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Dazwischen: Wir von Julya Rabinowich - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Dazwischen: Wir

 
von  Julya Rabinowich


Der Anfang: 

Ich habe heute im Garten gesessen und den Wolken beim Vorbeiziehen zugesehen. Wie sie sich dehnen und ausfasern und plötzlich weg sind. Wie Papa. Oder sich verändern. Etwas Neues werden. Wie ich.


Nach «Dazwischen: Ich» erzählt Julya Rabinowich in «Dazwischen: Wir», wie die Jugendliche Madina ihren Weg in ihrer neuen Heimat findet. Madina hat den Krieg und die Fluchtsituation der Familie hinter sich gelassen und ist nun angekommen. Sie sind aus dem Flüchtlingsheim ausgezogen, haben eine eigene Wohnung in dem Haus, indem auch ihre Freundin Laura wohnt. Doch Papa ist zurückgekehrt in die Heimat – für Madina eine Chance, denn sie kann sich Dinge erlauben, die der Vater verboten hätte. Allerdings hat die Mutter die Umstände nicht ganz verkraftet, sie ist depressiv, auch der kleine Bruder Rami ist verstört, fällt im Kindergarten auf. Die Tante ist bei ihnen eingezogen, lernt fleißig Deutsch, genießt die Freiheit.


Viele Erwartungen lasten auf Medina


Damals ist ein Stück meines Herzens abgesplittert und steckt seither in meiner Kehle fest wie ein Spiegelbruchstück und schneidet ein. Ich weiß genau, dass er dachte, er sieht uns alle nie wieder. das Leben kann echt sch... sein.


Der Jugendroman ist in Tagebuchform angelegt. Laura und ihre Familie sind eine wichtige Stütze für Medinas Familie, doch manchmal wird Madina alles zu viel. Sie hat sozusagen das Familienmanagement übernommen, kümmert sich um den Bruder, die Mutter, die erstarrt ist. Zudem fordert ihre Klassenlehrerin Frau King, ständig Extrahausaufgaben von ihr, nimmt sie hart ran im Unterricht. Kann die alte Frau sie nicht leiden? Ihr Freund Markus, Lauras Bruder, entfernt sich immer mehr, denn er erwartet mehr, als sie geben kann, auch wenn er das nicht ausspricht. Aber auch Laura hat plötzlich Geheimnisse. Wie gut, dass es Frau Wischmann gibt, bei der Madina wöchentlich in die Therapiestunde geht. Doch plötzlich gibt es weitere Probleme. Eine rassistische Gruppe formiert sich im Dorf, hat Madina auf dem Kieker. 


Die Familie wird auseinandergerissen

Ein einfühlender Jugendroman, der sich mit der Problematik von Asylsuchenden befasst. Ein Mädchen, hin und hergerissen zwischen Tradition und westlicher Welt. Natürlich vermisst sie ihren Vater, sie ist wütend, dass er die Familie sitzengelassen hat. Auf der anderen Seite ist sie froh. Nie im Leben ließe er sie einen Freund haben, sie dürfte nicht mit Freunden am Abend auf die Kirmes gehen, Jeans tragen ... Doch nach seinem Fortgang haben sie nichts mehr von ihm gehört. Lebt er noch? Auch die Briefe an die Oma bleiben unbeantwortet. Es war Wahnsinn von ihm, zurückzugehen, denn wenn man ihn erwischt, wird man ihn umbringen. Madina will später Ärztin werden – so wie ihr Vater. Eine Menge Probleme gehen durch ihren Kopf, dazu kommen die rassistischen Anfeindungen. Ein Vater, der sich nicht einleben wollte, die Sprache nicht lernen wollte, sich degradiert fühlte, weil er als Hilfsarbeiter arbeiten sollte – eine Mutter, die sich in ihre Depression zurückzieht, nicht der fremden Sprache mächtig ist, und die das Mädchen die Probleme mit dem Bruder ausbaden lässt. Madina, der familieninterne Simultanübersetzer. Alls hätte sie nicht genug eigene Probleme. Erfahrungen aus Flucht und Immigration. Ausgestoßen sein, weil man die Sprache nicht perfekt beherrscht, weil man mit Bekleidung aus dem Spendenkontingent zufrieden sein muss, sich sagen lassen muss, dass man dem Staat auf der Tasche liegt. Nachts die Alpträume, die einen heimsuchen, wenn man die brennenden Häuser vor Augen hat, blutige Füße, weil man barfuß auf der Flucht ist. Die brennenden Apfelbäume in Omas Garten, Bomben, Granateneinschüsse, gejagt vom eigenen Militär. Die Erinnerung holt sie immer wieder ein. 


Es gibt Hoffnung 

Ein ganz normaler Alltag einer Jugendlichen auf der einen Seite, mit allen Problemen, die man in diesem Alter haben kann – aber auch ein belastender Alltag mit Familienproblemen, die andere in dieser Form nicht haben. Alltagsrassismus, ein weiteres Thema. Julya Rabinowich beschreibt die Gefühle von Medina sehr realitätsgetreu; und immer gibt es Hoffnung und gute Situationen mit Freunden, Menschen, die sich an ihre Seite stellen. Ein spannender, bewegender Jugendroman. Einen Kritikpunkt habe sich anzumelden: Medina stellt immer wieder Vergleiche mit diversen Grimmsmärchen. Diese gute Kenntnis schien mir nicht realitätsbezogen. Der Carl Hanser Verlag, gibt eine Altersempfehlung ab 13 Jahren. Das geht für mich in Ordnung. Empfehlung!


Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien, wo sie auch studierte. Sie ist als Schriftstellerin, Kolumnistin und Malerin tätig sowie als Dolmetscherin. Ihr erstes Jugendbuch wurde u. a. mit dem Friedrich-Gerstäcker-Preis, dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis und dem Luchs (Die Zeit & Radio Bremen) ausgezeichnet sowie unter die Besten 7 Bücher für junge Leser (Deutschlandfunk) gewählt.



Julya Rabinowich
Dazwischen: Wir
Jugendbuch, Jugendroman, Asylsituation, Rassismus
Kartoniert, 256 Seiten
Carl Hanser Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 13 Jahren




Hinter Glas von Julya Rabinowich


Dies ist ein grandioses Jugendbuch, Allage, das tief berührt, die Geschichte einer Befreiung, zu lernen Nein zu sagen. Aber bevor Alice sich befreien kann, muss sie in ein tiefes Loch fallen, von einem Gefängnis ins nächste wandern, bis sie den Mut hat auszubrechen. Sie wohnt im goldenen Käfig, in einer Villa mit Pool, und auf dem gleichen Gelände befindet sich die die düstere Protzvilla ihres Großvaters, eine Familienkrake. Alice ist unglücklich – und darum ist sie ständig krank. Sie hat keine Freunde – wozu auch, die würden den Eltern sowieso nicht gut genug sein. In der Schule wird sie gemobbt. Alice hat alles – doch eigentlich hat sie nichts. Eines Tages kommt ein neuer Schüler in die Klasse: Nico. Und nun verändert sich alles …

Weiter zur Rezension:   Hinter Glas von Julya Rabinowich







Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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