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Vom Wacholderbaum vom Núria Tamarit - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Vom Wacholderbaum 


von Núria Tamarit


Alte Märchen und Mythen, auf Papier gesetzt von Andersen, Gebrüder Grimm und wie sie alle heißen. Wir kennen viele Märchen aus unserer Kindheit, die uns die Großeltern und Eltern erzählt haben. Manche sind herzlich, andere ein wenig gruselig mit Bedacht, ertragbar, und es gibt die Geschichten mit enormer Brutalität. An den Letzten scheiden sich die Geister. Kann man das Rotkäppchen heute noch vorlesen, oder ist es zu grausam? Aus diesem Grund hat wahrscheinlich der Verlag das Lesealter dieses Comics auf 12+ Jahre eingestuft. Eigentlich ein typisches Märchen, das sich an Schneewittchen anreiht, noch eine Nummer härter.





Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die sehnten sich nichts mehr als ein Kind. Im Winter stand Anja unter der Tanne, bat um ein Kind, so weiß wie Schnee und rot wie Blut. Sie wurde bald schwanger, verstarb aber kurz nach der Geburt von Willie. Der Witwer Jacob nahm sich in seiner Einsamkeit eine neue Frau. Doch die ignorierte Ziehsohn Willie völlig, liebte nur ihre eigene Tochter, die kurz nach der Hochzeit geboren wurde. Die Kinder kamen gut miteinander aus; sie hatten sich lieb. Die Jahre schritten voran. Eines Nachts verführte der Teufel die Frau dazu, den Ziehsohn zu töten. 



Und nun wird es unappetitlich. Ein Märchen geht immer gut aus, so viel ist klar. Tote können wieder auferstehen, das kennen wir von Schneewittchen. In kräftigen Illustrationen stellt uns Núria Tamarit das Märchen vor. Und wer brutale Märchen und böse Stiefmütter nicht scheut, dem wird die Graphic Novel gefallen. Ich bin zwiegespalten. Einerseits ist es ein typisches Märchen, andererseits frage ich mich, ob man sich nicht ein anderes hätte aussuchen können. Muss man heute noch die von Männern inszenierte Schuld der Eva immer weiter tragen: die bösen Frauen, die an allem schuld sind. Braucht es Geschichten, in denen Kindern der Kopf abgehauen wird, sie gekocht dem Vater als Eintopf serviert werden? Zeichnerisch hat mich die Graphic Novel auch nicht völlig überzeugen können, denn die Figuren haben ausdruckslose Gesichter mit einfarbigen aprikosengroßen Augen und Strichmund. Hier sticht keine Emotion durch. Begeisterung sieht bei mir anders aus. Der Reprodukt Verlag gibt ein Lesealter ab 12 Jahren an; ein Comic, eine Graphic Novel für Jugendliche und Erwachsene. Letztendlich ein typisches Märchen, das man Kindern vorliest – wäre da nicht das Leitbild der bösen Stiefmutter, den Kopf ab, flapp, flapp und ab, den Rest in die Suppe ... Andererseits, was ist ab Rotkäppchen weniger brutal?



Núria Tamarit, geboren 1993 in Villareal, lebt und arbeitet als Illustratorin und Comiczeichnerin in Valencia, Spanien. Sie unterrichtet Illustration und ist Herausgeberin mehrerer Zines, ihre Arbeiten erscheinen in internationalen Zeitschriften. Für «Avery’s Blues» erhielt sie 2017 auf der Heroes Comic Con Madrid den Preis als Beste Newcomerin, ihr Comic «Toubab – Zwei Münzen» wurde 2019 in Valencia ausgezeichnet.



Núria Tamarit
Vom Wacholderbaum
Aus dem Spanischen von Lea Hübner
Lettering von Anna Weißmann / Font: Núria Tamarit
Comic, Graphic Novel, Jugendliteratur, Allage, Kinder- und Jugendliteratur
Hardcoer, 72 Seiten, 17.4 x 23.3 cm
Reprodukt Verlag, 2022
Lesealter: ab 12+


Graphic Novel, Comic, Grafisches  

Für die Fans von Comis / Graphic Novels und sonstigem Gezeichneten, wie Satire. Hier auf dieser Seite zusammengefasst.  Alle Altersgruppen. Graphic Novel, Comic, Grafisches
Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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