Direkt zum Hauptbereich

Ein guter Roman darf auch spannend sein – Und ein guter Krimi ist auch gute Literatur! von Günther Butkus

Ein guter Roman darf auch spannend sein – Und ein guter Krimi ist auch gute Literatur!


von Günther Butkus




Geschichte erlebbar machen – das ist mir in Romanen ein großes Anliegen. Mehr als jedes Sachbuch kann ein Roman Leser*innen einen Blick durch das Schlüsselloch ermöglichen: wie die Menschen in einer bestimmten Zeit gelebt, gedacht und gehandelt haben. Aus heutiger Sicht politisch oder moralisch zu urteilen ist schwierig, wenn man nicht weiß, wie die gesellschaftlichen und politischen Umstände waren, wie gefährlich es war, moralisch zu handeln.

Von Schreibstil und Sprache gefangen nehmen lassen

Viele Pendragon-Romane greifen diese Problematik auf: »Kolbe« von Andreas Kollender, »Wer das Schweigen bricht« von Mechtild Borrmann (ausgezeichnet mit dem deutschen Krimi Preis) oder »Der weiße Affe« von Kerstin Ehmer und dessen kürzlich erschienene Fortsetzung »Die schwarze Fee«, die beide im Berlin der 1920er angesiedelt sind. Man muss bei Kerstin Ehmer wirklich nur einen Satz lesen und sofort öffnet sich eine Tür und man steckt mitten drin in den legendären Goldenen Zwanzigern. Wir lassen uns durch Kerstin Ehmers Schreibstil und ihre Sprache gefangen nehmen und von Bildern, Gerüchen, von Eindrücken verführen.

Der erste Satz, Kerstin Ehmer – Der weiße Affe:
Als es hell wird und das Morgenlicht die stahlgenietete Hochbahn entlangfährt, schlurren die Hafenarbeiter zu den Spreeanlegern, schnaufen Kutschpferde in die Futtersäcke, wird in den Küchen krachend die Kaffeemühle gedreht, holpern Fahrräder und Handkarren übers Katzenkopfpflaster, schiebt die erste Lokomotive auf ihr Gleis im Görlitzer Bahnhof.

Sprache muss mehr sein, als nur der Transportbehälter für Inhalte

Jeder Mensch trägt seit Kindheitstagen ein Raster in sich, eine Prägung, wie er auf Sprache, Musik, Bilder, Natur etc. reagiert. Unbewusst gleichen wir jeden neuen Eindruck mit dem ab, was in uns ist. Damit dies gelingt, muss die Sprache mehr sein, als nur der Transportbehälter für Inhalte. Für mich kommt erst die Sprache und erst danach Thema, Plot und Figuren. Und im Zusammenspiel aller Elemente kommt am Ende das Buch raus, wo wir vom ersten Satz an Teil der Geschichte sind und uns nach dem letzten Satz allein gelassen fühlen, weil wir plötzlich nicht mehr Teil des Ganzen sind. Doch der Eindruck, den das Buch hinterlässt, bleibt. 

America’s best novelist

Wenn es um literarische Kriminalliteratur geht, dann ist eindeutig »America’s best novelist« (The Denver Post) James Lee Burke ganz oben, dessen 23. bändige Dave-Robicheaux-Reihe im Pendragon Verlag erscheint. Burke ist ein epischer Schriftsteller, der sich nicht scheut, die Dinge beim Namen zu nennen, vor allem politisch und moralisch. Burkes Antiheld Dave Robicheaux will Gerechtigkeit schaffen. Dafür ist er bereit, Grenzen zu überschreiten, wodurch er immer wieder aneckt und sich viele Feinde macht. Der neuste Band – »Blues in New Iberia« (Band 22) – erscheint bei uns im Juli. Burke ist ein packender und mitreißender Erzähler, mit faszinierenden Figuren und glaubhaften Geschichten. Und die Natur und Landschaften in Louisiana werden ebenso bildlich beschrieben wie die Clubs und Restaurants in New Orleans. Definitiv ein Muss für Krimifans und denen, die auf den Sprachstil großen wert legen.

Hier zwei Beispiele aus James Lee Burkes «Dave Robicheaux-Reihe»:

Ich blickte auf die Eichen, das Moos, das vom Wind angehoben wurde, den lilafarbenen Staub, der von einem Zuckerrohrfeld aufwirbelte und den Bayou Tech, der in der Sonne glitzerte wie ein byzantinisches Schild. La Louisiana, die Liebe meines Lebens, die Heimat des Jolie Blon und Evangeline und der Hure Babylon, der Ort, für den ich sterben würde, der Ort, für den es keine Antwort gab und keine Heilung.
(aus: James Lee Burke – Mein Name ist Robicheaux)

Doch als sie wegging, herrschte hinter ihr einen Moment lang Stille, ein Schweigen, das ihr förmlich in den Ohren dröhnte. Dann ertönte eine tiefe Männerstimme, und sie hatte das Gefühl, als zögen sich ihre Rückenmuskeln zusammen und verkrampften sich unter dem Kleid, so als übten diese derben unmissverständlichen Worte eine Macht aus, die sie sowohl körperlich als auch seelisch schrumpfen ließ. 
(aus: James Lee Burke – Im Dunkel des Deltas)


Hier geht es zum Interview mit Interview mit Günther Butkus


Der Verlag


Seit der Verlags-Gründung 1981 hat Verleger Günther Butkus das Profil von Pendragon erfolgreich weiterentwickelt. Das Erfolgsrezept sind Vielseitigkeit, ein gutes Auge für besondere (geschichtliche) Literatur und natürlich Krimis. Nach weit über 600 Titeln können wir sagen: So kann’s weitergehen!


Literarische Krimis bei Pendragon u.a.

    

Die «Dave Robicheaux-Reihe» von James Lee Burke umfasst im Original 23 Bände. Die meisten sind bereits im Pendragon Verlag ins Deutsche übersetzt worden - die restlichen Bände folgen. Epische, noir - Lousiana-Krimis. 
Kerstin Ehmers Krimis gehören zu der zu der literarisch-historischen Gattung, Berlin in den Zwischenkriegszeiten.

Rezensionen hierzu:


Krimis und Thriller, ein kunterbuntes Genre - weitere interessante Beschreibungen zu den verschiedenen Subgenren sind auf dieser Seite zu finden: Krimis und Thriller - eigentlich ein kunterbuntes Genre

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Rezension - Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Dieses witzig-gruslige Jugendbuch, bzw., schlicht Comic, nimmt eine über 100 Jahre alten Geschichte von John Kendrick Bangs auf. Die Comic-Zeichnerin Barbara Yelini interpretiert die Story neu mit wundervollen Wasserbildern. Ein wundervoller Comic für Jugendliche, die nicht sehr lesebegeistert sind. Zur Rezension:    Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Durch das Jahr mit der Natur von Lucy Brownridge, Margaux Samson Abadie

  Eine spannende Reise durch die Jahreszeiten zu Tieren und Pflanzen rund um den Globus. Das Jahr beginnt mit dem Januar – mit einem heißen Bad. In Japan baden die Japanmakaken mitten im Schnee in warmen Quellen, fühlen sich ziemlich wohl dabei. In Peru ist Paarungszeit für die Aras. Die Männchen wollen schön sein für die Damenwelt – und gehen vor der Balz für ihre Figur auf Diät: sie schlecken Schlamm. Auch in Afghanistan ist Paarungszeit mitten im Schnee für die Schneeleoparden. In der Antarktis schlüpfen Pinguine aus dem Ei. Und so geht es weiter durch das Jahr. Kleine Sachgeschichten aus der Natur ab 4 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Durch das Jahr mit der Natur von Lucy Brownridge, Margaux Samson Abadie