Direkt zum Hauptbereich

Wir sind die Wahrheit von Andreas Götz - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Wir sind die Wahrheit 


von Andreas Götz

Entscheide dich, auf welcher Seite du stehst!


Der erste Satz: Ich lege den Brief in Noahs Nachttisch und schiebe die Schublade zu.

Andreas Götz beschreibt in diesem Jugendroman gut, wie verführerisch rechte Thesen sein können und wie schnell man ihnen auf den Leim gehen kann. Leahs Zwillingsbruder liegt im Koma, nachdem er von Unbekannten zusammengeschlagen wurde. Die Gewalttat wird Geflüchteten zugeschrieben. Wie kann das sein? Leah, Noah und ihre Eltern hatten sich in der Flüchtlingshilfe engagiert – warum sollten ihn genau diese Menschen verprügeln? Doch da bekommt Leah Stück für Stück kleine Videos zugeschickt, auf denen Noah zu sehen und zu hören ist. Gehörte ihr Bruder der Gruppe «Advocatus Diaboli» an, einer rechten Jugendgruppe? Leah geht der Spur nach und wirklich, er ist ein rechter Aktivist. Was ist geschehen? Sie trifft sich mit diesen Leuten, die von dem charismatischen Alexander Bornheim angeführt werden. – Und genau wie ihr Bruder droht sie den verführerischen Parolen des Anführers zu verfallen, verliebt sich in ihn – das alles klingt leider recht klischeehaft. Maulhelden im Debattierclub in Springerstiefeln. Das ist so verdammt klischeehaft – rechte Szene sieht anders aus.

Wen juckt es, ob einem von denen was passiert ist. Die hätten da eh nicht leben sollen, die haben ihr eigenes Land. Und so ein bisschen Feuer und Panik ist doch nichts Neues für die.

Von der Psychologie her ist das Bild nicht stimmig

Sich mit rechten Theorien zu beschäftigen und darzustellen, wie schnell man diesen verfallen kann, das finde ich gut ausgearbeitet und lobenswert. Von der Psychologie her ist das Bild nicht stimmig. Die Figuren sind schwach und unstimmig. Man fällt nur in diesem Tempo auf die Gesinnung herein, wenn man instabil ist – und eben diese Persönlichkeiten werden gegenteilig beschrieben. Außerdem gibt jede Menge Zufälle in der Geschichte, die in der Häufung nicht glaubhaft sind. Mehr dazu unter Spoiler – bitte nicht lesen, wenn man das Buch selbst auf sich wirken lassen möchte. Alexander, ein junger Erwachsener, der Rhetorik und debattieren trainiert, allein schon durch sein Elternhaus geschliffen ist, redet in vielen Abschnitten wie ein Dreizehnjähriger – ein Manko allgemein, dass die Figuren nicht altersgerecht und bildungsgerecht kommunizieren. Klar, der Roman ist an das Alter ab 14 Jahre gerichtet. - Dann sollte man sich eben dieser Protagonisten bedienen. Aus diversen Gründen konnte mich das Buch nicht überzeugen. Grundsätzlich finde ich die Auseinandersetzung mit dem Thema lobenswert.


Achtung Spoiler *** Achtung Spoiler *** Achtung Spoiler ***

Noah und Lea haben bereits ihr Abitur in der Tasche (19 +) und sind in einem Elternhaus aufgewachsen, das sich sozial engagiert (grün-sozialdemokratische Linie), sind den gleichen politischen Weg gegangen – gefestigte Persönlichkeiten, stabil, Menschen, die genau wissen, wie sie ihr Leben weiter verlaufen soll. Und dann kommt ein charismatischer, gutaussehender Bad-Guy mit seinem rechten Debattierclub daher, dreht Noah um, macht ihn zum aggressiven Rechten. Obendrein bekommt seine Zwillingsschwester, die so eng mit ihm verdrahtet ist, rein gar nichts mit. Leah wiederum spürt auch sofort eine magische Anziehungskraft zu dem netten reichen Bad-Guy. Völlig unglaubwürdig. Nehmen wir die andere Seite: Die Gruppe «Advocatus Diaboli» nimmt eine Flüchtlingsaktivistin sogleich herzlich auf? Als Bonbon oben drauf wacht Noah am Ende aus dem Koma auf, schämt sich für seine kurzzeitige Verblendung und steht wieder auf der anderen Seite. Knöpfchendrücken an, Knöpfchendrücken aus. So funktioniert die Psyche nicht. Der Grund, weshalb er plötzlich auf Fremde sauer ist: Noah verliebt sich in die Freundin seiner Mutter, die ihn ablehnt, weil er zu jung ist. Gleichzeitig hat sie ein Verhältnis mit den jungen gleichaltrigen Asylanten, den sie bei sich wohnen lässt, der Noahs Freund ist. Als Noah das herausbekommt, hat der Freund aber bereits mit der älteren Dame Schluss gemacht… ziemlich wenig für einen Gesinnungswechsel. Wären die Zwillinge  12-14 Jahre alt, wäre die Geschichte nachvollziehbar (auch in diesem Fall nicht die sofortige Umkehr nach dem Koma), ebenfalls wenn es sich hier um instabile, politikuninteressierte, suchende junge Erwachsene gehandelt hätte. Genauso ist die Protagonistin Eva für mich überhaupt nicht stimmig. Ein Roman steigt und fällt mit der Glaubwürdigkeit seiner Protagonisten – und damit fällt diese Geschichte für mich Stück für Stück – am Ende tief in den Keller - resümierend aus jahrzehntelanger Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Guter Ansatz in der Idee, aber das war`s dann auch für mich.


Andreas Götz
Wir sind die Wahrheit
Entscheide dich, auf welcher Seite du stehst!
Jugendroman
288 Seiten
Dressler Verlag,
Altersempfehlung: ab 14 Jahren

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler

  Mischa und Nits sind beste Freunde. Mischa liebt die Poems von Nits. Und der bewundert Mischa, weil er schlau ist und ein wandelndes Lexikon über Tiere zu sein scheint. Lügen geht gar nicht, so Nits Überzeugung. Darum fragt er sich, warum Mischa dem Lehrer weismachen will, er hätte eine Chlorallergie, als der Schwimmunterricht beginnt – Nits erzählt er, die Badehose sei von Mäusen angefressen worden. Überhaupt scheint Mischa in Schwierigkeiten zu stecken – doch wohl eher sein Vater ... Nits betritt in dieser Familie plötzlich eine völlig andere Welt – die der Armut. Aber das ist ein Unterthema – Mischas Vater ist untergetaucht; Mischa und Nits werden ihn nicht im Stich lassen – aber das könnte gefährlich werden ... Spannung, Humor und ein wenig Tragik machen das Buch zu einem Leseerlebnis. Meine Empfehlung ab 11 Jahren für diesen exzellenten Kinderroman.  Weiter zur Rezension:    Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler 

Rezension - Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

  In dem Land, in dem Tobias lebt, sind endlich wieder bessere Zeiten eingekehrt, und alle Kinder sollen zur Erholung die Sommerferien auf dem Land verbringen. Doch statt zu zweit oder zu dritt auf einem idyllischen Bauernhof, landet der 11-jährige Tobias allein auf einer Insel weit draußen im Meer, wo er bei einer menschenscheuen Frau namens Lothe unterkommt. Lothe wollte kein Ferienkind haben, man hat ihr Tobias aufgedrückt – was die mürrische Frau ihn spüren lässt. Ein Geheimnis gilt es zu lüften, Menschen und Handeln zu verstehen; Freundschaft, Kriegstraumata, vom Dunkel ins Licht gehen … Allage, Jugendbuch ab 12 Jahren. Weiter zur Rezension:    Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Devil’s Kitchen von Candice Fox

  Die Feuerwehrleute von «Engine 99» gelten als die Besten in New York – mutig, unerschrocken, verehrt. Was niemand ahnt: Sie sind parallel eine beinharte Gang, denn sie legen Brände, um im Chaos Vorbereitungen zu treffen, um später Banken und Juweliere auszurauben. Das könnte immer so weiterlaufen, wenn Bens Lebenspartnerin Luna und ihr Sohn nicht verschollen wären und er seine Kumpel nicht im Verdacht hätte, sie getötet und verscharrt zu haben. Er will es wissen! Und dafür ist er bereit, die Bande auffliegen zu lassen, sich selbst ans Messer zu liefern. Er bietet dem FBI an, wenn sie «seine Familie» finden, herausfinden, was mit Frau und Kind passiert ist, wer verantwortlich ist, dann packt er aus. Und so wird die freiberufliche Ermittlerin Andrea Nearland auf die Truppe angesetzt. Blockbuster – Spannung, die niemals abfällt! Klasse Thriller! Weiter zur Rezension:    Devil’s Kitchen von Candice Fox

Rezension - Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein

  Lauenstein und Gottschall laden wieder dazu ein, die Vielfalt und Hochwertigkeit der regionalen italienischen Küche zu entdecken. Eine Reise durch Italien mit Fotos von Landschaften und Menschen, von hervorragenden Rezepten. Die Frühjahrs-Sommerküche überzeugt durch die Qualität der Zutaten, denn das ist der Grundstock des Geschmacks. 70 Rezepte zu saisonalen Besonderheiten, Ursprüngen, Küchengeschichten, italienische Kultur und Feste – saisonale Schätze und Spezialitäten spielen zu bestimmten Anlässen eine große Rolle. Wieder ein sehr gutes Kochbuch, das Liebhaber der italienischen Küche im Regal stehen haben sollten. Weiter zur Rezension:    Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein 

Rezension - Grazie Roma von Daniel Gottschlich, Sebastian Späth und Dimitrios Katsavaris

  Wie ich mein Sternerestaurant zurückließ, in Italien Inspiration für neue Gerichte fand und mich am Ende selbst überraschte Daniel Gottschlich erhielt als erster Koch das Stipendium an der Deutschen Akademie in Rom – die bedeutendste Auszeichnung für deutsche Künstler im Ausland. Ein Koch, als Künstler? Man argumentierte mit dem von Joseph Beuys geprägtem «erweiterten Kunstbegriff», der das Kreative mit dem Künstlerischen gleichsetzt. Tage des Austauschs und der Inspiration, Stunden voller kreativer Eindrücke und künstlerischer wie musischer Erlebnisse. Im Mittelpunkt aber stand: die ausgezeichnete italienische Küche. Neben dem Reisebericht und den Eindrücken gibt es 30 Rezepte. Das erzählende Sachbuch ist eine Mischung aus Reiseliteratur und Kochbuch. Inspirierte Italienische Küche, Kulinarisches der mediterranen Küche, Lieblingsrezepte, Weltküche. Ein gelungenes Buch! Empfehlung! Rezension:   Grazie Roma von Daniel Gottschlich, Sebastian Späth und Dimitrios Katsavaris...

Rezension - Übung in Gehorsam von Sarah Bernstein

  Eine junge Frau aus einer Anwaltskanzlei aus der Stadt und zieht auf die Bitte von ihrem Bruder, der von Frau und Kindern verlassen wurde, zu ihm in ein Land im hohen Norden; sie kann von dort ihren Job weiter erledigen. In dem abgelegenen Dorf in einem nördlichen Land lebten bereits die jüdischen Vorfahren der Familie; es ist ihnen dort nicht gut ergangen. Als jüngstes von zahlreichen Geschwistern scheint es der jungen Frau nichts auszumachen, sich als Haushälterin des Bruders aufzuopfern. Eine komplexe Geschichte, Sarah Bernstein ist eine feine Beobachterin, alles ist offen; ist diese Erzählerin zuverlässig? Das Gehirn des Lesenden ist in Arbeit, viel Interpretation ist an vielen Stellen offen. Klasse! Weiter zur Rezension:    Übung in Gehorsam von Sarah Bernstein

Rezension - Die Witwe von Helene Flood

  Gesprochen von Cornelia Tillmanns Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 10 Std. und 41 Min. Eine gutbürgerliche Nachbarschaft in Oslo, Evy ruft ihrem Mann nach: «Fahr vorsichtig!» Wenige Minuten später erleidet Erling wieder einen Fahrradunfall und stirbt im Krankenhaus. Ein Herzinfarkt? Zurück bleiben Evy, mit der er seit fünfundvierzig Jahren verheiratet war und seine drei Kinder. Der Unfall lässt Fragen offen, denn wo sind die Herzmedikamente, sein Terminkalender, und wo ist sein Fahrrad? Die Polizei ermittelt, da Erling ohne diese Dinge aufgefunden wurde. Ein Testament schockiert die Familie: Erling hat kurz vor seinem Tod fast sämtliches Bargeld in Immobilien investiert. Evy ist die Alleinerbin. Sie erfährt von Erlings Freund, dass Erling der Meinung war, jemand wolle ihn umbringen – wahrscheinlich eins seiner geldgierigen Kinder. Und darum sei auch Evy in Gefahr. Ein Kriminalroman, der unaufgeregt bis zur letzten Seite dahinplätschert, sich mit den Inneneinsichten von Evy befasst...

Rezension - Irrfahrt von Toine Heijmans

  Donald, der Skipper befindet sich mit seiner sieben Jahre alte Tochter auf einen Segeltörn. In zwei Tagen wollen sie von Dänemark bis in die Niederlande segeln. Doch in der Nacht schlägt das Wetter um, es wird Sturm geben. Der Vater meint, die Tochter schliefe in der Kajüte. Doch dann ist sie nicht dort – sie kann nur über Bord gefallen sein. Weiter zur Rezension:    Irrfahrt von Toine Heijmans