Direkt zum Hauptbereich

Ohne Schuld von Charlotte Link - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Ohne Schuld 


von Charlotte Link

Sprecherin: Claudia Michelsen
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 15 Std. und 32 Min.


Der Anfang:  Die Beamtin, die den Notruf um 17 Uhr und zwei Minuten entgegennahm, hatte größte Mühe, die Anruferin zu verstehen. Es war eine Frau, und sie keuchte so, dass sie kaum ein Wort hervorbrachte. Sie war entweder sehr schnell gelaufen, oder sie befand sich in einem Zustand höchster Aufregung oder beides. Letzteres war am wahrscheinlichsten.


Detective Seargant Kate Linville freut sich auf ihren neuen Job bei der Polizei in ihrer Heimatstadt Scarborough, insbesondere auf Zusammenarbeit mit Chief Inspector Caleb Hale, für den sie ihren Job in London bei Scotland Yard gekündigt hatte. Zuvor will sie ein Wellness-Wochende genießen, das ihre alten Kollegen ihr geschenkt hatten. Der Anfang steht unter keinem guten Stern. Im Zug rettet sie eine Frau, die ein Unbekannter versucht hatte zu erschießen. Die aus Russland stammende Frau hat keine Idee, wer sie umbringen will und warum.


Keine Sorge, der Zug ist abgesperrt, er wird von meinen Leuten durchsucht. Man wird Ihre Tasche finden, und Sie werden alles wiederbekommen›, sagte Jenkins beschwichtigend. Er zog ein Taschentuch hervor, fuhr sich damit über die Stirn, lockerte dann seine Krawatte. ‹Gott, ist das heiß hier drinnen.›

‹Ich habe einen Engländer geheiratet›, erklärte Xenia. ‹Jacob Paget. Ich konnte deshalb die Einbürgerung beantragen.›

Es war ihr wichtig, sehr wichtig, wie Kate feststellte. Auf keinen Fall wollte sie den Verdacht aufkommen lassen, illegal in England zu leben. Kate fand, dass sie ein wirklich perfektes Englisch sprach. Wenn man wusste, dass sie aus Russland stammte, fiel ein kaum hörbarer Akzent auf; wusste man es nicht oder achtete nicht darauf, hätte man nicht gemerkt, dass sie keine Engländerin war.


Schicksale verändern ein Leben von einer Minute auf die andere

In Scarborough angekommen, muss Kate feststellen, dass Caleb Hale wegen seiner andauernden Alkoholprobleme in Frührente versetzt ist und der neue Chef ziemlich unsicher und hilflos in der Ermittlung herumstochert, zumal ein zweiter Anschlag auf eine junge Frau Lehrerin hinzukommt. Ein über der Weg gespannter Draht hatte sie vom Fahrrad stürzen lassen, zusätzlich wurde auf sie geschossen, mit der gleichen Waffe, die auch im Zug benutzt wurde. Auch diese Frau kann sich keinen Reim darauf machen. Es gibt keinerlei Verbindung zwischen beiden Frauen. Charlotte Link rollt langsam in ihren Krimis die Lebensgeschichte aller Beteiligten auf, Opfer wie Täter – die meist selbst Opfer sind. Ihre literarischen Krimis gehen stets tief in die Charaktere. Der Leser weiß mehr, da sie jeder Figur ein Profil durch Mehrperspektivität gibt. Auch wenn man Stück für Stück hier den Tätern näher kommet, denn selbst bevor die Stränge zusammenlaufen, ahnt der Leser, wohin die Reise geht, wird der Krimi nicht langweilig. Es passiert eine Menge, und zum Ende weiß man bei Charlotte Link nie, wie es ausgehen wird. Nie wird alles gut. Genau das gibt ihren Romanen Authentizität. Warum ist einer so, wie er ist, das steht bei der Autorin immer im Vordergrund. Schicksale verändern ein Leben von einer Minute auf die andere, verändern Menschen. Diese Figuren haben natürlich alle etwas zu verstecken. Xenia, die Frau aus dem Zug leidet unter ihrem brutalen, besitzergreifenden Ehemann. Warum trennt sie sich nicht? Er hat sie in der Hand – nur warum? Ein Ehepaar, das schon länger getrennt lebt – was hat ihre Ehe zerbrechen lassen? Eine beliebte Lehrerin, die ständig umzieht, die Orte wechselt – warum? Niemand ist immer gut. Niemand ist ohne Schuld. Menschliche Abgründe und Tragödien sind Charlotte Links Spezialität. Ihre Romane sind episch, sprechen in Bildern, graben tief im Unglück von Lebensläufen. Auch das ist ihr hier wieder gut gelungen. Am Ende zieht sie in diesem Roman ein wenig zu sehr Gummi, da hätte nicht immer noch einer draufgesetzt werden müssen. Klar, das braucht sie zu einer Befriedung. Wäre auch anders gegangen. Ein empfehlenswerter Krimi mit Tiefgang!


Charlotte Link 
Ohne Schuld
Reihe: Kate Linville 3
Krimi, literarischer Krimi
Sprecher: Claudia Michelsen
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 15 Std. und 32 Min.
Random House Audio, Audible, 2020
Gebundene Ausgabe, 544 Seiten
Blanvalet Verlag, 2020


Weitere Rezensionen zu Krimis von Charlotte Link 



Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore

Rezension - Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis

  (Detektivbüro LasseMaja, Bd. 37)  Es gibt hochfliegende Pläne im Ort Valleby: Ein Astronaut macht mit seiner Raumkapsel in der Kleinstadt Station und will als Nächstes den Planeten Neptun ansteuern. Und laut tönt er, er suche Astronaut:innen, die ihn begleiten. Bewerber will er einem Astronauten-Test unterziehen, danach bestimmt er, wer mitfliegen darf! Natürlich benötigt er auch Spenden für sein Projekt. Die Detektiv:innen Lasse und Maja hören genau zu. Und bei dem, was der Mann so erzählt, kommt schnell der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul ist und der Typ ein Betrüger ist. Das teilen sie dem Dorfpolizisten mit – doch der hat gerade keine Zeit für sie. Ein Dieb geht um … Spannender, witziger Kinderkrimi ab 8 Jahren, Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis 

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna

  Ein alter Mann lebt in einem Haus am Waldrand, mit Blick auf die Stadt. Eines Tages kommt ein hungriger Hund zum Haus, der sich nicht herantraut. Der Mann stellt Futter hin und geht zurück ins Haus. Jeden Tag kommt der Hund am Morgen und am Abend, und weil er so knochendürr ist, nennt der Mann ihn Osso, schließt den Streuner ins Herz. Eine wunderschön erzählt und illustrierte Geschichte über die Beziehung Mensch und Hund. Allage, ab 10 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna