Rezension
von Sabine Ibing
Sommernachtserwachen
von Meg Rosoff
Der Anfang:
Alle reden von der großen Liebe, als wäre es die wunderbarste, lebensveränderndste Sache der Welt. Irgendetwas passiert, heißt es, und du spürst es sofort. ...
Genauso war es, als ich Kit Godden traf. Ich schaute ihm in die Augen, und ich spürte es sofort. Das Dumme war nur, dass alle anderen es auch spürten. Allen anderen ging es wie mir.
Ein attraktiver, intriganter Soziopath bringt eine Familie und deren engen Freundeskreis bis kurz vor den Zusammenbruch. Am Ende wird kein Stein auf dem anderen bleiben, Kinder werden nach diesem Sommer erwachsen, Freundschaften zerschlagen, dafür entstehen neue. Ein Jugendroman, der in Sommerlaune so idyllisch beginnt. Bereits die vierte Generation verbringt in diesem Haus ihren Sommer. Der Urgroßvater hat das etwas schräge, lavendelblaue Haus im «Post-viktorianischen-verrückte-Frau-im-Dachboden-Stil» gebaut, das Sommerhaus an der Küste. Alles beginnt wie jedes Jahr, bereits die Anfahrt verläuft stets gleich: Dad, Mum, Alex, der sich für Fledermäuse interessiert, Tamsin, die Jüngste, die sich auf das Reiten freut, Mattie, die ein verdammt hübsches Mädchen geworden ist, eine sechzehnjährige Insta-Poserin und die Icherzählerin, die gern malt, einmal Kunst studieren möchte. Dazu gesellen sich die besten Freunde Hope und Mal, die ihr Haus gleich nebenan haben, die Unzertrennlichen, die man «Malanhope» nennt.
Die Akteure sind versammelt, der Sommer beginnt.
Hope und Mal haben auch gleich zwei Überraschungen parat. Sie werden heiraten. Eine schlichte Strandhochzeit mit Partyzelt. Das ganze wird getoppt mit Florence Godden, eine berühmte Schauspielerin, eine Studienfreundin von Hope, die zum Fest erscheinen wird. Ihre beiden Söhne, der neunzehnjährige Kit und der siebzehnjährige Hugo werden die Sommerferien bei ihnen verbringen, da Florence einen Dreh in Ungarn hat. Die Feriengemeinschaft ist völlig aus dem Häuschen. Als die Jungen in einer Limousine vorgefahren werden und Kit aussteigt, ist die Icherzählerin wie vom Blitz getroffen. Aber nicht nur sie ist von dem charismatischen Kit begeistert, der mit seinem Charme die gesamte Sommergesellschaft fasziniert, bis hin ins Dorf. Hugo entpuppt sich zum genauen Gegenteil: maulfaul, mürrisch, ein Typ, der lieber allein sein mag, sich an nichts erfreuen kann, sich mit niemandem anfreundet.
Nicht zum ersten Mal wunderte ich mich über die abartigen Werte der menschlichen Spezies, denen zufolge Schönheit fast alles übertrumpft, einschließlich Güte, Geld und Talent.
Sommerliche Atmosphäre, flirrende Hitze, Salz auf der Haut. Schwimmen, segeln, reiten, gemeinsames Essen und Kartenspiele am Abend, und nebenbei laufen die Hochzeitsvorbereitungen. Mama, die im Opernhaus als Kostümschneiderin arbeitet, ist emsig am Nähen, kümmert sich um das Hochzeitskleid, die Ausstaffierung von Brautjungfern und Bräutigam. Anspielungen zu Shakespeares «Sommernachtstraum» sind gesetzt: eine Hochzeit, Liebeswirren, die Intrigen der Feenwelt ... Die Icherzählerin weiß ganz genau, dass jeder, der sich auf den manipulativen Kit einlässt, eine toxische Beziehung eingehen wird; darum sorgt sie sich um ihre Schwester – auch sie selbst kann sich Kit nicht entziehen. Kit ist ein Schmetterling, der Herzen erobert und weiterfliegt; ein Zerstörer, der sein Wild erlegt, völlig gewissenlos der Folgen bewusst:
Kit ist ein emotionales schwarzes Loch. Er saugt den Menschen das Licht aus.
Hier wird am Ende viel Geschirr zerschlagen sein, mehr will ich nicht verraten. Ein Coming-of-Age für mehrere der Figuren, die ihre jugendliche Unschuld verlieren und die Bösartigkeit des Menschen kennenlernen. Zwei sozial verwahrloste junge Männer, die an Nannys und Internate abgeschoben wurden, in den Sommerferien bei irgendwelchen Leuten geparkt werden, jeder geht auf seine Weise mit der erlernten Beziehungslosigkeit um. Zwei völlig verschiedene Familiensysteme krachen aufeinander in der Ferienidylle: das Sommernachtserwachen. Der S. Fischer Verlag g eine gibt Altersempfehlung ab 14 Jahren; das ist für mich in Ordnung. Ein intelligenter fluffiger Jugendroman mit Tiefgang, eine feine Sprache, spannend zu lesen. Ein Drama frei nach Shakespeare. Empfehlung!
Sommernachtserwachen
Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Jakobeit
Jugendbuch, Jugendroman, young adult, Allage, Kinder- und Jugendliteratur
Gebunden, 256 Seiten
S. Fischer Verlag, 2021
Altersempfehlung ab 14 Jahren
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