Direkt zum Hauptbereich

Eisiger Dienstag von Nicci French - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Eisiger Dienstag 

von Nicci French


Der Tote wirkte schlank und nicht sehr alt. Seine Hände lagen auf seinem Schoß, als wollte er damit seine Blöße bedecken, und in der einen Hand steckte ein Gebäckstück. Er hatte ein Kissen im Nacken, das den Kopf stützte, so dass der Blick seiner schwefelgelben Augen direkt auf die Eintretenden gerichtet war und sein schiefer Mund aussah, als lächelte er spöttisch. Nach den dunklen Hautverfärbungen an der Unterseite seiner Oberschenkel zu urteilen, wo das Blut zusammengelaufen war, musste er schon eine ganze Weile tot sein.

Die Geschichte beginnt mit einem grausigen Fund. Eine Sozialarbeiterin klingelt an der Tür einer Klientin, die öffnet, bittet die Betreuerin herein. Erster Eindruck, Michelle ist nett, ordentlich gekleidet und die Wohnung zeigt sich aufgeräumt. Alles in Ordnung. Bis zum Wohnzimmer ... auf dem Sofa sitzt ein nackter Mann, anscheinend seit geraumer Zeit verstorben, Fliegenschwärme, Maden … Michelle scheint psychisch krank zu sein, für sie ist der Bursche nicht tot. Hat sie den Unbekannten etwa umgebracht? Die Psychotherapeutin Frieda Klein wird ins Team von Inspector Karlsson gebeten. Der Tote wird als ein charismatischer Betrüger identifiziert, der unter Pseudonymen ältere Leute um ihr Erspartes brachte. Frieda hat nach kurzer Zeit eine schreckliche Ahnung, doch wer wird ihr glauben? Bauchgefühle sind keine Indizien. Frieda hat es nicht leicht, denn sie hatte im letzten Fall gepatzt, eine Studentin war durch ihren Fehler verschwunden. Und genau jetzt wird ihre Leiche gefunden.

Josef verzog verächtlich das Gesicht. ›Von wegen neues Dach! Das ist doch lauter Mist. Ich wusste gleich Bescheid, weil er kein Gerüst verwendet hat. Er hat überhaupt nichts gemacht.‹ ›… komme ich auf hundertsechzigtausend Pfund. Kann es sein, dass Sie ihm so viel bezahlt haben?‹

Das Autorenpaar hat sich sehr fein und empathisch auf die vielen Charaktere eingelassen, Menschen aus der britischen Hauptstadt und Umgebung mit all ihren Ecken und Kanten gezeichnet, in ihrer Einsamkeit und Verletzlichkeit, bis hin zur Obdachlosigkeit und Drogenmilieu. Tief hineingeblickt in Gesellschaftsschichten und aufgeblättert in ein dämmergraues London. Die Story ist durchdacht, die Stränge rollen langsam ab und verbinden sich. Intelligent und psychologisch gut aufgebaut, spannend, in dunkle soziale Abgründe blickend - ein Thriller mit Niveau. Die Figur Frida ist mir ein wenig dick aufgetragen, oberschlau und sie profitiert mir von zu vielen Zufällen. Ich habe mit »Dienstag« begonnen, wusste nicht, dass es einen »Montag« gab. Es gab Rückblicke, die man auch ohne den ersten Teil versteht. Bis Sonntag setzt sich die Serie fort und darum endet der »Eisige Dienstag« auch nicht mit einem runden Abschluss, vorgewarnt die Leser, die nicht gern Serien lesen, die in sich abgeschlossen sind. Ich werde bei Mittwoch weiterlesen.

Hinter dem Namen Nicci French verbirgt sich das Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French, die bereits einige gute Psychothriller als Paar geschrieben haben.

Kommentare

  1. Hört sich total interessant an! Vielen Dank für die Empfehlung. Eigentlich habe ich schon soooo viel zum Lesen. Aber ganz ehrlich, du hast in mir die Lust geweckt, mich mit der Geschichte von Frieda und dem verstorbenen Herrn zu beschäftigen.

    Liebe Grüße
    Breena von deinereiselust.de

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz Karnauchow und Petra Thees

  Alter könnte so schön sein. Doch ältere Menschen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert. Schlimmer noch, sie denken sich alt und grenzen sich selbst aus, sagen die Autor:innen. Das hat Folgen: Krankheit und Gebrechlichkeit im Alter gelten als normal. Altenpflege folgt daher dem Prinzip «satt, sauber, trocken». Und genau dieses Prinzip kritisieren Dr. Petra Thees und Lutz Karnauchow und gehen mit ihrem Ansatz neue Wege. Dieses Buch stellt einen neuen Blick auf das Alter vor - und ein radikal anderes Instrument in der Altenpflege. «Coaching statt Pflege» lautet die Formel für mehr Lebensglück im Alter. Ältere Menschen werden nicht nur versorgt, sondern systematisch gefördert. Das Ziel: ein selbstbestimmtes Leben. Bewegung, Physiotherapie und Sport statt herumsitzen! Ein interessantes Sachbuch, logisch in der Erklärung, ein mittlerweile erfolgreiches, erprobtes Konzept. Weiter zur Rezension:    Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz...

Interview - Viola Eigenbrodt von Sabine Ibing

                                                                                                                                          © Viola Eigenbrodt Viola Eigenbrodt, freie Journalistin aus dem Kulturbereich, ihr Genre ist der Cosy-Krimi, Geschichten, die im Alpenraum angesiedelt sind, phantastische Geschichten und Entwicklungsromane. Und neuerdings ist Viola Eigenbrodt in die Kinder- und Jugendliteratur eingestiegen. Hier das Interview mit ihr:     Interview...

Rezension - Le Sud: Geschichten und Rezepte aus Südfrankreich - Provence - Alpes - Cote d’Azur von Rebekah Peppler und Joann Pai

  Das Savoir-vivre Südfrankreichs in 80 köstlichen Rezepten und stimmungsvoller Fotografie: Von erfrischenden Cocktails und kleinen Snacks über Vorspeisen, Hauptgerichte und Beilagen, bis hin zu Käse und Desserts, alles, was Südfrankreichs Küche zu bieten hat. Die Provence-Alpes-Côte d’Azur und ihre vielfältigen Koch- und Esstraditionen mit saisonalen Zutaten ausgerichtet. Frankreichs Sommerküche aus dem Süden gekonnt präsentiert. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Le Sud-Geschichten und Rezepte aus Südfrankreich von Rebekah Peppler und Joann Pai 

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Glutspur von Katrine Engberg

  Liv Jensen, ehemalige Polizistin, hat sich als Privatdetektivin in Kopenhagen selbstständig gemacht. Sie bekommt seitens der Polizei den Auftrag, Gemeinsamkeiten zwischen drei Todesfällen zu finden. Der Suizid eines Häftlings auf Freigang, der Tod einer Museumsangestellten und ein dreieinhalb Jahre zurückliegender Mord an einem Journalisten – diese Fälle können doch keine Gemeinsamkeit haben. Oder doch? Unterstützung erhält Liv dabei von Hannah Leon, einer Krisenpsychologin, die gerade selbst einen Schicksalsschlag erlitten hat, und Nima Ansari, einem iranischen Automechaniker, der selbst unter Mordverdacht gerät. Gemeinsam stoßen sie auf eine dunkle Vergangenheit, die jemand unbedingt geheim halten will. Mit allen Mitteln … Solider Krimi für ausdauernde Leser. Weiter zur Rezension:    Glutspur von Katrine Engberg 

Rezension - Skin City von Johannes Groschupf

  Gesprochen von Florian Schmidtke Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 6 Std. und 37 Min. Der Dienst im Außenbezirk sollte Ruhe in das Leben der Kriminalpolizistin Romina Winter bringen. Doch georgische Einbrecher sind täglich in den Stadtvillen in Dahlem und Lichterfelde unterwegs, und die Bewohner sind in der Folge verängstigt. Die Polizei muss wachsamer sein! Und dann verschwindet auch noch Rominas kleine Schwester. Jacques Lippold nimmt den Berliner Geldadel ganz legal aus, denn er arbeitet als Kunstberater. Berliner Szenen aus verschiedenen Sichtweisen, die sich irgendwann kreuzen werden. Gut aufgebaute Charaktere und atmosphärisches Berlin-Milieu-Feeling heben den Krimi ab, der gut geschrieben eine Empfehlung ist! Weiter zur Rezension:    Skin City von Johannes Groschupf