Rezension
von Sabine Ibing
Kleine Schnecke ganz groß
von Brigitte Fuss und Jakob Krattiger
Das Buch beginnt mit einer Einführung der Autorin in die Transaktionsanalyse, nach der der Mensch in frühster Kindheit getriggert wird, und so die Persönlichkeit gesetzt wird. Die zwischenmenschliche Kommunikation wird hier als Transaktion beschrieben durch Sender und Empfänger. Einfach erklärt, man legt uns in die Wiege, wer wir sind, was wir uns zutrauen. Und das senden wir nach außen. Ich bin stark, ich bin schwach, usw. Dieses verfestigte Denken und entsprechende Verhalten kann man aufbrechen und ändern – darum geht es hier. Braucht dieses Buch die Ansprache, eine psychologische Erklärung? Nein, denn die Geschichte spricht für sich. Eine kleine Schnecke lebt allein und zurückgezogen in ihrer Blätterhöhle. Sie ist davon überzeugt, dass niemand mit ihr spielen will, dass niemand sie mag, dass sie hässlich ist usw. Aus der Distanz beobachtet sie, wie das Eichhörnchen, der Spatz und die Maus zusammen spielen.
Das Eichhörnchen winkt der Schnecke zu, spricht sie später an, mitzumachen. Gut, sie traut sich nicht mitzuspielen. Nur warum fragt sie sich: «Warum will niemand mit mir spielen?» Wie kommt sie darauf? Das wird nicht klar. Und dann, von einem Augenblick auf den anderen wird sie mutig, geht zu den Tieren, macht mit. In der Realität ist es ein Entwicklungsprozess in vielen Schritten, getriggertes Verhalten zu ändern; und in der Regel geht man den auch nicht allein. Mir fehlt der Auslöser für den Trigger. Ich könnte darüber hinwegsehen, wenn mir als Lesenden nicht auf der ersten Seite ein Fachvortrag zur Transaktionsanalyse gehalten wurde. In dem Fall sollte man auch fachkompetent die Geschichte umsetzen. Schwamm drüber. Das eigene Verhalten hinterfragen, Ängste überwinden und den Trigger ablegen – eine wichtige Message. Es muss nicht alles bleiben, wie es ist, ich kann mich ändern.
Graphisch ist das Bilderbuch in warmen Farben umgesetzt, die sehr ansprechend sind, den Lesenden sofort einnehmen. Zeichnerisch kommen die Illustrationen ein wenig ungelenk daher; der Illustrator bleibt weit unter seinem Potential (wenn man sich anschaut, was er ansonsten zeichnet). Der Aufbau der Geschichte hat dramaturgische Fehler, der Sprache fehlt Rhythmus und Ausdruckskraft. Gut, es ist ein Selfpublisher-Kinderbuch, ein Lektorat wird im Impressum nicht erwähnt, was Text und Dramaturgie allerdings nötig gehabt hätten. Grundsätzlich hat das Kinderbuch Potential. Das Autorenpaar gibt eine Altersempfehlung von 3–6 Jahren. Für Dreijährige sind definitiv die Sätze zu lang. Die Vorstellung der Autor:innen am Ende gestaltet sich ebenfalls reichhaltig. Brigitte Fuss erwähnt, dass sie dieses Buch geschrieben hat, weil ihr auf dem Buchmarkt Bilderbücher fehlen, die sich mit «eigenen Glaubenssätzen und deren Veränderung befassen». «Sich selbst reflektieren, genau hinschauen und verstehen, um dann aus eigener Kraft sich zu verändern, ermöglicht eine realistische Chance zur Persönlichkeitsveränderung.» Ein hohes Ziel für einen Dreijährigen! Ganz nebenbei, es gibt eine Menge guter Bilderbücher zum Thema Mut, sich trauen, stark sein, Schwächen überwinden sein usw.
Brigitte Fuss ist Sozialpädagogin und Sonderpädagogin mit dem Förderschwerpunkt sozial-emotionale Entwicklung und immer auf der Suche nach «guten» Bilderbüchern. Sie lebt und arbeitet in Augsburg. In ihrer langjährigen Berufspraxis konnte sie die Erfahrung machen, dass Bilderbücher Kinder emotional fesseln, sie zum Nachdenken anregen und ihnen neue Handlungsimpulse sowie –alternativen aufzeigen.
Jakob Krattiger hat Grafikdesign studiert. Und er ist der Lebenspartner von Brigitte Fuss, arbeitet mit ihr zusammen im Förderzentrum im künstlerischen Bereich.
Kleine Schnecke ganz groß
Bilderbuch, Transaktionsanalyse, Persönlichkeitsveränderung, Kinderbuch, Kinder- und Jugendliteratur
Hardcover, 36 Seiten, 21.7 x 23 cm
Buchschmiede, 2024
Altersempfehlung: 3–6 Jahre
Kinder- und Jugendliteratur
Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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