Direkt zum Hauptbereich

Tagebuch eines Zwangsarbeiters von Jan Bazuin und Barbara Yelin - Rezesion

Rezension

von Sabine Ibing



Tagebuch eines Zwangsarbeiters 


von Jan Bazuin und Barbara Yelin


Wenn einer niemals Angst hatte, dann lernt er in Deutschland das Fürchten.


Der neunzehnjährige Jan Bazuin erlebt 1944 in Rotterdam bitteren Kriegsalltag, den sogenannten Hungerwinter, dem «Hongerwinter». Täglich muss Brennmaterial und Essbares beschafft werden, was der Vater ihm überträgt. Ebenfalls droht sein Vater, ihn von den Deutschen abholen zu lassen, wenn er nicht auszieht; ein Fresser ist zu viel im Haus. Einziger Lichtblick ist die Freundin Annie. Im Januar 1945 werden alle Männer zwischen 17 und 40 Jahren in Rotterdam aufgefordert, sich zum Arbeitseinsatz für das Deutschen Reich zu melden. Weder wird ein Arbeitsvertrag geschlossen, noch weiß man, wo es hingeht. In einen Viehwaggon gepfercht, wird Jan nun als Zwangsarbeiter nach Bayern verschleppt ... Diese Graphic Novel ist das reale Tagebuch des jungen Niederländers Jan Bazuin – entnommen aus drei Heften, die der Sohn von Hendrik Jan Bazuin nach dessen Tod fand. Der Text ist sehr fein von Barbara Yelin illustriert. 




Man wird sich wundern, wie viel hier über das Essen geredet wird. Der Winter ist hart für die Bewohner im von den Deutschen besetzten Rotterdam; viele Menschen hungern, verhungern. Jan beschreibt hier sehr genau seine tägliche Suche, das Anstehen, die Verteuerung, die Verknappung auf den Lebensmittelmarken. Die Beschaffung von Nahrungsmitteln steht an erster Stelle.  Jan ist verliebt in Anni, er freut sich auf das Zusammensein mit ihr, auf das Eislaufen. Zu seinem Missmut gerät er jeden Tag zu Hause mit dem Vater aneinander. Als er mit dem Zug zur Zwangsarbeit wegtransportiert wird, weiß niemand, wohin die Reise geht, die drei Tage dauern wird. Es ist bitterkalt, die Männer hungern, haben Durst, und nicht jeder überlebt die Tortur. Jan landet in der Nähe von München in Dachau im Reichsbahnausbesserungswerk. Der Junge muss Schnee räumen, den Müll entsorgen und in der Küche arbeiten. Er berichtet in seinem Tagebuch vom harten Lagerleben; immerhin gibt es in der Küche etwas nebenher zu essen. Männer aus verschiedenen Nationen leben in den überfüllten Lagern: Polen, Italiener, Niederländer. Die Bombardierung der Alliierten auf Deutschland wird immer heftiger. Auch das Lager ist betroffen, steht unter Dauerbeschuss durch ständige Fliegerangriffe. Die Zwangsarbeiter leiden darunter, weil sie nicht mit in die Schutzbunker dürfen. Jan rennt meistens in den Wald, doch einmal schafft er es nicht mehr, hockt mit dem italienischen Koch in den Keller. Ein Glück, der Wald ist dem Erdboden gleichgemacht. In seiner Angst beschließt Jan, zu fliehen, denn die Amerikaner können nun nicht mehr weit sein. Nahrungsbeschaffung und Selbsterhaltung spricht aus diesem Tagebuch; ein Originaldokument. Keine Gedanken an die Heimat, die Familie. Der Tag zählt, das Überleben und Gerüchte, die das nahe Ende des Kriegs prophezeien. 



Comiczeichnerin Barbara Yelin hat dies Dokument ausdrucksstark illustriert. Mit dunklen Aquarellen, in Naturtönen von Blau über Braun bis Schwarz gibt sie der Geschichte einen sehr emotionalen Anstrich, bringt visuelle Atmosphäre in den Text. Im Nachwort gibt es Erklärungen zu den historischen Eckdaten,  Dokumente und Fotos von Jan Bazuin runden das Portrait ab. Der C.H. Beck Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 14 Jahren. Das passt für mich.



Barbara Yelin wurde mit ihrem Comicroman «Irmina» international bekannt. 2015 erhielt sie den Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur und 2016 den renommierten Max-und-Moritz-Preis als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin. Bei C.H.Beck erschien das von ihr illustrierte «Tagebuch eines Zwangsarbeiters» von Jan Bazuin (2022). Sie lebt in München.


Jan Bazuin und Barbara Yelin 
Tagebuch eines Zwangsarbeiters
Aus dem Niederländischen übersetzt von Marianne Holberg
mit einem Nachwort von Paul-Moritz Rabe
Jugendbuch, Comic, Graphic Novel, Geschichte, Zweiter Weltkrieg, Zwangsarbeit, Deutsche Geschichte, Kinder- und Jugendliteratur, Niederländische Literatur
Hardcover, 160 Seiten
C.H. Beck Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 14 Jahren



Graphic Novel, Comic, Grafisches  

Für die Fans von Comis / Graphic Novels und sonstigem Gezeichneten, wie Satire. Hier auf dieser Seite zusammengefasst.  Alle Altersgruppen. Graphic Novel, Comic, Grafisches
Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

  1. Heute ist vielen Firmen (BMW, Allianz, Munich RE usw.) aus München ihre Verstrickung in das NS-Unrecht peinlich und sie geben Studien in Auftrag, um das Vergangene aufzuarbeiben. Und es zeigt sich schändlich, dass leider viele Manager, Mitarbeiter und Inhaber Nazis der ersten Stunde waren und oft NS-Unrecht aktiv unterstützten. So will man z.B. heute aufgrund von Studien den Münchner Kisskalt-Platz umbenennen. Aber leider kümmert sich die Gesellschaft (Firmen, Kirchen) seit der Nachkriegszeit zu wenig um Aufklärung die sie selbst betrifft ! Man ist gedankenlos im Jetzt !

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Kreativ - Kunst - Zeichnen - Lesen - Künstler - Was gibt es Neues?

Kreativ - Kunst - Zeichnen - Lesen - Künstler - Was gibt es Neues? Große Kunst wird gekauft und verkauft, sie kommt unter den Hammer und wird vorn und hinten versichert. Kleine Kunst ist kein Produkt. Sie ist eine Haltung. Eine Lebensform. Große Kunst wird von ausgebildeten Künstlern und Experten geschaffen. Kleine Kunst wird von Buchhaltern geschaffen, von Landwirten, Vollzeitmüttern am Cafétisch, auf dem Parkplatz in der Waschküche.  (Danny Gregory) Das Farbenbuch von Stefan Muntwyler, Juraj Lipscher und Hanspeter Schneider Als ich dieses Kraftpaket von Buch in den Händen hielt, war ich zunächst einmal platt. Wer dieses Sachbuch hat, benötigt keine Hanteln mehr! Aber Spaß beiseite, wer dieses Buch gelesen hat, hat auch keine Fragen mehr zum Thema Farben. Farben werden aus Pigmenten hergestellt, soweit bekannt. Die beiden Herausgeber sind der Kunstmaler Stefan Muntwyler und der Chemiker Juraj Lipscher, beide lebenslange Farbspezialisten, und dies ist ein Kompendium der P

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Durch das Jahr mit der Natur von Lucy Brownridge, Margaux Samson Abadie

  Eine spannende Reise durch die Jahreszeiten zu Tieren und Pflanzen rund um den Globus. Das Jahr beginnt mit dem Januar – mit einem heißen Bad. In Japan baden die Japanmakaken mitten im Schnee in warmen Quellen, fühlen sich ziemlich wohl dabei. In Peru ist Paarungszeit für die Aras. Die Männchen wollen schön sein für die Damenwelt – und gehen vor der Balz für ihre Figur auf Diät: sie schlecken Schlamm. Auch in Afghanistan ist Paarungszeit mitten im Schnee für die Schneeleoparden. In der Antarktis schlüpfen Pinguine aus dem Ei. Und so geht es weiter durch das Jahr. Kleine Sachgeschichten aus der Natur ab 4 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Durch das Jahr mit der Natur von Lucy Brownridge, Margaux Samson Abadie