Direkt zum Hauptbereich

Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





Zeiten der Auflehnung 


von Aram Mattioli


Songtext von Tom Bee: 
‹Euer Amerika ist kein Land gewesen der von euch
proklamierten Gleichheit und Gerechtigkeit für alle,
möge euer Gott euch vergeben.
Die Behandlung unseres Volkes war
eine nationale Tragödie und Schande,
die Zeit ist gekommen dieser Schande
ein Ende zu setzen.›

Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden.


Die Nichteinhaltung von Verträgen  stand an der Tagesordnung


In der Nachkriegszeit offenbarte sich, dass die Reformen des New Deal die Lebensbedingungen der First People nicht nachhaltig verbessert hatten. … an den prekären Lebensbedingungen der American Indians und deren anhaltender Diskriminierung hatten Colliers Reformen nichts grundlegend geändert. … noch immer nicht wählen, und viele weiße Amerikaner nahmen sie als ‹faul›, ‹schmutzig› und primitiv wahr, ja als ‹geborene Säufer› und störten sich nicht daran, wenn sie als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden.

Bekanntlich hatte die Regierung die First People in Reservationen abgeschoben, rechtlos, auf in der Regel unfruchtbaren Boden. Selten gab es die Möglichkeit, sich von dem Land zu ernähren, auch Arbeitsplätze waren rar. Die Regierung versorgte die meisten Reservationen mit Lebensmitteln – wobei durch viel Korruption nicht das ankam, was geliefert werden sollte. Brauchte die Regierung weiteres Land für Siedler, so wurden Gesetze geschaffen, die es ermöglichten, auf Reservationsland zu gehen, ebenso Gesetze zu schaffen, um Bodenschätze dort zu schürfen – natürlich ohne die Landbesitzer zu beteiligen. Die Nichteinhaltung von Verträgen mit den amerikanischen Ureinwohnern durch die Regierung der Vereinigten Staaten stand an der Tagesordnung. 


Gesundheitsschäden durch Uranabbau 


Aber es gab auch Widerstand. Besonders die Irokesen haben sich im Kampf gegen Armut, Staudammprojekte und Uranabbau hervorgetan. Zwischen 1950-1989 wurde insbesondere auf den Reservationsgebieten rücksichtslos Uran abgebaut, Atombomben getestet, wobei schwere Umweltzerstörungen das Ergebnias war. Der Uranabbau zog enorme Gesundheitsschäden für die dort lebenden Menschen mit sich. Das Grundwasser der Diné war verseucht und viele erkrankten an Fibrose und Tuberkulose. Zudem fiel auf, dass es ungewöhnlich hohe Fehlgeburten gab, körperliche und geistige Behinderungen, ebenso Krebserkrankungen.


Immer wieder versuchte man, ihre Rechte zu beschneiden

Die Gründung der NCAI markierte einen Wendepunkt in der indigenen Geschichte der USA. Nach monatelanger Vorbereitungszeit trafen sich in Denver im November 1044 gut 80 Delegierte, die 50 indigene Nationen aus 27 Bundesstaaten vertraten, um eine national agierende Organisation aus der Taufe zu heben.

Die NCAI, die aus indigenen Rechtsanwälten und Richtern, Geschäftsleuten, staatlichen Angestellten usw. zusammengesetzt war, kämpfte für die Bürgerrechte und Rechte allgemein für alle Stämme. Es gab genügend Bestrebungen der verschiedenen Regierungen und Bundesstaaten, die immer wieder versuchten, die First People über das Ohr zu hauen, sie zu diskriminieren, zu enteignen, umzusiedeln usw. «Termination» und «Relocation» sind nur zwei Stichwörter dazu. Mit der NCAI, die diverse Kirchen und Unterstützer ins Boot holte, sprach nun ein mächtiger Partner für alle, die kleinen Stämme mussten nicht mehr ungehört allein für sich kämpfen. Interessant nachzulesen sind hier diverse nationale und kommunalen Versuche, die Stämme zu drangsalieren. Zum Beispiel das Navajo Livestock Reduction-Programm, das sich zum Ziel setzte, die Schafherden der Navajo auf etwa ein Viertel zu reduzieren. Dahinter steckten weiße Rinderzüchter, die Navajo-Land nutzten, behaupteten, die Schafe und Ziegen der Diné würde zu Überweidung und zur Bodenerosion führten. Die Navajo lebten aber von ihrer Schafzucht auf ihrem eigenen Land. Leider hatten die Stämme in diesem Fall kein Glück, das zu verhindern. 




Ebenso wenig wie das Staudammprojekt «Pick-Sloan-Plan», auch «Missouri River Basin Project» genannt, dass den Bau von 112 Dämmen auf Stammesland vorsah – die Stämme wurden nicht gefragt. Für die sieben angrenzenden Reservate waren die fünf vom Army Corps in North und South Dakota gebauten Staudämme der ersten Pick-Sloan-Bauphase eine Katastrophe: Etwa 550 Quadratmeilen Land der Lakota, Dakota, Nakota, Mandan, Arikara und Hidatsa mit fruchtbarem Boden, Wäldern und angestammten Siedlungen wurden ohne angemessene Entschädigung enteignet und überflutet. Im im Staat Washington lieferten sich Stämme 1974 mit der Polizei am Puyallup River eine Schlacht im sogenannten Fischkrieg. Immer wieder versuchte man, ihre Rechte zu beschneiden. Ihre Fischereirechte für den Lachsfang wurden 1979 vom Supreme Court bestätigt. Vieles wird hier erwähnt und genau darum gibt es zu diesem gut recherchierten Sachbuch einen langen Anhang zu den Anmerkungen, ebenfalls ein langes Literaturverzeichnis. Ein wichtiges Buch, das einerseits auf die Missachtung der Amerikaner auf ihre eigene Verfassung zeigt, auf ihre Verträge, die sie gegenüber den First People ständig gebrochen haben; sie als Menschen zweiter Klasse behandelten. Und andererseits zeigt Aram Mattioli auch, dass die Stämme nicht ganz untätig waren und gelernt haben, wie sie sich zu wehren haben. Empfehlung!




Aram Mattioli, 1961 geboren, lehrt als Professor für Neueste Geschichte an der Universitären Hochschule Luzern. 1998 hat er sich als Herausgeber des Standardwerkes "Antisemitismus in der Schweiz 1848-1960" einen Namen als Antisemitismusforscher gemacht.



Aram Mattioli
Zeiten der Auflehnung
Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA
Sachbuch, Amerika, First People 
Hardcover mit Schutzumschlag, 464 Seiten, Fotos 
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023




Passend dazu:

Afrika und die Entstehung der modernen Welt von Howard W. French

In diesem Sachbuch erkundet Howard W. French die zentrale, aber absichtlich vernachlässigte Rolle Afrikas und der Afrikaner bei der Entstehung von Wirtschaftssystemen und politischem Denken unserer modernen Welt. Der Autor zeigt, wie die tragische Beziehung zwischen Afrika und Europa, die im 15. Jahrhundert begann, und letztendlich unsere Moderne hervorbrachte. Durch den afrikanischen Kontinent und seinen Ressourcen, seinem Gold und seiner menschlichen Arbeitskraft konnten Europa und Amerika (das ja durch ausgewanderte Europäer beherrscht wurde) wirtschaftlich aufsteigen. Ein ausgebeutetes Land in Rohstoffen, in Arbeitskräften, Sklavenhandel – ohne die Sklaven hätten die weiten Plantagen in der neuen Welt gar nicht in der Form existieren können. 

Weiter zur Rezension:   Afrika und die Entstehung der modernen Welt von Howard W. French


Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
Sachbücher











Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz Karnauchow und Petra Thees

  Alter könnte so schön sein. Doch ältere Menschen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert. Schlimmer noch, sie denken sich alt und grenzen sich selbst aus, sagen die Autor:innen. Das hat Folgen: Krankheit und Gebrechlichkeit im Alter gelten als normal. Altenpflege folgt daher dem Prinzip «satt, sauber, trocken». Und genau dieses Prinzip kritisieren Dr. Petra Thees und Lutz Karnauchow und gehen mit ihrem Ansatz neue Wege. Dieses Buch stellt einen neuen Blick auf das Alter vor - und ein radikal anderes Instrument in der Altenpflege. «Coaching statt Pflege» lautet die Formel für mehr Lebensglück im Alter. Ältere Menschen werden nicht nur versorgt, sondern systematisch gefördert. Das Ziel: ein selbstbestimmtes Leben. Bewegung, Physiotherapie und Sport statt herumsitzen! Ein interessantes Sachbuch, logisch in der Erklärung, ein mittlerweile erfolgreiches, erprobtes Konzept. Weiter zur Rezension:    Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz...

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Helisee - Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

  Im 10. Jahrhundert gehört der westliche Teil der heutigen Schweiz zum Königreich Birgunt, erzählt uns diese Geschichte. Es ist eine wilde Gegend voller Wälder und Sümpfe, wo viele Menschen noch im Glauben an die alten Götter und Geister leben. Die Mauren greifen das Land an. Die Königin Bertha schützt das Land tapfer gegen räuberische Einfälle der mediterranen Mauren. Als der Hirtenjunge Ernestus, den die Leute im Dorf Erni nennen, einer ausgerissenen Ziege in den Wald folgt, überschreitet er unabsichtlich die Grenze des verrufenen Landstriches Nuithônia, dem Land der Feen. Seit Menschengedenken ist es verboten, dieses Gebiet am Fuß der Alpen zu betreten. Und er findet dort einen besonderen weißen Kiesel … Ein epischer Roman der High Fantasy, ein wenig Schweizer Sagenwelt, gut zu lesen. Weiter zur Rezension:    Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Die Legende von John Grisham

  Die Schriftstellerin Mercer Mann wird auf ein Drama aufmerksam, das sich quasi direkt vor ihren Augen abspielt: Ein skrupelloses Bauunternehmen will eine verlassene Insel zwischen Florida und Georgia bebauen, ein Touristenparadies mit Hafen, Golfplatz, Spielcasino, Hotels, Villen, Apartmenthäusern – ein Luxusreservoir. Lovely Jackson, die letzte Bewohnerin der Insel hingegen behauptet, die Insel gehöre ihr, als letzte Nachfahrin der entflohenen Sklaven, die dort seit Jahrhunderten gelebt haben. Sie will das Naturparadies aufrechterhalten, die Gräber ihrer Vorfahren pflegen. Die Geschichte der Sklaverei, verbunden mit einem Gerichtsurteil im Jetzt. Kann man lesen, aber nicht der beste Grisham. Weiter zur Rezension:    Die Legende von John Grisham

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore