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Der große Indienschwindel von Alain Ayroles, Juanjo Guarnido - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der große Indienschwindel 


von Alain Ayroles und Juanjo Guarnido


Was für ein Meisterwerk! Ein Must-have für alle Comicfans! Die Zeichnungen grandios – aber nicht nur das, die Geschichte selbst, ein Schelmenroman, ist köstlich, mit vielen raffinierten Wendungen, ein geschriebener Abenteuerroman könnte nicht spannender und amüsanter sein.




Der Erzähler ist die Hauptfigur Pablos, ein Schlitzohr sondergleichen, der nicht nur den Leser mit seiner Erzählkunst hinters Licht führt. Das Ziel des armen spanischen Jungen, der im 17. Jahrhundert lebt, ist es, einmal ganz reich zu werden – natürlich hat er harte Arbeit dabei nicht eingeplant. Zu Beginn der Geschichte liegt er auf der Folterbank des Militärkommandanten von Cuzco (heute ein Gebiet in Peru), das vom Vizekönig Neuspaniens beherrscht wird. Pablos behauptet, das legendären Eldorado gefunden zu haben, die goldene Stadt der Inkas, und er erzählt seine Lebensgeschichte. Die beginnt in Sevilla, wo er als Kind einer armen Familie aufwächst, die sich von Taschendiebstahl ernährt. Pablos will sein Glück in der Neuen Welt versuchen, begibt sich auf die Reise nach Amerika, das man damals noch für Indien hielt. Er heuert auf einem Schiff an – doch der faule Taugenichts wird alsbald von den Kameraden über Bord geworfen, weil er seine sie beim Kartenspielen übers Ohr haut. Glück im Unglück, ebenfalls Schiffbrüchige nehmen ihn auf – schwarze Sklaven – die glauben, dieser schlaue weiße Mann könne ihnen beibringen, wie man mit Musketen umgeht, wie man einen Sextanten bedient. Da sind sie bei Pablos gerade beim Richtigen gelandet … Seine unglaublichen Abenteuer berichten von wilden Einheimischen, dem Fund einer Schatzkarte, dem langen Weg durch die Anden, durch sumpfige Niederungen des Amazonasgebiet. Er erlebt unterwegs so manch Abenteuer, wechselt die Weggefährten, bis er endlich den sagenumwoben Ort der Neuen Welt erreicht: Eldorado! Doch die Stadt ist gut bewacht. Dank eines Talismans überlebt er als einziger das Massaker der Indianer, kann mit dem Schrumpfkopf seines Freundes Don Diego fliehen, kehrt zurück. Er bittet auf der Folterbank den Kommandanten darum, die letzten Reste des Edelmanns Don Diego würdig zu begraben. Der Militärkommandant ist entzückt: Das Gold von Eldorado! Was wird mit Pablos nun geschehen, den man zurück in den Kerker schickt? Werden die Spanier das Gold von Eldorado mithilfe der Karte von Pablos` finden?




Pablos, der Ritter von tragischer Gestalt, der Antiheld, der gewinnt und verliert, sich immer irgendwie durchmogelt. Tragisch? Er ist ein gerissener Dieb, ein Geschichtenerzähler, ein Schmeichler, ein grandioser Schauspieler, der sich immer ins richtige Licht setzt, ein Opportunist, der andere übers Ohr zu haut, um sie zu betrügen, sie ausnützt nach Strich und Faden. Ein Gauner par excellence! Er hat ein paarmal die Chance, sich in ein normales, genügsames Leben einzufügen. Doch sein Ziel ist es eben, reich zu werden, zu Macht zu gelangen – ohne etwas dafür leisten zu müssen. Er ist aber kein Tyrann, besitzt sehr warme Züge, sentimentale, schmeichelt sich beim Leser ein. Und wie es so ist mit charmanten Betrügern – man hat sie trotzdem lieb. Als Leser wünscht man sich geradezu ein Happy End für diesen Filou. Wie geht es aus? Einfach selbst lesen, es lohnt sich. Interessant ist der markante Unterschied zwischen dem einfachen Pablos und den Edelmännern, die Zeichnung lässt es bereits durchblicken. Ein Anzug mit Hut macht noch keinen Edelmann – Bildung und Benehmen sind eine Grundlage der höheren Gesellschaft – hier könnte Pablos auf Eis schliddern …




Das großformatige Buch ist ein Augenschmaus – schon wie keck uns der Erzähler uns vom Cover her angrinst. Die Grafiken von Juanjo Guarnido finde ich grandios: Landschaften, Schiffe, Typen, Tiere. Farbprächtig, lebendig, detailversessen ist fast jede Einzelzeichnung ein Schmuckstück. Eine Abenteuergeschichte, eine historische Reise in die brutale Welt der Eroberer, des Kolonialismus – hier wird nicht geschönt. An manchen Stellen braucht es keine Worte, hier reichen die Bilder. Es ist ein Comic für Erwachsene / Jugendliche ab circa 14 / 15 Jahren. Es ist eine Gaunerkomödie – ein gemalter Hollywoodfilm. In sofern passt die Farbpracht und gezeichnete Überzogenheit zur Geschichte. 1626 erschien in Spanien das Buch »El Buscón oder das Leben des Abenteurers Don Pablos von Segovia« von Francisco de Quevedo, ein Schelmenroman über »die grausam-grotesken Schicksalsschläge eines urwüchsigen Taugenichts«. Das Buch endet damit, dass Pablos sein Glück in Indien suchen werde. Der Autor kündigte einen weiteren Roman an, der aber nie erschien. Dies ist die Fortsetzung in Form einer Graphik Novel. Beide Daumen ganz weit nach oben! Comic-Fans – diesen Band darf man sich nicht entgehen lassen!




Alain Ayroles studierte das Comiczeichnen an der École européenne supérieure de l’image in Angoulême. Seine Erzählungen entwickelte er mitunter an Rollenspieltischen. So entstanden seine Comicserien »Garulfo« und »Mit Mantel und Degen« Sein Stil ist geprägt vom Dialog der großen Geschichten der europäischen Kultur, die er dann respektvoll zu untergräbt.
Juanjo Guarnido wurde 1967 geboren, studierte in Granada »Beaux-Arts«. Während dieser Zeit veröffentlichte er mehrere Illustrationen im Comic Forum von »Planeta de Agostini«, der spanischen Niederlassung von Marvel, was ihm ermöglichte, ein breites Publikum in Spanien zu erreichen. Danach zog er nach Madrid, wo er drei Jahre lang an mehreren Zeichentrickserien arbeitete. 1993 zog Juanjo Guarnido nach Paris, um in den Walt- Disney-Studios von Montreuil als Layouter zu arbeiten. Derzeit ist er in der Trickfilmbranche tätig und arbeitet als Comiczeichner.


Für einen Vorgeschmack hier der Trailer: 




Alain Ayroles, Juanjo Guarnido 
Der große Indienschwindel
Original: Les Indes Fourbes
Aus dem Französischen übersetzt von: Harald Sachse
Splitter Verlag
Hardcover, Sonderformat 25 x 35, Seitenzahl:160

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