Direkt zum Hauptbereich

Toubab – Zwei Münzen von Núria Tamarit - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Toubab – Zwei Münzen 


von Núria Tamarit


Eine spanische Graphic Novel: Mar ist ein siebzehnjähriger Teenager aus Frankreich, die ihre Mutter zu einer humanitären Mission zur Entwicklungshilfe im Senegal begleitet. Sie ist mit dem Internet und den sozialen Medien aufgewachsen und wird nun mit einer Welt konfrontiert, die sich radikal von ihrer eigenen unterscheidet. Kein Netz – kein Internet, kein Netflix, YouTube usw. aber das ist noch lange nicht alles. Keine Toilette, wie sie sie kennt, kein Badezimmer mit Dusche, täglich gibt es Reis zu essen. Die feuchte Wäsche des Nachts draußen aufzuhängen, kann gefährlich werden ... Die Senegalesen sind nett, freundlich  und neugierig, manchmal ein wenig zu neugierig und aufdringlich für Mars Geschmack – und Eigentum ist ihnen fremd. Zwei Kulturen stoßen aufeinander. 



Ich hatte Angst herzukommen. Ich dachte, ich sehe hier Leute sterben. Leute, die verzweifelt unsere Hilfe erwarten. Aber manchmal denke ich ... euch geht es besser als uns.


Sie trifft auf spontane, fröhliche Menschen – es geht ihnen besser, als Mar vorher annahm. Die Menschen haben Zeit. Mar bekommt gesagt: «Du musst nicht immer etwas tun. Dafür hast du den ganzen Tag Zeit. Mach mal langsam und genieß das. Schwatz ein bisschen.» Eigentum und Individualisierung, ein Heiligtum für Ma. Hier lernt sie, das dies wenig zählt, es kaum Privatsphäre gibt. Sie muss auch einige Vorurteile ablegen, lässt sich auf die Kultur ein, befasst sich mit muslimischen Sitten, entdeckt Landschaften von sagenhafter Schönheit. Mar freundet sich mit der ungefähr gleichaltrigen Astou an, die ihr Kopftuch nicht abnehmen darf und die bald verheiratet wird. Freiheit, den ganzen Tag tun und lassen zu dürfen, eine feine Sache, denkt Mar. Aber so frei ist dieses Leben ja gar nicht. Mar ist hin- und hergerissen. 



Die «Toubabs» (die Weißen) verbreiten Stress, wenn sie ins Dorf kommen und die Einwohner zur Arbeit antreiben – wie auch die Mutter von Mar, die sehr sanft vorgeht. Doch das Schulgebäude muss fertig werden, sie hat nicht ewig Zeit. Die Mutter erkrankt übrigens an den Nebenwirkungen des Malariamedikaments – während Astou Mar erklärt, Malaria hätte es hier lange nicht gegeben, das sei eine Mär der Pharmaindustrie. Es gibt zum Ende eine schöne Szene, als Mar einem Senegalesen den Tipp gibt, sich Hilfe zu suchen, jemanden, der sich für ihn einsetzt: Er war als Bootsflüchtling in Europa angekommen und nach einem Jahr zurückgeschickt worden. Er antwortet Mar: 


Wir brauchen keinen Retter. Wir brauchen niemanden als unser Sprachrohr. Afrika hat selbst eine Stimme. Unsere eigene Stimme. Was wir jetzt brauchen, ist, dass man uns anhört. Und uns in Frieden lässt.


 


Zwei Mädchen stellen gegenseitig die eigene Kultur in Frage. Einfachheit gegen Überfluss, Religion gegen Atheismus, Kollektivismus gegen Individualität und Eigentum, Ruhe und Ausgeglichenheit gegen Stress. Welches ist die bessere Welt? Eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Wichtig ist es, sich die andere Welt anzuschauen, sie zu erleben, die Vorurteile abzubauen und zu verstehen, ohne zu bewerten. Dann wären wir schon einen Schritt weiter, so die Message. Die sechs Kapitel beinhalten in der Überschrift einen Begriff in Wolof, der Umgangssprache des Senegals: «Àgg» (Ankunft); «Ndimmal» (Hilfe); «Dunya» (Welt); «Ñibi» (Heimkehr); «Jàmm al jàmm» (bis bald) und «Fele-fele» (Korb). Diese Begriffe sind für Mar jeweils ein Lernschritt im Umgang mit der fremden Welt.

 




Die Illustrationen der Graphic Novel sind in kräftigen, erdigen Tönen von gelb, Terrakotta bis Braun, den typisch afrikanischen Farben angelegt, ebenso die gemusterten Stoffe der Gewänder. Das hat mir gut gefallen. Was mir nicht gefällt, ist der typische Zeichenstil der Gesichter von Núria Tamarit. Starre austauschbare Gesichter, emotionslos, die Augen wie schwarze Murmeln, aprikosengroß, wie schwarze Löcher im Gesicht, dazu ein Schlitz als Mund oder ein ovales Loch. Die schwarzfarbigen Figuren wirken noch konturenloser. Der Reprodukt Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 13 Jahren; das passt – Allage! Empfehlung! 



Núria Tamarit schöpft aus persönlichen Erfahrungen: Sie selbst nahm 2017 an einem humanitären Hilfseinsatz in Gandiol, Senegal, teil. Ihr Comic «Toubab» wurde 2019 in Spanien als «Beste Graphic Novel» ausgezeichnet und bereits in sieben Sprachen übersetzt. Ihre Geschichte, die unsere Gewissheiten und Errungenschaften sanft erschüttert, ist eine Ode an Toleranz und Offenheit.



Toubab - Zwei Münzen 
Núria Tamarit
Aus dem Spanischen übersetzt von Lea Hübner
Lettering von Anna Weißmann / Font: Núria Tamarit
Graphic Novel, Comic, Jugendbuch, Senegal, Afrika, Entwicklungshilfe 
Hardcover 128 Seiten, farbig, 17 x 23 cm
Reprodukt Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 13 Jahren 



Vom Wacholderbaum von Núria Tamarit

Alte Märchen und Mythen, auf Papier gesetzt von Andersen, Gebrüder Grimm und wie sie alle heißen. Wir kennen viele Märchen aus unserer Kindheit, die uns die Großeltern und Eltern erzählt haben. Manche sind herzlich, andere ein wenig gruselig mit Bedacht, ertragbar, und es gibt die Geschichten mit enormer Brutalität. An den Letzten scheiden sich die Geister. Kann man das Rotkäppchen heute noch vorlesen, oder ist es zu grausam? Aus diesem Grund hat wahrscheinlich der Verlag das Lesealter dieses Comics auf 12+ Jahre eingestuft. Eigentlich ein typisches Märchen, ein spanisches als Graphic Novel gestaltet, das sich an Schneewittchen anreiht, noch eine Nummer härter.

Weiter zur Rezension:   Vom Wacholderbaum von Núria Tamarit


Graphic Novel, Comic, Grafisches  

Für die Fans von Comis / Graphic Novels und sonstigem Gezeichneten, wie Satire. Hier auf dieser Seite zusammengefasst.  Alle Altersgruppen. Graphic Novel, Comic, Grafische








Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor.

Rezension - Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

  Rezepte, die du lieben wirst Der Israeli Yotam Ottolenghi hat zusammen mit seinem dreiköpfigen Küchenteam das nächste Kochbuch entwickelt. Das Team widmet sich dem Comfort Food und liefert inspirierende Gerichte, die nach Zuhause und Geborgenheit schmecken. Aber auch nach Kindheitserinnerungen und Reiseeindrücken. Comfort Food bedeutet für jeden etwas anderes, auf jeden Fall etwas wie Geborgenheit und Wohlfühlgefühl: ein Gefühl von Nostalgie, aber auch Vertrautheit. So sind über 100 Rezepte entstanden, von der Bolognese (mit asiatischen Gewürzen) bis zu Eier-Gerichten, von der One-Pot-Pasta bis zum Apfelkuchen. Rezepte, die zugleich originell aber auch vertraut und bewährt sind. Und immer mit dem gewissen Ottolenghi-Twist. Weiter zur Rezension:    Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Die weiße Wölfin von Vanessa Walder und Simona M. Ceccarelli

  Das geheime Leben der Tiere (Wald, 1) Ein heftiger Sturm tost durch das Flusstal, als fünf Wolfswelpen geboren werden. Die Jüngste ist eine winzige Wölfin. Ausgerechnet sie hat enormen Mut und nimmt sich vor, die allergrößte Jägerin zu werden. Eine Leitwölfin obendrein! Sie erhält vom Rudel den Naman «Fünf». Ein Rabenschwarm begleitet stetig das Rudel, denn sie weisen den Weg zur Beute, eine Teamarbeit. Der Rabe Raak ist der beste Freund von Fünf. Eine spannende, realitätsbezogene Tiergeschichte zum Leben der Wölfe! Empfehlung für Leseanfänger ab 8 Jahren! Weiter zur Rezension:    Die weiße Wölfin von Vanessa Walder und Simona M. Ceccarelli

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Eisbären von Marie Luise Kaschnitz illustriert von Karen Minden

Marie Luise Kaschnitz war in meiner Jugendzeit meine Lieblingsautorin und so war für mich dies von Karen Minden illustriere Buch ein Genuss, Bleistiftzeichnungen, die sich wunderschön mit der Kurzgeschichte verbinden. »Eisbären«, die Novelle ist Kaschnitz-Fans geläufig: Eine Frau hatte schon geschlafen, wacht auf vom Geräusch des Türschlosses. Endlich kommt ihr Mann nach Hause. Doch er macht kein Licht. Ein Einbrecher? Seine Stimme bittet sie, das Licht nicht auszulassen. Sie soll die Wahrheit erzählen – damals im Zoo – auf wen habe sie gewartet? Weiter zur Rezension:    Eisbären – Novelle von Marie Luise Kaschnitz, illustriert von Karen Minden

Rezension - Simply Jamie von Jamie Oliver

  Jeden Tag was Gutes In fünf Kapiteln werden tägliche schnelle Gerichte, ebenso Wochenend-Wunder, bewährte Ofenrezepte bis hin zu leckeren Nachspeisen von Jamie Oliver vorgestellt. Simply Jamie ist dazu da, die Lust am Kochen zu wecken. Das Buch steckt voller köstlicher, unkomplizierter Ideen, die schnell angerichtet sind. Und der Clou: Es gibt Grundzutaten wie Soßen oder ein pochiertes Huhn usw., aus denen sich wiederum eine Menge verschiedene Varianten herstellen lassen. Weiter zur Rezension:     Simply Jamie von Jamie Oliver

Rezension - Caspar Plautz - Rezepte mit Kartoffeln von Kay Uwe Hoppe, Dominik Kli – und Theo Lindinger

  Der Marktstand Caspar Plautz auf dem Viktualienmarkt in München ist wegen seiner Kartoffelvielfalt beliebt. Dazu gehört ein kleiner, aber feiner Imbiss, der mittags im Mittelpunkt seiner Gerichte die Kartoffel würdigt. Die Kartoffel erobert im Caspar Plautz die Welt. Der Erdapfel ist wendig, anpassungsfähig, geschmacklich variabel. Das ist ein wirklich exzellentes Kochbuch, das zeigt, wie die moderne Küche sich Ideen aus aller Herren Länder greift, sie neu kombiniert – wunderbar harmoniert. Von traditionell zu Weltküche – vegetarisch zu Fisch und Fleisch – hier findet jeder seine Lieblingskartoffelgerichte. Weiter zur Rezension:    Caspar Plautz - Rezepte mit Kartoffeln von Kay Uwe Hoppe, Dominik Kli – und Theo Lindinger Theo Lindinger

Rezension - Indians! von Tibure Oger

  Der dunkle Schatten des weißen Mannes  1922, irgendwo in Amerika. White Wolf, ein ehemaliger Häuptling der Chippewa, sitzt als Zirkusattraktion vor Publikum und erzählt aus seinen Erinnerungen. Es sind Geschichten aus einem langen Leben, das bald sein Ende finden wird. Geschichten aus 400 Jahren Kolonialismus, von einseitigen Kriegen und zweischneidigen Verträgen, von Heldenmut und von Habgier. Geschichten vom wackeren Kampf der First Nations gegen den Mord an ihrem Volk und von ihrer scheinbar unausweichlichen Niederlage. Tiburce Oger hat für «Indians!» sechzehn herausragende Künstlerinnen und Künstler der Neunten Kunst versammelt, um eine Chronik der Eroberung des Westens zwischen 1540 und 1889 zu erschaffen: Die bittere Kehrseite des amerikanischen Traums, die Auslöschung von Kulturen der indigenen Völker. Sehr guter Comic, der in kleinen Graphic Novels aus der Sicht der Ureinwohner die Geschichte ins rechte Licht rückt. Weiter zur Rezension:    Indians! von Tibure Oger

Rezension - Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler

  Mischa und Nits sind beste Freunde. Mischa liebt die Poems von Nits. Und der bewundert Mischa, weil er schlau ist und ein wandelndes Lexikon über Tiere zu sein scheint. Lügen geht gar nicht, so Nits Überzeugung. Darum fragt er sich, warum Mischa dem Lehrer weismachen will, er hätte eine Chlorallergie, als der Schwimmunterricht beginnt – Nits erzählt er, die Badehose sei von Mäusen angefressen worden. Überhaupt scheint Mischa in Schwierigkeiten zu stecken – doch wohl eher sein Vater ... Nits betritt in dieser Familie plötzlich eine völlig andere Welt – die der Armut. Aber das ist ein Unterthema – Mischas Vater ist untergetaucht; Mischa und Nits werden ihn nicht im Stich lassen – aber das könnte gefährlich werden ... Spannung, Humor und ein wenig Tragik machen das Buch zu einem Leseerlebnis. Meine Empfehlung ab 11 Jahren für diesen exzellenten Kinderroman.  Weiter zur Rezension:    Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler