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Rattensommer von Juliane Pickel - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Rattensommer 


von Juliane Pickel


Ich erwarte hinter der nächsten Ecke immer eine Katastrophe – und Sonny ein Abenteuer.


Seit Wochen ist es mörderisch heiß. Lou und Sonny, beide 15 Jahre alt, beste Freundinnen, vertreiben sich die Zeit in einem verlassenen Schwimmbad. Denn Lou kann nicht schwimmen. Ihr geheimer Ort. Seit dem Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren hat sich Sonny verändert: Sie schwänzt die Schule, raucht, trinkt Alkohol und erklärt Lou, sie wird nach dem Sommer abhauen, die Stadt verlassen – einfach so. Doch dann platzt eine Bombe: Hagen Bender ist aus dem Gefängnis entlassen worden! Wie ist das möglich, nach so kurzer Zeit? Für Sonny ist Hagen Bender, der Mörder ihrer Mutter. Denn dieser Mann hatte die Mutter im Zorn auf MC Donaldangestellte geschubst, die Unbeteiligte war unglücklich gefallen und dabei zu Tode gekommen. Sonny hasst diesen Mann und schwört auf Rache – und Lou soll ihr helfen. Doch je mehr Lou über Bender erfährt, desto mehr Zweifel kommen ihr. Sie ist zwischen Liebe und Angst, Vertrauen und Eifersucht hin- und hergerissen. Darf sie zulassen, dass Sonny Schuld auf sich lädt – oder rettet sie sich lieber selbst?


Wie weit wird Lous Loyalität gehen? 


Seit Wochen versucht sie mich zu überreden, die letzten zwei Ferienwochen in irgendein Kaff am Meer mit einer Horde Jugendlicher Tennis zu lernen. … Meine Mutter hat da diese Vorstellung, wie ich athletisch über roten Sand renne und mit meiner Wahnsinnsvorhand Bälle über den Platz dresche.


Tayo, ein Mitschüler, jobbt für Bender, weiß viel über ihn, kennt seine Gewohnheiten. So schmeißt sich Sonny an ihn heran, um die Schwachstellen von Bender auszuspionieren; denn Sonny will ihm wehtun – so richtig weh tun. Plötzlich steht Tayo zwischen den Freundinnen und Sonny bringt ihn sogar mit ins alte Schwimmbad, den Ort, der eigentlich nur Lou und Sonny gehört. Lou selbst ist ein sogenanntes Sternenkind, sie wurde gezeugt, weil ihre Schwester gestorben war, ein Platzhalter für eine Tote. Sie fühlt sich nicht verstanden von ihrer Mutter, die Vorstellungen hat, wie Lou zu sein hat, wie sie ihre Haare tragen soll usw., «es würde dir sicher gefallen» – völlig konträr zu Lou selbst, die denkt, sie meint in Wirklichkeit: «Deiner Schwester hätte es gefallen.» Die enge Freundschaft zwischen Sonny und Lou bekommt Brüche, als Sonny den Druck auf Lou erhöht. Als Erstes wird Benders geliebte Katze entführt, denn der Mörder soll leiden. Sonny ist das, was Lou aufrecht hält. Wie weit wird ihre Loyalität gehen? Und wie weit wird Sonny gehen? Will sie ernsthaft Bender töten? 


Psychologisch ausgefeilte Charaktere


Und als ich ihr nachsehe, denke ich, dass Wasser wahrscheinlich nicht der einzige Ort ist, an dem man ertrinken kann.


Ein Jugendbuch, das hervorragend geschrieben ist, atmosphärisch dicht, sich mit bedingungsloser Freundschaft und den Abgründen von Trauer und Wut beschäftigt. Lou muss sich ihren eigenen Ängsten stellen und für sich entscheiden. In dieser Freundschaft ist Sonny die Bestimmende. In der Familie bestimmt die Mutter Lou, die große Schwester steht stets als Elefant im Raum. Lou erzählt uns diese Geschichte, beobachtet genau, setzt sich auch mit sich selbst und ihren Gefühlen auseinander. Kann sie Sonny helfen, sich aus ihrem Wutteppich zu befreien? Juliane Pickel hat ihre Figuren tief ausgeleuchtet und beschreibt psychologisch ausgefeilt die Gefühle der Protagonist:innen. Emotional von allen Seiten betrachtet wird das Thema angefasst. Niemand mag Bender für das, was damals geschehen ist. Warum ist er überhaupt in sein altes Haus zurückgekehrt? Man verachtet ihn, doch manche sehen das eben geschäftlich: Kunde ist Kunde. Und wenn er wieder raus ist aus dem Knast, dann ist das so. Und Bender selbst? Der ist ein Häufchen Elend, er hat sich selbst zerstört. Aber das mag Sonny in ihrer Verblendung nicht sehen. 


Literarisch exzellent


Ohne Sonny sind die Tage wie riesige Gewässer, und ich treibe auf ihnen herum wie in einem einseitig beladenen Boot. Ohne Sonny habe ich Schlagseite.


Ein Jugendroman, der unter die Haut geht, mit einem für mich perfekten Ende. Ein Drama, literarisch exzellent, psychologisch gut aufgebaut, realistisch, mit einer dichten Story, die sofort mitreißt. Mehr geht nicht. Der Beltz & Gelberg Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 14 Jahren. Da gehe ich mit. Unbedingte Empfehlung!


Juliane Pickel, geboren 1971 in Ratingen, lebt seit 1994 in Hamburg. Nach einem Studium der Erziehungswissenschaften in Münster und Hamburg und einer Fortbildung zur Fachzeitschriftenredakteurin arbeitet sie in der Online-Redaktion des NDR. 2017 wurde sie für ihre Kurzgeschichte «Freier Fall» mit dem Walter-Kempowski-Literatur-Förderpreis der Hamburger Autorenvereinigung ausgezeichnet. «Krummer Hund» ist ihr erster Roman. Für das Projekt erhielt sie 2018 den Förderpreis für Literatur der Stadt Hamburg und 2021 den Peter-Härtling-Preis.



Juliane Pickel
Rattensommer
Jugendbuch, Jugendroman, Freundschaft, Wut
Hardcover, 256 Seiten
Beltz & Gelberg Verlag, 2023
Altersempfehlung: ab 14 Jahren

Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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