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Meine verlorene Freundin von Milena Busquet - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Meine verlorene Freundin 


von Milena Busquet


Der Anfang: 

Gema ist für mich immer der Name einer Toten gewesen. Oder nicht immer, aber seit gut dreißig Jahren, und das ist fast dasselbe. Sie starb mit fünfzehn. Zwei Jahre später starb mein Vater.


Die selbstbewusste Ich-Erzählerin, Mitte vierzig, Autorin und Übersetzerin, alleinerziehende Mutter zweier Söhne, lebt glücklich in Barcelona. Die Männer lieben sie, doch Beziehungen haben von Beginn an ein Ablaufdatumdatum, weil die Protagonistin sich stets eingeengt fühlt. Auch ihre derzeitige Beziehung mit einem Theaterdramaturgen erfüllt sie nicht mehr. Alles wird zu dicht und zu eng. Plötzlich erinnert sich die Ich-Erzählerin an ihre beste Kindheitsfreundin, die fünfzehnjährig an Krebs erkrankte und verstarb. Was wäre wohl aus ihr geworden? Sie fragt sich, warum sie sie vergessen hatte, die Erinnerung verblasst ist. So macht sie sich auf die Suche ihrer Erinnerung, geht Fotoalben durch und alte Schülerzeitungen, spricht mit den damaligen Schulfreundinnen. Letztendlich ist die Freundin nicht so wichtig, die auch nur sporadisch in diesem Roman hin und wieder für ein paar Zeilen auftaucht. 


Ein Roman mit vielen Rückblicken


Wenn ich die Augen aufschlug und dabei aus irgendeinem Grund dem Blick einer anderen Person begegnete, die mich ansah, spürte ich unweigerlich einen Anflug von Panik und schlechter Laune.


Der Roman geht in Rückblicken ins Leben der Ich-Erzählerin – Krankheit, Tod, Trauer, Verarbeitung und Vergessen von Personen ist das Thema, die Bedeutungslosigkeit des Daseins. Sie berichtet, als Gema im Krankenhaus lag, habe sie sie nie besucht. Als ihr eigener Vater plötzlich im Krankenhaus verstarb, reiste die Mutter am nächsten Tag ab, um sich mit einem Liebhaber zu treffen, ließ die 17-jährige allein mit der Trauer zurück. Der Angst vor Verlust sitzt tief in der Autorin fest. Bruno, ihre letzte Eroberung, möchte mit ihr zusammenziehen. Als er mit einem Theaterstück auf Tournee geht, soll sie ihn begleiten. Sie wimmelt ihn ab, und selbst seine täglichen Anrufe aus Italien sind ihr zu viel. Es ist Zeit zu gehen. 


Spuren hinterlassen, nicht vergessen werden


Wie schon seit Jahren, seit sie nicht mehr meine maßgeblichen Lieben waren, dachte ich auch jetzt, kurz bevor sie an der Tür klingelten: Keine Lust! ... Wie läppisch war Freundschaft doch verglichen mit Begehren! Wie lahm diese befriedete Liebe auf Abstand, frei von jedem starken Gefühl, dafür befrachtet mit unterschwelligen Verpflichtungen und anstrengenden Erwartungen, anfällig für die schlimmsten Eifersüchteleien und den unverzeihlichsten Verrat.


Eine Protagonistin mit Bindungsängsten, Angst etwas geben zu müssen, wenn man nimmt. Angst vor zu viel Nähe, einem Verlust, der zu tief treffen könnte. Gleichzeitig ist sie ein wenig neiderfüllt auf andere, die tiefe Freundschaften pflegen – aber man kann nicht beides haben und sie hat sich für eine Seite entschieden. Genau das lässt die Ich-Erzählerin zunächst als oberflächlich erscheinen; doch sie zweifelt. Eine Frau, die sich selbst im Weg steht, die mit der Suche nach der Freundin sich auf die Suche macht, die eigene Identität zu finden. «Als würde es die namenlosen Vielen, die vor dem Zeitalter des Internets gelebt und gestorben waren, nicht geben, als wären sie verschwunden, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen.» Spuren hinterlassen, nicht vergessen werden. Dem Leben einen Sinn geben, Halt haben, Geborgenheit. Eine Frau auf der Suche nach dem richtigen Weg. Welchen wird sie einschlagen?


Ein Roman als Selbstreflexion


Ein permanenter und trügerischer Durchsatz im Gedächtnis, ein beständiges Kommen und Gehen, tatsächlich erinnerten wir uns an sehr Weniges, an einer Hand abzuzählen, alles andere erfanden wir oder borgten es uns.


Ein lückenhaftes Gedächtnis, Verzerrung der Erinnerung, verschönern, zurechtbasteln – was ist die Wahrheit? Ein Roman als Selbstreflexion. Milena Busquets ist eine feine Beobachterin – ob es nun um Innenansichten geht oder um die Beobachtung von anderen Menschen. Das alles ist verortet in die Sommerhitze Barcelonas, Bars und Restaurants des Großstadtlebens. Ein dünner Band, der es letztendlich erst rückblickend in sich hat – denn während des Lesens flutscht man auf Grund der Leichtigkeit der Erzählung zunächst hindurch.


Milena Busquets, 1972 geboren, hat in London Archäologie studiert und lebt und arbeitet seither in Barcelona - sie war in Verlagen, in der Modebranche, als Journalistin und Übersetzerin tätig. Auch das wird vergehen (2016) war ein internationaler Bestseller, der auch verfilmt wurde. Meine verlorene Freundin ist ihr zweiter Roman, der sie als wichtige Autorin der spanischen Gegenwartsliteratur eindrucksvoll bestätigt.



Milena Busquets 
Meine verlorene Freundin
Originaltitel: Gema (Anagrama)
Aus dem Spanischen übersetzt von Svenja Becker
Zeitgenössische Literatur, spanische Literatur
Suhrkamp Verlag, 2022 





Spanische Literatur

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Gastland Frankfurter Buchmesse 2022



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
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