Rezension
von Sabine Ibing
Schwachstellen
von Yishai Sarid
Sivs Vater ist ständig pleite, versenkt ein Geschäft nach dem anderen; seine Mutter geht mit einem Arzt fremd und seine jüngere Schwester ist in die Drogensucht abgerutscht. Auch bei den Frauen kann er nicht punkten. Nach seiner Ausbildung beim Militär als professioneller Hacker erhält er als der Beste Absolvent ein attraktives Jobangebot. Man erklärt Siv: In dieser Firma arbeitet man nur für gute Staaten, muss Terroristen aufspüren, um sie dingfest zu machen oder Cyberattacken gegen Bösewichte durchführen. Seine Aufträge in Israel und im Ausland werden politisch immer brisanter.
Er weiß, dass er für eine Diktatur arbeitet
Dort stand, wir verkauften das Überwachungssystem an undemokratische Schurkenstaaten, die es zur Überwachung von Regimegegnern, Presseleuten und Menschenrechtsaktivisten benutzten. …Ihr kennt ja die Wahrheit. Wir helfen unseren Kunden bei der Bekämpfung von Terror, Pädophilie, Drogen- und Menschenhandel.
Als Siv in einem europäischen Land ein Abhörsystem für Mobiltelefone installieren muss, um Regimekritiker ausfindig zu machen, kommen bei ihm erste ethische Skrupel auf, die er beiseiteschiebt. Einerseits redet er sich ein, nur seinen Job zu erfüllen - und andererseits ist er stolz auf seinen Einfallsreichtum und die Belobigung des Generals. Die Schwester belügt Siv, will an sein Geld, und die Eltern jammern ihm vor, was er seit seiner Geburt für Kosten verursacht hat, etwas, was jetzt gefälligst zurückgeben soll. Die Mutter und die Schwester gehen ihm auf die Nerven – und um Klarheit zu bekommen, überwacht er die Frauen. Jetzt hat er die Kontrolle in der Hand! Lob und Anerkennung, die er zu Hause nicht erhält, definiert er nun über den Beruf, denn hier wird er gefeiert. Das Land, in dem Siv die Dissidenten aufspüren soll, wird nicht benannt – aber eine osteuropäische Anlehnung ist eindeutig. Hin und wieder fragt er bei seiner Firmenleitung nach, ob das alles korrekt sei, was er tun soll, ethisch, rechtlich. Denn er weiß, dass er für eine Diktatur arbeitet. Es reicht ihm allerdings aus, wenn von oben die Absegnung kommt, alles sei legal und korrekt, man jage ausschließlich Verfassungsfeinde des auftraggebenden Staats.
Das gesamte digitale Leben: eine Schwachstelle
Ich teilte den Bildschirm auf und beobachtete mehrere Ziele gleichzeitig. Sog ihr Leben ein, als verschlänge ich Schokolade, Wurst und Brei auf einmal, bis mir zum Kotzen war.
Ich will nicht spoilern, aber mir kam der Bruch in diesem Staat zu plötzlich und zu kurz. Siv, dreiundzwanzig, beziehungslos in jeder Art (kaputte Familie, keine Freunde) findet seine Belohnung und Anerkennung in seiner Arbeit. Darum ist es ihm letztlich egal, was er mit seinen Überwachungsprogrammen anrichtet. Sie funktionieren bestens und dafür wird er reich bejubelt. Das Szenario der digitalen Überwachung ist hinreichend bekannt und die Realität kann heute wesentlich mehr. So weit im Stoff wirklich nichts Neues: Menschen aufspüren, Smartphones auslesen, mitlesen, knacken … Auch digitales Stalking innerhalb des persönlichen Umfelds ist nichts Neues. Insofern hat mich der Stoff nicht reizen können. Irgendwann erfahren wir, warum die Schwester Drogen nimmt – das war mir ein wenig billig, die Familie an sich ist Grund genug. Das Thema zu den bereits vorhandenen einzublenden und auf Kürze abzuhandeln, um noch ein Fass aufzumachen, um einen Grund für ein Ereignis zu haben – das passte für mich nicht. Sprachlich einfach gestaltet, berichtet der Protagonist, der sich in dieser Geschichte nicht weiterentwickelt. Ein Mann ohne Gewissen, weil die Vorteile für ihn selbst überwiegen. Die gibt es massenweise, denn sonst würden Diktaturen nicht funktionieren: Hey, ich mache hier nur meinen Job! Ich musste das tun, weil es mir befohlen war. Ein Mensch mit Schwachstellen, ein System mit Schwachstellen. Das gesamte digitale Leben: eine Schwachstelle. Mich konnte der Roman leider nicht packen, weil all diese Themen längst hundert Mal abgearbeitet wurden. Wenn die Geschichte wenigstens packend gewesen wäre … aber leider kommt für mich auch keine Spannung auf.
Yishai Sarid, 1965 in Tel Aviv geboren, war Nachrichtenoffizier in der israelischen Armee, studierte in Jerusalem Jura und machte in Harvard einen Abschluss in öffentlicher Verwaltung. Später arbeitete Yishai Sarid als Staatsanwalt. Heute ist er als Rechtsanwalt in Tel Aviv tätig.
Yishai Sarid
Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama
Kriminalliteratur, Kriminalroman, Überwachungsstaat
Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten
Kein und Aber Verlag, 2023
Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller
Kommentare
Kommentar veröffentlichen