Rezension
von Sabine Ibing
Eine Liebe
von Sara Mesa
Der erste Satz:
Als es dunkel wird, spürt sie, wie die Last auf sie stürzt, so schwer, dass sie sich setzen muss, um Luft zu holen.
Dies ist keine Liebesgeschichte – oder etwa doch? Wenn ja, zu wem oder was? Eine junge Übersetzerin, Natalie, genannt Nat, in den Dreißigern, mietet ein klappriges Haus in einem Dorf im Landesinneren, wo sie die nötige Ruhe finden will, um ihren ersten literarischen Übersetzungsauftrag zu schreiben. Sie hatte ihren Job in der Stadt gekündigt, ein wenig Gespartes zurückgelegt, um über die Runden zu kommen. Gern wäre sie an die Küste gezogen, doch die Mieten dort kann sie sich nicht leisten. In diesem abgelegenen Kaff könnte es funktionieren, eine Selbstständigkeit aufzubauen, Romane zu übersetzen. Sie wünscht sich einen Hund – der Vermieter züchtet welche. Er verkauft ihr einen struppigen Haufen Elend. Ein unzugängliches Vieh, das sich nicht locken lässt.
Nat ist mit dem Landleben überfordert
‹Nicht normal? Findest du? Was findest du denn normal? Raus aufs Land ziehen, aber da soll dann alles so herrlich komfortabel sein wie in der Stadt, ja?› ...
‹Ihr seid alle gleich, ihr glaubt, hier draußen kann man nachts immer schön Sterne gucken, und am Tag blöken die Lämmchen. Und dann kommt ihr an und meckert – die Mücken und der Regen und das viele Unkraut.
Eine alleinlebende junge Frau fällt natürlich auf. Hier leben nur noch alte Leute und verschrobene Einzelgänger. Und schon bald wird Nat von den Dorfbewohnern neugierig umkreist: einem Althippie, dem Mädchen aus dem Laden, einem alten Ehepaar und einem Mann, der nur «der Deutsche» genannt wird. Ihr Vermieter kommt monatlich zum Abkassieren, verlangt Bares; der Vertrag ist in seiner Form letztendlich rechtsungültig – sie weht sich nicht. Der Mann ist aufdringlich und übergriffig, schert sich nicht um den Zustand des Hauses. Gemietet wie gesehen; um das kaputte Dach soll sie sich selbst kümmern. Was habe sie erwartet von dem alten Haus? Dass es eine Villa wäre? In alten Häusern regnet es hinein. Nat ist mit dem Landleben überfordert, sie kommt kaum zum Schreiben, denn auch diese ungewohnte Arbeit stresst sie. Pìter, der Hippie kommt ständig vorbei, möchte sich mit ihr anfreunden. Seine Fürsorge grenzt an Aufdringlichkeit. Er weiß ganz genau, was im Dorf vor sich geht – hustet jemand, Pìter wird der Erste sein, der es hört. Eines Tages steht der Deutsche vor ihrer Tür. Er bietet ihr an, das Dach zu reparieren, verlangt aber eine unerwartete Gegenleistung: «Ich kann dein Dach reparieren, und dafür lässt du mich ein Weilchen in dich rein.» Vorhang auf, der zweite Akt beginnt. Für Nat ist es der Auftakt einer Obsession zu einem sehr rätselhaften, unnahbaren Mann. Eine toxische Beziehung entwickelt sich. Im Dorf hingegen gerät Nat wegen diverser Dinge zusehends in die Rolle der gefährdeten Außenseiterin.
Lass dir das nicht gefallen!
Andreas gegenüber hat Nat sich zunächst mächtig gefühlt. Die Vorstellung, dass ihre Jugend auf ihn – den zwölf Jahre Älteren – verführerisch wirkte, gefiel ihr.
Die Sprache von Sara Mesa ist schnörkellos, reduziert. Drei Kapitel – ein Dreiakter, eine griechische Tragödie. Nat gerät in eine Abhängigkeitsschleife zu einem Mann, der sie behandelt wie eine Plastikpuppe. Ein Mann, der selbst dicht macht, und Nat gleichzeitig kleinredet, verletzt. Ihr ist das alles bewusst, doch sie ist nicht in der Lage, dagegen anzugehen. Nicht mal der Hund entwickelt eine freundschaftliche Beziehung zu ihr. Im dritten Akt erfolgt die Auferstehung. Eine Frau, die auf die Suche ging, hinaus in die Wildnis, um sich selbst zu finden. Aber es geht hier um mehr, um Ausgrenzung, Eifersucht, um eine Menge moralischer Themen, die im konservativen Spanien unter der Decke brodeln. Sara Mesa schafft eine dichte, klebrige, verstörende Atmosphäre. Leerstellen, die die Autorin setzt. Der Vermieter wird immer übergriffiger. Nat ist innerlich wütend, angeekelt, ist aber nicht in der Lage, sich zur Wehr zu setzen. Der Leser spürt, dass eine traumatische Glocke über dieser Frau sitzt, die sie zerschlagen muss – die der Ruhe vor dem Sturm. La Escapa, mit dem immer präsenten Berg El Glauco (der Hellgrüne) vor Augen – escapar bedeutet entkommen. Net ist eine der nervigen passiven Protagonist:innen, denen man die ganze Zeit zurufen will: Lass dir das nicht gefallen! Schweigsamen Menschen, Missverständnisse entstehen, Vorurteile; gesellschaftliche Tabus werden angesprochen, und männliche Überschreitungen thematisiert, das alles füllt unausgesprochen die Leerstellen aus. Gleichzeitig aber steht Sprache auch als Ausgrenzung und Differenziertheit im Raum. Ein Haus voller Risse, eine merkwürdige Beziehung mit Klüften, eine defekte Seele. Der 3. Akt: Der Sturm bleibt im Glas ohne menschliche oder göttliche Bestrafung, die Autorin weiß andere Türen zu öffnen. Eine feine Novelle.
Ja, eindeutig, es ist Obsession. Aber nicht nur das, sagt sie sich. Es ist Willenlosigkeit, eine Metamorphose, eine radikale Veränderung ihrer Erwartungen. Was außerhalb von ihr war, so fern wie die Landschaft, was unsichtbar und reizlos war, befindet sich jetzt in ihrem Inneren, hat sie in Beschlag genommen und wirft alles über den Haufen.
Sara Mesa, 1976 in Sevilla geboren, wo sie bis heute lebt, gehört zu den wichtigsten spanischen Autorinnen der Gegenwart. Sie hat mehrere preisgekrönte Romane, Erzählungsbände und Essays verfasst. Ihr Roman «Un Amor» war eine literarische Sensation in Spanien, wurde unter anderem von «El País» zum besten Buch des Jahres gekürt und 2021 mit dem Preis des unabhängigen Buchhandels ausgezeichnet, dem Premios de los libreros in der Kategorie Fiktion.
Eine Liebe
Originaltitel: Un Amor, 2021
Aus dem Spanischen übersetzt von Peter Kultzen
Novelle, Erzählung, spanische Literatur, zeitgenössische Literatur
Hardcover mit Schutzumschlag, 192 Seiten
Wagenbach Verlag, 2022
Quasi von Sara Mesa
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