewalt umgeben. Sexuelle Gewalt, physische Gewalt. Ich verkörpere das. Ich verkörpere die alltägliche Angst, die Frauen begleitet, das Bewusstsein, niemals sicher zu sein. Wir sind Beute. (Marella)


Exzellente Milieubeschreibungen und fein skizzierte Charaktere machen den Kriminalroman zum Lesevergnügen. Ivy Pochoda schafft tiefe Atmosphäre, der Lesende fühlt sich, als säße er mittendrin im Geschehen mit allen Gerüchen und Geräuschen. Und ja, der Täter wird wieder zuschlagen bei diesen Frauen. Er ist nebensächlich. Im Fokus stehen diese Frauen, die Opfer, deren Angehörige, alle Frauen, die täglich Angst haben, wenn sie nachts über die Straße gehen. Junge Frauen voller Hoffnung auf ein besseres Leben in West of Downtown von LA, das aber meist in Hoffnungslosigkeit auf der Straße endet. Eine patriarchalische Gesellschaft, die sich nimmt und wieder auskotzt, das Erbrochene als Abschaum bezeichnet. Ein feiner Noir-Krimi, Empfehlung! 


Ivy Pochoda, geboren 1977, ist Schriftstellerin und lebt in Los Angeles. Sie wuchs in Brooklyn auf, studierte in Harvard und war professionelle Squashspielerin. In deutscher Übersetzung erschienen bereits ihre Romane «Wonder Valley» und «Visitation Street».



Ivy Pochoda 
Diese Frauen
Originaltitel: These Women, 2020
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Sigrun Arenz
Kriminalliteratur, Noir-Krimi, Noir, amerikanische Literatur
Gebunden, 360 Seiten
Ars vivendi Verlag, 2021





Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

  In dem Land, in dem Tobias lebt, sind endlich wieder bessere Zeiten eingekehrt, und alle Kinder sollen zur Erholung die Sommerferien auf dem Land verbringen. Doch statt zu zweit oder zu dritt auf einem idyllischen Bauernhof, landet der 11-jährige Tobias allein auf einer Insel weit draußen im Meer, wo er bei einer menschenscheuen Frau namens Lothe unterkommt. Lothe wollte kein Ferienkind haben, man hat ihr Tobias aufgedrückt – was die mürrische Frau ihn spüren lässt. Ein Geheimnis gilt es zu lüften, Menschen und Handeln zu verstehen; Freundschaft, Kriegstraumata, vom Dunkel ins Licht gehen … Allage, Jugendbuch ab 12 Jahren. Weiter zur Rezension:    Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

Rezension - Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler

  Mischa und Nits sind beste Freunde. Mischa liebt die Poems von Nits. Und der bewundert Mischa, weil er schlau ist und ein wandelndes Lexikon über Tiere zu sein scheint. Lügen geht gar nicht, so Nits Überzeugung. Darum fragt er sich, warum Mischa dem Lehrer weismachen will, er hätte eine Chlorallergie, als der Schwimmunterricht beginnt – Nits erzählt er, die Badehose sei von Mäusen angefressen worden. Überhaupt scheint Mischa in Schwierigkeiten zu stecken – doch wohl eher sein Vater ... Nits betritt in dieser Familie plötzlich eine völlig andere Welt – die der Armut. Aber das ist ein Unterthema – Mischas Vater ist untergetaucht; Mischa und Nits werden ihn nicht im Stich lassen – aber das könnte gefährlich werden ... Spannung, Humor und ein wenig Tragik machen das Buch zu einem Leseerlebnis. Meine Empfehlung ab 11 Jahren für diesen exzellenten Kinderroman.  Weiter zur Rezension:    Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Der Sommer, in dem der Blitz mich traf von Lauren Wolk

  Ein mächtiges Sommergewitter wirbelt 1944 Annabelles Leben durcheinander. Eigentlich will sie bloß die ersten warmen Ferientage genießen: Erdbeeren pflücken, mit ihren Brüdern durch die Maisfelder streifen und die schattige Stille in der Wolfsschlucht genießen. Da unterbricht ein heftiges Gewitter die Idylle. Annabelle gerät mitten hinein und wird vom Blitz gestreift. Sie überlebt, verfügt jedoch plötzlich über eine ebenso seltsame wie wunderbare Gabe: Sie kann die Gefühle und Ängste der Tiere um sich herum spüren. Drei Hunde sind verschwunden, auch der von Annabells Bruder. Und dann sind dort die Neuen im Dorf; der Mann fährt einen Pick-up mit einem Käfig hinten drauf; einer, mit dem man Hunde transportiert. Und aus der Scheune bellt es laut. Hält er die Hunde gefangen? Klasse Jugendroman ab 12/13 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Sommer, in dem der Blitz mich traf von Lauren Wolk

Rezension - Das Herz eines Schiffes von Elinor Mordaunt

Die spannenden Kurzgeschichten, gespickt mit ein wenig Seemannsgarn haben eins gemeinsam: Hier geht es um Segelschiffe, um Dreimaster. Wir tauchen ein in eine Zeit der rauen Seefahrt. Spannend und atmosphärisch, ein wenig Humor und Seemannsgarn – Kurzgeeschichten über Schiffe und Menschen, die zur See fahren. Meine Empfehlung für den Klassiker mit ausgewählten Erzählungen von Elinor Mordaunt! Weiter zur Rezension:    Das Herz eines Schiffes von Elinor Mordaunt

Rezension - Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste von Jakob Hein

  Der neue Assistent der Ostberliner Plankommission, Grischa, soll sich um die wirtschaftlichen Beziehungen zu Afghanistan kümmern. Genosse Burg, der Chef, erklärt das Problem: «Die Afghanen haben nichts.» Grischa ist kreativ, bricht in die Monotonie der alten Männer ein, vor Arbeitskraft strotzend, und er äußert eine verwegene Idee. Grischas Chef kommt aus dem Staunen nicht raus, ebenso die greisen Minister im Zentralkomitee: Wir lassen die Genossen in Afghanistan Medizinalhanf produzieren, den wir an die Bürger der BRD gegen kräftige Devisen verkaufen. Ein Schelmenroman, eine coole Persiflage, die satirisches Licht in diese Angelegenheit bringt, auf jeden Fall gute Unterhaltung. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste von Jakob Hein

Rezension - Lichterloh - Stadt unter Ruß von Sarah M. Kempen

  Cleo und ihre Schwester Gwynnie leben in Rußstadt, einer von Kohle dominierten Welt, wo das Atmen schwerfällt und ein einziger Funke alles zerstören kann. Rauch verschleiert den Himmel und die Hoffnung auf hellere Tage liegt in weiter Ferne. Während Gwynnie heimlich umweltfreundliche Techniken erforscht, ist es Cleos größter Traum, Schornsteinfegerin zu werden, denn das sind die wichtigsten Personen in Rußstadt. Sie beschützen die Stadt durch das Kehren und Reparieren von Maschinen – denn hier wird alles mit Kohle betrieben. Fantasy, Dystopie, spannendes Jugendbuch ab 12 Jahren. Weiter zur Rezension:    Lichterloh - Stadt unter Ruß von Sarah M. Kempen 

Rezension - Zauber des Meeres von Alicia Klepeis von Kaja Kajfež

  Tiergeschichten zum Träumen 15 stimmungsvolle Geschichten über Tiere, die im Ozean leben, wie Walhai, Anglerfisch, Schildkröte oder Otter Schildkrötenbaby, die mit spannendem Sachwissen angereichert sind, begleitet mit liebevollen Illustrationen. Ob die Orca-Großmutter, die ihr Wissen teilt, oder die kleine Seekuh, die mit ihrer Mama auf Entdeckungsreise geht, Tiefsee, Seevögel, die Tiergeschichten über Meerestiere lassen Kinder in das Ökosystem Meer eintauchen. Ein erzählendes Sachkinderbuch, das Spß macht und gleichzeitig eine Menge Wissen vermittelt. Empfehlung für das Kinderbuch ab 5 Jahren.  Weiter zur Rezension:    Zauber des Meeres von Alicia Klepeis von Kaja Kajfež

Rezension - Die Welt der Haie von Darcy Dobell und Becky Thorns

  Lerne die faszinierenden Lebewesen der Ozeane kennen  Haie zählen zu den ältesten Lebewesen dieser Erde. Sie schwammen bereits durch die Ur-Ozeane, lange bevor es Dinosaurier gab. Viele Legenden ranken sich um die Tiere mit den furchteinflößenden spitzen Zähnen. Doch wie gefährlich sind Haie wirklich? In diesem Buch erfahren wir nicht nur, weshalb Haie Überlebenskünstler sind und wie viele verschiedene Arten wir heute kennen, sondern auch einiges über ihre besonderen Gebisse, ihr eigentümliches Seitenlinienorgan und ihren ausgezeichneten Geruchssinn. Ein sehr feines Sachkinderbuch zum Thema Meerestiere – Haie, ab 5/6 Jahren. Weiter zur Rezension:    Die Welt der Haie von Darcy Dobell und Becky Thorns